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„Verheerender“ Zeitpunkt

Die von der Regierung Freitagfrüh vorgestellten Maßnahmen gegen den politischen Islam wie die Schließung von sieben Moscheen in ganz Österreich und die mögliche Ausweisung einiger Imame stoßen in der Türkei offiziell auf wenig Gegenliebe.

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Der Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin, bezeichnete die Maßnahmen als einen Ausdruck „der islamophoben, rassistischen und diskriminierenden Welle, die durch dieses Land geht“. Es sei ein versuchter „Angriff auf muslimische Gemeinden“, um „politisches Kleingeld daraus zu schlagen“.

„Wasser auf den Mühlen der Rechten“

Doch Islamexperten gehen davon aus, dass gerade Erdogan besonders von den Entscheidungen der ÖVP-FPÖ-Regierung profitieren werde. Sie „spielen Erdogan in die Hände“, sind sich der Politologe Thomas Schmidinger und der Extremismusexperte und zugleich Finanzreferent bei den Grünen in Wels, Thomas Rammerstorfer, einig. Die Bekanntgabe zum Zeitpunkt der bereits begonnenen Wahl der Auslandstürken sei „verheerend“, sagte Rammerstorfer im Ö1-Mittagsjournal. Auch die Türkische Kulturgemeinde in Österreich (TKG) bezeichnete den Zeitpunkt als unglücklich gewählt - mehr dazu in religion.ORF.at.

In Österreich leben rund 100.000 wahlberechtigte türkische Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Im Kontext der türkischen Wahl könnte diese Aktion „Wasser auf den Mühlen der Rechten“ sein, fürchtet Schmidinger: „Den Gegnern des autoritären Regimes in der Türkei ist damit sicher nicht geholfen.“

Rechtsextreme Moschee in Wien-Favoriten

Rammerstorfer schrieb ein Buch über den Einfluss der rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe in Österreich und Deutschland. Die den Grauen Wölfen zugeschriebene Moschee in Wien-Favoriten, die die Regierung per Bescheid nun schließen will, wird laut Schmidinger „definitiv von einer rechtsextremen Partei“ betrieben. Diese habe sich aber von den Grauen Wölfen abgespalten, da ihnen diese „zu gemäßigt“ seien.

ORF-Innenpolitikredakteur Thomas Langpaul

Waren die Schritte der Regierung gegen den „politischen Islam“ erwartbar? Thomas Langpaul berichtet.

Diese kleine Abspaltung habe bei der vergangenen Wahl in der Türkei 0,53 Prozent der Stimmen gehabt, sagte Rammerstorfer: „Ich habe den Verdacht, dass hier eine sehr kleine, unbedeutende Gruppe als Bauernopfer herhalten muss, dass die Regierung ihre angeblichen Maßnahmen inszenieren kann“ - Audio dazu in oe1.ORF.at. Vertreter des von der Schließung betroffenen Moscheevereins in Wien-Favoriten zeigten sich am Freitag schockiert über die Schließung: „Wir haben damit nicht gerechnet.“ Es sei bereits Einspruch gegen die Schließung erhoben worden - mehr dazu in wien.ORF.at.

Rammerstorfer glaubt nicht, des Problems der Desintegration vieler Menschen durch Repression und die Schließung von Moscheen Herr zu werden. Auch Schmidinger zeigte sich skeptisch, ob eine Verbotspolitik die Haltung der Betroffenen ändern könne. Beide Experten hielten integrations- und bildungspolitische Maßnahmen für sinnvoller.

Politologe erwartet weiter Steuerung aus Türkei

Schmidinger kritisierte die „populistische“ Vorgangsweise der Regierung. Dass das im Islamgesetz festgeschriebene Verbot der Auslandsfinanzierung nicht eingehalten werde, überrasche ihn nicht: „Ich verstehe es, dass man dann durchgreift.“ Es sei aber fraglich, ob das irgendetwas zum Positiven verändere. Viel eher werde sich dadurch der türkische Verein ATIB noch mehr an den Rand gedrängt fühlen und versuchen, die Imame mit legalen Umgehungsstrukturen zu finanzieren.

Was steht im Islamgesetz?

Grundlage für die aktuellen Maßnahmen der Regierung ist das Islamgesetz, das im Jahr 2015 unter der rot-schwarzen Vorgängerregierung beschlossen wurde.

Der Politologe erwartet nicht, dass ATIB nun weniger von der Türkei gesteuert werde. Die Finanzierung aus dem Ausland gehe über eine Gehaltsüberweisung des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten (Diyanet). Von dort gebe es regelmäßige Überweisungen, war aus dem Kultusamt zu erfahren.

