Merkel gegen Schuldenerlass
Die Regierungswechsel, die vor rund einer Woche in Italien und Spanien vollzogen worden sind, könnten die politischen Gewichte auf europäischer Ebene verändern. In beiden Ländern dürften die neuen Regierenden in mehreren Bereichen eine Kursänderung vornehmen. Vor allem wirtschaftspolitisch könnte das gesamteuropäisch Folgen haben.
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Neben Griechenland waren auch die anderen südlichen EU-Staaten Italien, Spanien und Portugal schwer ins Trudeln geraten. Deutschland hatte - als Bedingung für die milliardenschweren Rettungsbemühungen - den schwer überschuldeten Staaten einen strengen Sparkurs verordnet, der viele Menschen im Alltagsleben schwer traf. Nun sind mit der populistisch-rechten Koalition der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega in Italien sowie mit dem sozialistischen Minderheitskabinett in Spanien in den zwei wichtigsten südeuropäischen Ländern erklärte Gegner dieses Sparkurses an der Macht.
Mehr als das: Sie alle werben seit Langem für ein Ende oder zumindest eine klare Abschwächung des Sparkurses - und finden nicht zuletzt deshalb auch Unterstützung in der Bevölkerung. Was genau die neuen Regierungen in Rom und Madrid in die Wege leiten werden, ist noch unklar. In Spanien hatte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem konservativen Parteifreund Mariano Rajoy jedenfalls einen verlässlichen Partner in wirtschaftspolitischen Fragen. Sozialistenchef und Neopremier Pedro Sanchez will dagegen zumindest „die schlimmsten Auswüchse der bleiernen Sparjahre korrigieren“, wie es die „Süddeutsche Zeitung“ am Sonntag formulierte.
Vorbild Portugal
Bei seiner Angelobung betonte Sanchez, er wolle eine „europafreundliche, sozialistische und auf Ausgleich bedachte“ Politik machen. Als Vorbild in Sachen Wirtschaftspolitik dient Sanchez wohl der kleinere Nachbar Portugal. Das Land, ebenfalls in der Finanzkrise aufgrund der hohen Schuldenlast schwer unter Druck gekommen, wählte entgegen dem Willen und Vorgaben Brüssels und Berlins einen anderen Weg.
Der Sozialist Antonio Costa erhöhte die Staatsausgaben und machte eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“, um den Konsum anzukurbeln - und hatte damit Erfolg. Das Land steht heute deutlich besser da als Spanien, Italien oder Griechenland - und auch die internationalen Investoren vertrauen dieser Politik. Sanchez will nun ebenfalls eine „aktive Arbeitsmarktpolitik“ betreiben und dabei vor allem im Hightech-Bereich aufholen.
Gelingt neben Portugal weiteren europäischen Ländern, mit einer keynesianischen Politik den Weg aus der Krise zu finden, so könnte das die seit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher in Europa vorherrschende wirtschaftspolitische Doktrin (der Markt regelt Probleme selbst, der Staat hat sich möglichst wenig einzumischen, Anm.) zumindest schwächen.
Die zwei „Erzählungen“ der Krise
Vor allem in Ländern wie Deutschland, den Niederlanden und auch Österreich gilt der Sparkurs bis heute vielfach als eine Notwendigkeit, und für den Widerstand in Südeuropa dagegen gibt es entsprechend wenig Verständnis. Es sind zwei völlig gegensätzliche „Erzählungen“ der Krise, die hier aufeinanderstoßen: Hier jene, die die Länder, die jahrelang dank Euro-Währung über ihre Verhältnisse lebten, nun auch noch mit milliardenschweren Krediten und Garantien retten müssen. Dort jene, die sich ausgebeutet und einem wirtschaftspolitischen Diktat ausgeliefert sehen.
Merkel muss auf Macron zugehen
Freilich sind viele Konflikte vorprogrammiert - insbesondere mit Deutschland, das unter dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble und Kanzlerin Merkel praktisch im Alleingang in der Griechenland-Krise den harten Sparkurs vorgab. Das sorgte jahrelang für große politische Turbulenzen und offenbarte vor allem innerhalb der Euro-Zone völlig disparate währungs- und wirtschaftspolitische Vorstellungen. Am wahrscheinlichsten ist, dass die jüngsten Regierungswechsel Merkel dazu bringen, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seinen Plänen für eine Reform der Euro-Zone mehr entgegenzukommen als bisher.
Tatsächlich legte Merkel in einem Interview für die „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ ihre entsprechenden Vorstellungen dar. Merkel kann sich nun die Einführung eines Investitionshaushalts für die Euro-Zone vorstellen. Das steht auch im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD. Merkel sagte nun, dieses Budget solle im „unteren zweistelligen Milliardenbereich“ liegen. Die Kanzlerin will diesen Haushalt schrittweise einführen.
Zusätzliche Strukturhilfe für Südeuropäer
Ob dieses Geld innerhalb des regulären EU-Budgets, also von der Kommission, oder von den Finanzministern der Euro-Zone verwaltet werden soll, ist für Merkel dabei noch offen. Mit dem Geld sollen jedenfalls wirtschaftliche Unterschiede in der Euro-Zone ausgeglichen werden. Berlin wehrt sich seit Jahren dagegen, die Euro-Zone zu einer Schuldengemeinschaft zu machen, sprich: dagegen, dass die Nettozahler, allen voran Deutschland, direkt für die Schulden anderer Euro-Mitglieder haften.
Merkel schlägt nun zudem vor, den Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds weiterzuentwickeln. Dieser könnte kurzfristig Kredite an Länder vergeben, wenn diese in Schwierigkeiten geraten. Dafür müsse es freilich klare Bedingungen und Auflagen geben, wie Merkel betonte. Noch vor dem nächsten EU-Gipfel Ende Juni wollen Berlin und Paris eine gemeinsame Position im weiteren wirtschaftspolitischen Kurs der EU vorlegen. Einen Schuldenerlass schließt Merkel gleichzeitig dezidiert aus.
Paris fordert weitere Zugeständnisse
Paris reagierte erfreut, machte aber klar, dass es weitere Zugeständnisse Merkels erwartet. Bei der Währungsunion müssten Deutschland und Frankreich in den kommenden Wochen noch „für eine ehrgeizigere Vereinbarung zur Bankenunion und der budgetären Kapazität der Euro-Zone“ arbeiten, hieß es aus dem Elysee-Palast.
Auch die EU-Kommission begrüßte die Vorschläge Merkels für eine Reform der Union. Dabei seien Merkels Ideen für die Reform der Euro-Zone aus Kommissionssicht „ein Parameter für eine Einigung in den wichtigen Fragen“. Besonders begrüßte die Kommission, dass die Kanzlerin die Verhandlungen über den nächsten mehrjährigen EU-Finanzrahmen noch vor der Europawahl 2019 abschließen wolle.
Verhandeln gegen die Zeit
Freilich handelt es sich dabei um Maßnahmen, deren Verhandlung und Umsetzung Jahre dauern dürfte. Das Ringen um die Wirtschaftspolitik und die Frage, wie EU-Staaten am besten aus der Krise kommen und krisensicher werden, dürfte derweil unentwegt weitergehen. Eine Prognose, wie dieses ausgehen wird, ist wohl unmöglich: Zu unwägbar sind die wirtschaftlichen Entwicklungen und zu groß derzeit die politische Volatilität in vielen EU-Ländern.
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Guido Tiefenthaler, ORF.at