Debatte über neue Flüchtlingsdeals
Bis Ende Juni sollen plangemäß neue Regelungen im Umgang der EU mit Migration und Flucht stehen. Zuletzt kamen vermehrt Rufe nach Auffanglagern oder Sammelzentren für Flüchtlinge auf - auch ein Vorschlag von EU-Ratschef Donald Tusk wurde öffentlich, laut dem aus Seenot Gerettete künftig zu zentralen Sammelpunkten außerhalb der EU gebracht werden sollten.
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Neben Tusk hatten sich auch andere führende Politiker für Auffanglager in verschiedenen Formen ausgesprochen. Die Frage, ob solche Lager in oder außerhalb der EU sein sollen, sorgt für Streit. Italien reagierte etwa empört auf den Vorschlag von Spanien und Frankreich, in EU-Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland geschlossene Flüchtlingszentren einzurichten, in denen eine Vorauswahl von Asylwerberinnen und -werbern stattfinden soll. Rom will solche Asylzentren nur in Nicht-EU-Ländern akzeptieren, etwa in Libyen oder auf dem Balkan.
Standorte für Zentren weiterhin unklar
Zu diesem Zweck besuchte Italiens Innenminister Matteo Salvini am Montag Libyen. Dort schlug er seinen libyschen Amtskollegen Abdelsalam Aschur und Fajis al-Sarradsch, dem Chef der von der UNO unterstützten Regierung, vor, Flüchtlingszentren jenseits der südlichen Grenze Libyens einzurichten. Derartige Ankunfts- und Identifikationszentren sollten sowohl Italien als auch Libyen helfen, Migration „aufzuhalten“, so Salvini. Im Gegenzug gebe es mehr Geld für Entwicklungshilfe.
Italien will außerdem in den Herkunftsländern der Migranten und Migrantinnen Kampagnen finanzieren, um die Bevölkerung über die mit der illegalen Einwanderung nach Europa verbundenen Gefahren zu informieren. Das könne eben mit EU-Entwicklungsgeldern finanziert werden, um den Herkunftsländern der Migranten und Migrantinnen Zukunftsperspektiven zu sichern, so Salvini am Montag. Die Informationskampagne solle in den Sahel-Ländern umgesetzt werden.
Folter und Versklavung in Libyen
Auf eigenem Gebiet lehnte Libyen Aufnahmelager für Flüchtlinge entschieden ab. „Solche Aufnahmelager verstoßen gegen die Gesetze des Landes“, sagte der Vizechef des libyschen Präsidentschaftsrates, Ahmed Maitik, am Montag. Libyen sei aber bereit, mit der EU in der Frage der illegalen Migration zusammenzuarbeiten. In welchen Ländern nun tatsächlich Sammelzentren entstehen könnten, wurde am Montag nicht klarer. Im Süden grenzt Libyen an den Tschad und den Sudan, südwestlich des Landes liegt Niger. Auch Österreich und Dänemark wollen Asylzentren außerhalb Europas. Dort sollten Einreisewillige auf ihre Schutzbedürftigkeit überprüft werden, nur wirklich schutzbedürftige Personen sollten einen Antrag auf Asyl stellen können.
Völlig unklar ist die rechtliche Basis solcher Einrichtungen. Asylrecht ist nationales Recht. Welche Norm bei der Abwicklung von Asylfällen außerhalb der EU gilt, ist ungeklärt. Das entsprechende Regelwerk müsste erst erarbeitet werden, Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention müssten beachtet werden und in Libyen und anderen Staaten durchgesetzt werden. Derzeit wollen Migranten aus ganz Afrika die Lager in Libyen verlassen, da sie dort Folter, Versklavung und Misshandlungen ausgesetzt sind.
Suche nach rechtlicher Basis
Auch die EU-Kommission wies darauf hin, dass Asylzentren rechtlich kein „schwarzes Loch“ sein dürften. Deshalb dürften auch bereits eingereiste Asylwerber nicht in Lager außerhalb der EU zurückgebracht werden. „Anlandestellen“ dieser Art seien weder mit europäischem noch mit internationalem Recht vereinbar, sagte eine Sprecherin der Brüsseler Behörde am Montag.
Stattdessen stünden noch zwei Varianten von „Anlandestellen“ zur Debatte. Zum einen gehe es um Zentren in nordafrikanischen Küstenstaaten, in die etwa aus Seenot gerettete Flüchtlinge gebracht werden könnten. In Zusammenarbeit mit dem UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) könnten Asylberechtigte von dort aus in europäische Länder verteilt werden. Jene, die keinen Anspruch auf Asyl hätten, sollten Unterstützung der Internationalen Organisation für Migration (IOM) bekommen.
Weitere Gespräche geplant
Die zweite Variante sieht Sammelstellen innerhalb der EU für gerettete Flüchtlinge vor, an denen über die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge entschieden wird. An diesem Modell wären der Sprecherin zufolge auch die EU-Außengrenzschutzagentur Frontex sowie die europäische Asylagentur beteiligt.
Bei beiden Optionen müsse die Machbarkeit jedoch noch im Detail geprüft werden, sagte die Sprecherin. Dazu arbeite die EU-Kommission mit dem UNHCR und der IOM zusammen, anschließend werde man mit den EU-Staaten darüber reden. Beide Optionen könnten „fruchtbaren Boden für weitere Diskussionen bieten“. Derlei Gespräche wird es auch beim EU-Gipfel mit allen 28 Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel geben.
Dort wird wohl auch der jüngste Vorschlag von EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani besprochen werden. Er forderte am Montag in einem Gastbeitrag in der deutschen „Welt“, deutlich mehr Geld bereitzustellen, um illegale Migration über das Mittelmeer zu verhindern. Nach dem Vorbild der Vereinbarung mit der Türkei müsse die EU mindestens sechs Milliarden Euro investieren, um die Mittelmeer-Route zu schließen, so Tajani.
Oettinger spricht von „abgeschlossenem Dorf“
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger sagte in Brüssel, die Umsetzung von Tajanis Vorschlag sei möglich. Dazu bedürfe es aber eines Partners, der garantiere, dass die Flüchtlinge menschenwürdig behandelt würden. Wenn man an Ort und Stelle einen Vertragspartner finde, würde die EU in eine Unterbringung der Menschen in einem „abgeschlossenen Dorf“ mit guten Bedingungen investieren, sagte Oettinger in Brüssel.
Als Partner kämen eine Regierung, eine Region oder eine örtliche Verwaltung in nordafrikanischen Staaten wie Libyen und Tunesien infrage. Sie sollten auf Zeit die Unterbringung von Flüchtlingen „in Menschenwürde“ finanziert bekommen, also „Wasser, Abwasser, Kälte, Wärme, Obdach, Sicherheit, Kleidung, Nahrung und Bildung für ihre Kinder“. Die EU-Kommission würde in den Haushalten 2018 und 2019 „durch Umschichtungen freimachen, was geht“, sagte Oettinger. Zudem würde er die Mitgliedsstaaten um ergänzende Mittel bitten.
Salvini: „NGOs sind Schlepper“
Von den libyschen Behörden sei Salvini unterdessen aufgerufen worden, aktiv den Menschenhandel zu bekämpfen, sagte der italienische Innenminister. Dabei müsse man die im Mittelmeer aktiven NGOs stoppen „Sie sind, bewusst oder unbewusst, Komplizen der Schlepper“, kritisierte Salvini. „Wenn man das Geschäft der illegalen Migration stoppen will, muss man die NGOs stoppen“, sagte Salvini. Er dankte der libyschen Küstenwache. Sie habe in der letzten Woche 2.500 Migranten gerettet.
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