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Konservative tief im Korruptionssumpf

Dutzende Korruptionsfälle haben in den vergangenen Jahren die spanische Politik erschüttert: Beide - ehemalige - Großparteien, die konservative Volkspartei PP und die Sozialisten (PSOE), kamen immer wieder schwer unter Druck. Die Affäre „Gürtel“ stellte aber alles Bisherige in den Schatten: Zehn Jahre dauerte es, bis die Urteile gesprochen waren - und die PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy an den Rand des Abgrunds brachte.

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2007 brachte eine Anzeige den Fall ins Rollen, es sollte aber mehr als ein Jahr dauern, bis die Affäre an die Öffentlichkeit kam. Nach einer Durchsuchungsaktion in mehreren Städten des Landes nahm die Polizei mehrere Unternehmer fest, die jahrelang lukrative öffentliche Aufträge in PP-regierten Gemeinden in Madrid, Galicien und Valencia erhalten hatten. Zwei der Festgenommenen hatten zudem früher kommunale Ämter bei den Konservativen bekleidet.

Unternehmer als Schlüsselfigur

Bald war auch die Schlüsselfigur klar, der Unternehmer Francisco Correa. Er organisierte unter anderem 20 Jahre lang die Parteiveranstaltungen der PP. Correa galt lange Zeit als enger Freund von Alejandro Agag, dem Schwiegersohn des früheren Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar (1996 bis 2004), und war 2002 auch einer seiner Trauzeugen. Correa gab der Affäre auch den Namen, die deutsche Übersetzung seines Nachnamens lautet in etwa „Gürtel“.

Volkspartei konnte ablenken

Da der Skandal kurz vor einer wichtigen Regionalwahl publik wurde, witterte die sich in der Opposition befindende PP eine Verschwörung und wies alle Vorwürfe zurück. Dass auch noch der bekannte Untersuchungsrichter Baltasar Garzon bei den Ermittlungen federführend war, tat sein Übrigens.

Garzon war früher sozialistischer Abgeordneter gewesen, neben international aufsehenerregenden Menschenrechtsverfahren sorgte er in Spanien mit seinen Ermittlungen gegen zahlreiche hohe Entscheidungsträger des Franco-Regimes für Furore, handelte sich damit aber den Ruf einen, einen Kreuzzug gegen die Konservativen in Spanien zu führen.

Dennoch: Im Juli 2009 trat der Schatzmeister der PP, Luis Barcenas, zurück, ein Jahr später legte er auch sein Mandat als Senator zurück. Um den Skandal wurde es eher still, weil Untersuchungsrichter Garzon plötzlich im Mittelpunkt stand: Wegen illegaler Abhörprotokolle bei den Ermittlungen wurde er vom Fall abgezogen und 2012 sogar mit einem elfjährigen Berufsverbot belegt.

PP gewann Wahl trotzdem

In der Zwischenzeit konnte der Skandal auch der Volkspartei nichts anhaben - und das obwohl fast monatlich neue Namen der Korruption und Günstlingswirtschaft verdächtiger PP-Politiker bekanntwurden. So musste Francisco Camps, konservativer Ministerpräsident der spanischen Mittelmeer-Region Valencia und enger Vertreter Rajoys, wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten. Dennoch gewann die Partei bei der vorgezogenen Parlamentswahl im November 2011 deutlich hinzu und löste die Sozialisten, die wegen der Wirtschaftskrise abgestraft wurden, von der Regierung ab. Rajoy wurde Ministerpräsident.

48 Millionen auf Schweizer Konten

Der nächste Paukenschlag erfolgte erst 2013: Im Zuge der Ermittlungen des nationalen Gerichtshofs gegen Ex-Schatzmeister Barcenas entdeckte die Polizei dessen Bankkonten in der Schweiz. Rund 48 Millionen Euro wurden dort gefunden. Ein Jahr darauf musste die damalige PP-Gesundheitsministerin Ana Mato zurücktreten. Sie wurde in der Schmiergeldaffäre zwar nicht als Verdächtige geführt, soll aber von den mutmaßlichen Vergehen ihres angeklagten Ex-Mannes profitiert haben, als dieser zwischen 2003 und 2009 Bürgermeister des Madrider Vororts Pozuelo de Alarcon war.

Drastische Urteile

2015 wurde das Verfahren gegen knapp 40 Beschuldigte eröffnet. Im Vorjahr musste Rajoy als Zeuge aussagen - und bestritt, von den illegalen Finanzierungen seiner Partei gewusst zu haben. Er habe sich nie um Fragen der Buchhaltung gekümmert, „meine Verantwortlichkeit war politischer Natur“, sagte Rajoy.

Heuer im Mai folgten dann die Urteile: 29 Angeklagte, darunter ehemalige Führungskräfte der PP, wurden wegen Korruption, Unterschlagung, Geldwäsche und illegaler Bereicherung zu insgesamt 351 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Hauptangeklagte Unternehmer Correa wurde zu 51 Jahren und elf Monaten Haft verurteilt. Es-Kassenwart Bacenas muss für 33 Jahre und vier Monate hinter Gitter. Er wurde außerdem zu einer Geldstrafe in der Höhe von 44 Millionen Euro verurteilt.

Umbruch im Parteiensystem

Die Affäre „Gürtel“ und die zahlreichen anderen Korruptionsaffären veränderten aber vor allem auch die politische Landschaft und das Parteiensystem drastisch. Bei der Parlamentswahl 2015 sahen sich die beiden über Jahrzehnte dominierenden Parteien PP und PSOE erstmals einer neuen Konkurrenz gegenüber: Die aus der Wirtschaftskrise genährte Protestbewegung trat als linke Liste Podemos an.

Nachdem sie in Umfragen zeitweise sogar auf Platz eins gelegen war, erreichte sie knapp 21 Prozent. Die liberale Bürgerpartei Ciudadanos holte 14 Prozent. Nachdem das Wahlergebnis 2015 keine klaren Mehrheiten brachte, wurde im Jahr darauf wieder gewählt - mit recht ähnlichem Ergebnis. Und schon jetzt ist klar, dass die beiden neuen Parteien keine Eintagsfliegen waren: In Spanien wird es mittelfristig nicht zwei, sondern vier größere Parteien geben.

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