Verschärfung statt Brückenschlag
Die Visegrad-Gruppe boykottiert den EU-Minigipfel zur Migration am Sonntag. Das teilte der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban am Donnerstag nach einem Treffen mit seinen Amtskollegen aus Tschechien, der Slowakei und Polen mit. Tschechiens Ministerpräsident Andrej Babis hatte noch am Mittwoch gesagt, er werde an dem Treffen in Brüssel teilnehmen.
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Zuvor hatte Juncker das Treffen, das zunächst nur für einen kleinen Kreis geplant war, ausweiten müssen. Nach Kritik erklärte er, das Treffen stehe selbstverständlich allen interessierten Staaten offen. Das demonstrative Fernbleiben nach der nachgereichten Einladung kommt einem weiteren Querschuss gegen das informelle Treffen gleich. „Der Europäische Rat, nicht die Europäische Kommission, sollen EU-Migrationsgipfel organisieren“, sagte Orban dann auch noch. In Anspielung auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) meinte er, dass „innenpolitische Schwierigkeiten nicht zu paneuropäischer Hast führen dürfen“. An dem Treffen der Visegrad-Gruppe nahm auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) teil.
Parallel machte auch Italien Druck auf die EU-Kommission und insbesondere Merkel. Sie steht wegen des Asylstreits mit der CSU, an der die Koalition zu zerbrechen droht, schwer unter Druck. Zuletzt hatten CDU und CSU vereinbart, dass Merkel bis zum regulären EU-Gipfel in einer Woche Zeit bekomme, eine Lösung im Asylstreit zu erreichen. Gemeinsam mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker initiierte Merkel daraufhin das Sondertreffen am Sonntag, um vorab Pflöcke bei dem Thema, das die EU seit Jahren tief entzweit, einzuschlagen.

Reuters/Tamas Kaszas
Italien, Österreich und die Visegrad-Gruppe sind in wesentlichen Punkten einer Meinung
Offene Diskussion statt Textvorlage
Die Taktik - so wie bei EU-Gipfeln üblich -, einen Textentwurf für das Treffen gleich fertig vorzubereiten und so die Linie vorzugeben, wird nun offenbar von den Visegrad-Staaten und auch Italien durchkreuzt. Italiens Premier der rechtspopulistischen Koalition, Giuseppe Conte, drohte Merkel, zum Treffen gleich gar nicht anzureisen, sollte der Text nicht zurückgezogen werden und eine offene Diskussion ermöglicht werden. Ohne Italien hätte das Treffen allerdings kaum Sinn. Der Boykott der Visegrad-Gruppe macht es noch zusätzlich unwahrscheinlich, dass am Sonntag eine Lösung gefunden wird, auf die sich alle 28 EU-Staaten dann wenige Tage später beim Gipfel einigen können.
Kurz war seinerseits am Donnerstag zum Visegrad-Treffen gereist - eigenen Angaben zufolge vor allem auch, um in seiner Rolle als künftiger EU-Ratspräsident Brücken zu bauen. Das dürfte - zumindest nach den Wortmeldungen am Donnerstag nach dem Treffen - aber nicht gelungen sein. Allerdings wiederholten Kurz und die Visegrad-Vertreter jenen Punkt, in dem zwischen den Ländern seit Längerem Einigkeit herrscht: Die EU solle aufhören, die interne Verteilung von Flüchtlingen zu diskutieren und sich stattdessen auf die Abschirmung der Außengrenze und die Verlagerung der Problematik außerhalb der EU konzentrieren.
Solche Themen könnten etwa die Einrichtung von Hotspots und Flüchtlingslagern außerhalb der EU und ein neues Mandat sowie eine Aufstockung der Grenzschutzagentur Frontex sein, waren Kurz und seine Amtskollegen - Ungarns Premier Orban, Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, der geschäftsführende tschechische Premier Babis und der slowakische Regierungschef Peter Pellegrini - einer Meinung.
Orban vertraut auf Kurz
Orban sagte, er wisse, dass Kurz in der EU insbesondere als künftiger Ratsvorsitzender eine Schlüsselrolle bei Themen wie Migration und Budget habe. „Wir hoffen, dass die EU nach der Präsidentschaft eine fairere und sicherere Gemeinschaft sein wird als jetzt.“ Die Visegrad-Staaten würden jedenfalls für ein starkes Europa eintreten.
Kurz wiederholte sein Vorsitzmotto von einem „Europa, das schützt“. Ein Fokus müsse sein, die Außengrenzen besser zu schützen, um eine EU ohne innere Grenzen zu erhalten. Weiters müssten Themen wie der Binnenmarkt und die soziale Sicherheit gestärkt werden. Er wolle ein Europa, „das an einem Strang zieht“, intern auf Augenhöhe diskutiere und in keine Klassen eingeteilt sei. Deshalb habe er auch gerne an dem Treffen mit den „Nachbarn“ der innerhalb der EU umstrittenen Visegrad-Gruppe teilgenommen.
Pellegrini lobt „pragmatischen Ansatz“
Die gemeinsame Haltung brachte der polnische Premier auf den Punkt: „Wir sind verblieben, dass wir nicht zum Freundschaftskreis der Migrationsaufnehmer gehören.“ Er verwies aber auch darauf, dass Polen sehr wohl Flüchtlinge beherberge, und zwar aus Tschetschenien und der Ostukraine. Sein Land werde jedenfalls nicht an dem kurzfristig einberufenen Flüchtlingsgipfel am Sonntag in Brüssel teilnehmen. Zudem gebe es in der kommenden Woche ohnehin einen EU-Gipfel. Ähnlich sehen das Ungarn und die Slowakei, auch Tschechien will am Sonntag nicht dabei sein, obwohl das am Vormittag noch angekündigt worden war.
Tschechiens Regierungschef Babis erklärte in Budapest, es müsse auch Ländern im Süden wie Griechenland und Italien geholfen werden, „die diesen Erdteil zu verteidigen haben“. Pellegrini lobte den konstruktiven und pragmatischen Ansatz der Gespräche der Visegrad-Gruppe samt Österreich. „Wenn das auch in Brüssel immer so wäre, dann müssten unsere Gipfel nicht zwei Tage dauern, und man müsste nicht bis ins Morgengrauen verhandeln.“
Merkel rief Conte an
In Rom erklärte Italiens Regierungschef Conte nach einem Telefonat mit Merkel seinen Standpunkt. Conte zufolge hat Merkel ihm darin zugesagt, dass der Entwurf der Erklärung für das Treffen, der Mittwoch öffentlich geworden war, „beiseitegelegt“ werde. „Niemand kann denken, dass er über unsere Positionen hinweggehen kann“, so Conte auf Facebook.
Kein Abschlusstext am Sonntag
Der Nachrichtenagentur ANSA zufolge will sich Italien am Sonntag für europäische „Schutzzentren“ in den Herkunfts- und Transitländern aussprechen. In ihnen solle entschieden werden, ob jemand asylberechtigt ist oder nicht. Um „Todestransporte“ - die Überfahrten mit seeuntüchtigen Booten - über das Mittelmeer zu stoppen, wolle Italien die Beziehung zu Drittstaaten gestärkt sehen. Außerdem fordere Italien eine stärkere Sicherung der Außengrenzen. Damit ist Conte in wesentlichen Punkten auf einer Linie mit Österreich und der Visegrad-Gruppe. Rom machte auch klar, dass es am Sonntag keinen fertigen Text geben wird, sondern beim EU-Gipfel wenige Tage später weiter verhandelt werden müsse.
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