SPÖ, NEOS und LP grundsätzlich für Maßnahmen

SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher bezeichnete im Ö1-Mittagsjournal den Schritt der Regierung als „erste gescheite Maßnahme“. Er kritisierte aber, die „charakterlich bedenkliche“ Aussage, dass die SPÖ dazu bisher nie etwas unternommen habe. Schon die damalige SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar habe Dutzende Imame gemeldet. Auch NEOS begrüßte die Maßnahmen der Regierung grundsätzlich, beharrte aber auf der rechtsstaatlich einwandfreien Umsetzung.

Die Schließung radikaler Einrichtungen und Moscheen sei zwar ein erster Schritt. Aber die Regierung müsse das Problem der Radikalisierung an den Wurzeln anpacken - und mehr Geld für Integrationsmaßnahmen samt Aus- und Weiterbildung zur Verfügung stellen, um der Perspektivenlosigkeit Jugendlicher entgegenzusteuern, stellte Alma Zadic, Menschenrechtssprecherin der Liste Pilz, in einer Aussendung fest.

„Zeitpunkt nicht zufällig“

Michel Reimon, Kodelegationsleiter der Grünen im Europaparlament, sieht den Zeitpunkt der Regierungspräsentation "nicht zufällig gewählt“. Auch er sieht einen Zusammenhang mit der Wahl für Auslandstürken, die eben begonnen hat. Reimon: „Für viele türkische Wahlberechtigte ist das nun erst recht eine Motivation, Recep Tayyip Erdogan zu wählen.“ Die Regierung habe den Zeitpunkt der Verkündung mit Absicht gewählt, „denn Bundeskanzler (Sebastian, ÖVP, Anm.) Kurz braucht einen starken türkischen Präsidenten als Feindbild für seine Anti-Islam-Kampagne“.

ATIB-Sprecher: „Keine Radikalisierung in Moscheen“

ATIB-Pressesprecher Yasar Ersoy stellte am Freitag in Abrede, dass in ATIB-Einrichtungen türkische Propaganda oder islamistische Inhalte gepredigt werden: „Die Regierung soll mir bitte eine Moschee zeigen, von der Radikalisierung ausgeht“, sagte er der APA. „Das gibt es nicht.“ Man wolle mit der Regierung gemeinsam eine Lösung finden, damit Imame künftig aus Österreich sind.

Von dem Medientermin von gleich vier Regierungsmitgliedern Freitagfrüh zeigte sich der Sprecher „überrascht“. Dass die ATIB-Imame aus der Türkei bezahlt werden, sei kein neues Thema - seit Inkrafttreten des Auslandsfinanzierungsverbot habe man aber keine Lösung gefunden. „Wir haben das nie verheimlicht“, meinte er nun. Es gebe in Österreich schlicht keine geeignete Ausbildung für Imame, aber einen gewissen Bedarf an Imamen, und deshalb müsse man auf türkische Beamte zurückgreifen, argumentierte der Sprecher.

ATIB beschäftigt laut dem Sprecher über 60 Imame, mehr als 40 sind nun von der Prüfung der Regierung betroffen. Einige Einrichtungen seien bereits ohne Imam, weil ihr Aufenthaltstitel nicht verlängert worden sei, bedauerte er. Betroffenen Imamen will man Rechtshilfe anbieten.

„Muslime Spielball der Politik“

Die Aussage des Sprechers des türkischen Präsidenten, dass die Moscheeschließungen und Imam-Ausweisungen ein Ausdruck „der islamophoben, rassistischen und diskriminierenden Welle, die durch dieses Land geht“, seien, wollte Ersoy nicht teilen: „Ich bin kein Freund der Polarisierung und Pauschalisierung.“ Es brauche eine „sachliche Politik auf Augenhöhe“, appellierte er an die Bundesregierung, „wir müssen zurück vom Gas gehen“.

Ibrahim Olgun

APA/Hans Punz

IGGÖ-Präsident Ibrahim Olgun will sich frühestens am Samstag mit einer Stellungnahme melden

Ersoy findet, „wir Muslime sind der Spielball der Politik geworden“. ATIB dagegen sehe sich als „Brückenbauer“. Deshalb sei man auch an einer gemeinsamen „Lösung interessiert“, sodass Imame künftig aus Österreich kommen und mit inländischen Mitteln finanziert werden, sah der Sprecher die Regierung gefordert.

IGGÖ-Präsident Ibrahim Olgun wollte am Freitag keine aktuelle Stellungnahme abgeben. Innerhalb der Glaubensgemeinschaft wurde auf die Sitzung des Obersten Rats am Samstag verwiesen. Danach ist eine Stellungnahme zu erwarten.

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