„Positive Bewegung“
Die Staats- und Regierungschefs von 16 der 28 EU-Mitgliedsländer sind am Sonntag zu einem von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker eilends einberufenen informellen Arbeitstreffen" nach Brüssel gereist. Bei dem nur wenige Tage vor dem echten Gipfel abgehaltenen „Minigipfel“ stand nur ein Thema, nämlich die Überbrückung der tiefen Gräben in der Flüchtlingspolitik, auf dem Programm.
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Im Zentrum stand nach der jüngsten Verschärfung der Fronten eine erste Annäherung. Beschlüsse und Ergebnisse werde es nach dem EU-Asylgipfel noch nicht geben, sagte etwa Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) bei seiner Ankunft in Brüssel. Mit dem Verlauf des Treffens zeigte sich Kurz dennoch zufrieden.

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Insgesamt kamen 16 Staats- und Regierungschefs zum Asylgipfel nach Brüssel
Er sprach von „einer positiven Bewegung“ in Sachen EU-Außengrenzschutz. Es sei „fast ausschließlich über den Außengrenzschutz und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten gesprochen“ worden. Dabei werde nun von „vielen Seiten“ die österreichische Forderung geteilt, wonach Menschen „nach der Rettung im Mittelmeer nicht nach Europa gebracht werden sollen, sondern in Länder außerhalb der Europäischen Union“.
Merkel will jene zusammenführen, „die willig sind“
Auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einer „guten Debatte“ zu Fragen des Außengrenzschutzes und der Verhinderung der Weiterreise von Asylwerbern innerhalb der EU. Trotz „einiger Unterschiede“ hätten die Teilnehmer „doch ein großes Maß an Gemeinsamkeit“ festgestellt.

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Merkel mit Gastgeber Juncker
„Wir sind uns alle einig, dass wir die illegale Migration reduzieren wollen, dass wir unsere Grenzen schützen wollen“, sagte Merkel. „Wo immer möglich“, sollten „europäische Lösungen“ angestrebt werden: „Wo dies nicht möglich ist, wollen wir die, die willig sind, zusammenführen und einen gemeinsamen Rahmen des Handelns erarbeiten.“ Merkel zufolge werde man nun bis zum regulären EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag, „aber natürlich auch danach“ weiter an Lösungen arbeiten.
Sanchez sieht Schritte nach vorn
Der spanische Premier Pedro Sanchez sprach nach dem Treffen von guten Schritten nach vorne, doch „haben wir weder konkrete Konsequenzen noch Schlussfolgerungen“ beschlossen. Es gebe aber die gemeinsame Haltung, über viele Ideen nachzudenken. Jeder sei der Meinung gewesen, dass eine europäische Vision notwendig sei.

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Kurz hatte im Vorfeld für Zentren außerhalb der EU geworben
Nach Angaben des maltesischen Premiers Josef Muscat sei das Treffen besser als erwartet verlaufen. Alle hätten sich klar geäußert. Das sei wichtig für das gegenseitige Verständnis in den nächsten Wochen gewesen. Es gebe jedenfalls keine Schlusserklärungen - „ich bin völlig dagegen. Wir brauchen operationelle Aktionen. Wir sind in einer Situation, wo es um Entscheidungen geht. Die Situation darf in den nächsten Tagen nicht eskalieren.“
Verweis auf Salzburg-Gipfel
Kurz erwartet unterdessen spätestens bis zum EU-Gipfel unter Österreichs EU-Ratspräsidentschaft am 20. September in Salzburg „wesentliche Fortschritte“. Zu einer Beschlussfassung wolle man aber bereits Ende der Woche einen Schritt weiter kommen. In der laufenden Debatte sieht Kurz Österreich in einer „Vermittlerrolle“ und als „Brückenbauer“. Lösungen werde es Kurz zufolge nur im Beisein aller EU-Mitgliedsstaaten geben.
Neben der zunächst angepeilten Gruppe aus Deutschland, Griechenland, Italien, Bulgarien, Malta, Frankreich, Spanien und Österreich waren zum Sondertreffen auch die Staats- und Regierungschefs von Belgien, den Niederlanden, Dänemark, Kroatien, Slowenien, Finnland, Schweden und Luxemburg angereist. Zwölf Staaten nahmen nicht teil. Demonstrativ abgesagt hatten etwa die Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei.
Flüchtlingszentren außerhalb der EU beworben
In der Flüchtlingsdebatte erschien die noch striktere Abschottung der Außengrenzen unter den EU-Mitgliedsstaaten bisher der einzige gemeinsame Nenner. Vor dem Brüsseler Sondertreffen verdichtete sich zudem die Unterstützung für mögliche Sammellager für Flüchtlinge, entweder auf EU-Gebiet oder auch außerhalb der EU. Zweiteres war in den vergangenen Tagen auch Thema von Gesprächen zwischen Kurz und Dänemarks Staatschef Lars Lökke Rasmussen sowie EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani und EU-Ratschef Donald Tusk.

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Macron erinnerte an europäische Werte und Menschenwürde
Frankreich und Spanien forderten am Wochenende solche Zentren für ankommende Flüchtlinge „auf europäischem Boden“. Sowohl der französische Präsident Emmanuel Macron als auch der spanische Ministerpräsident Sanchez erinnerten in Brüssel an europäische Werte und die Menschenwürde, die bei jeder europäischen Lösung gewahrt bleiben müssten.
„Konzept der Landungsplattformen“
Dass das Thema Asylzentren grundsätzlich eingehender diskutiert werden könnte, darauf deuteten auch Worte von Luxemburgs Premier Xavier Bettel hin. „Ganz etwas Neues“ sei ihm zufolge die Bereitschaft von UNO und UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), an einem Vorschlag über „Hotspots“ mitzuarbeiten. Er sprach von einer „guten Nachricht“.

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Giuseppe Conte reiste mit einem neuen Vorschlag nach Brüssel
Über eine sich abzeichnende Gesprächsbereitschaft des UNHCR bei der seit Jahren umstrittenen Idee von Flüchtlingsaufnahmezentren wurde bereits zuvor spekuliert. Diese würden als „Konzept der Landungsplattformen“ nun erneut als Lösungsansatz betrachtet, wie mit der Sache vertraute Personen nur wenige Tage vor dem Asylgipfel sagten. Nach wie vor gebe es eine Reihe offener Fragen, etwa Flüchtlingszentren innerhalb oder außerhalb der EU und ob in diesen auch Asylanträge möglich sein sollen.
Neuer Vorstoß aus Italien
Italien drängte unterdessen mit einem neuen Vorschlag auf einen „radikalen Wandel“ der europäischen Asylpolitik. Die Dublin-Regelung, laut der Migranten in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, das sie zuerst innerhalb der EU betreten, müsse damit komplett überwunden werden, sagte Regierungschef Giuseppe Conte, dem zufolge man bei dem Treffen in Brüssel die „richtige Richtung“ eingeschlagen habe.
Nach Contes Zehnpunktepapier sollen Flüchtlinge erst gar nicht in Europa ankommen, was Bewegungen innerhalb der EU „zur Nebensache“ machen würde. „Die sekundären Bewegungen können so Gegenstand technischer Abkommen zwischen den besonders interessierten Ländern werden.“
„Geht nicht um innerdeutschen Streit“
Strikt zurückgewiesen wurden von den Teilnehmern des Gipfeltreffens Spekulationen, dass es bei dem Treffen an sich um das politische Überleben Merkels gegangen sei. Es drehe sich nicht um den innerdeutschen Streit, sondern um eine europäische Lösung für die Flüchtlingsfrage, sagte etwa Kurz bei seiner Ankunft in Brüssel. Über die innerdeutschen Streitigkeiten sei auch nicht gesprochen worden. Ähnlich äußerte sich Bettel - es gehe um eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik, „es geht nicht um Merkel“, auch nicht darum, „ob Frau Merkel nächste Woche Kanzlerin bleibt“.
Schwieriges EU-Asyltreffen
Der Minigipfel in Brüssel ist ohne konkrete Ergebnisse zu Ende gegangen. Dennoch ortet Bundeskanzler Kurz eine Bewegung in die richtige Richtung.
Die Flüchtlingspolitik hat zu einem erbitterten Streit zwischen den deutschen Unionsparteien geführt. Deutschlands Innenminister Horst Seehofer (CSU) will Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückweisen, die bereits in einem anderen EU-Land als Asylwerber registriert wurden. CDU-Kanzlerin Merkel lehnt solche nationalen Alleingänge bisher ab.
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