Zweifel an Verfassungskonformität
Jahrelang haben die Bundesländer über einheitliche Regelungen für die Mindestsicherung verhandelt - ohne Ergebnis. Am Montag legte die Regierung nun einen Entwurf vor, der landesweit gelten soll. Nicht alle Länder können dem viel abgewinnen. Und auch Experten sehen manche Punkte als verfassungsrechtlich heikel.
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Die Reaktionen aus den Ländern reichen von lauter Zustimmung bis zu unverhohlener Skepsis. Applaus für das von ÖVP und FPÖ präsentierte Modell kam aus Nieder- und Oberösterreich. Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bezeichnete sich selbst sogar als Mutter des Regierungsvorstoßes - mehr dazu in noe.ORF.at. Der oberösterreichische Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) begrüßte gegenüber Ö1 die Regierungspläne. Es sei „sehr wichtig“, dass Sozialhilfe für kinderreiche Familien nicht unbegrenzt ausbezahlt werde.
Neue Mindestsicherung
Die Regierung hat sich bei ihrer Klausur auf eine neue Mindestsicherung verständigt. Diese soll in Zukunft bundesweit annähernd gleich hoch sein.
Schon verhaltener ist die Reaktion aus Vorarlberg. Die Grünen stellen sich gegen eine finanzielle Verschlechterung im Land. „(...) für die Betroffenen soll sich das Niveau nicht verändern“, stellte die grüne Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker klar. Sie zweifelt auch an der Verfassungskonformität mancher Punkte wie etwa der Voraussetzung eines bestimmten Sprachniveaus. Die ÖVP Vorarlberg rechnet allerdings schon damit, dass es in einzelnen Bereichen weniger Geld geben könnte. Man müsse nun aber sehen, wo und ob das Land noch Spielraum haben werde - mehr dazu in vorarlberg.ORF.at.
Einbeziehung der Länder vermisst
Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) vermisst, dass die Länder nicht in die Lösungsfindung miteinbezogen wurden, obwohl diese Reformbereitschaft signalisiert hätten. Er warte nun auf alle Details für eine „abschließende Beurteilung“. „Grundsätzlich sinnvoll“ sei es, dass die Bundesregierung die Mindestsicherung an den Spracherwerb koppeln will. Kaiser kritisierte aber, dass gleichzeitig Integrationsmaßnahmen, wie Sprachkurse und das Integrationsjahr gestrichen würden.
Auch der burgenländische Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ) vermisst eine Einbeziehung der Länder. Er halte das Vorgehen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) für „sehr befremdlich“. Er kritisierte dessen „Drüberfahr-Mentalität“: „Sich an Beschlüsse nicht zu halten, die Länder nicht einzubinden und diesen über die Medien einen Vorschlag zu präsentieren ist respektlos und keine Partnerschaft auf Augenhöhe.“ Die Reform bezeichnete er aber „grundsätzlich als guten Ansatz“ - mehr dazu in burgenland.ORF.at.
„Darüber muss man noch reden“
Der Salzburger Soziallandesrat Heinrich Schellhorn (Grüne) zeigt sich vor allem von den geplanten Kürzungen für Kinder wenig begeistert: „Darüber muss man noch reden.“ Auch der Wiener Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) erwartet noch Verhandlungen mit den Ländern: „Wir sind ja nicht Erfüllungsbuben oder Erfüllungsmäderl der Bundesregierung.“ Der Entwurf der Regierung sei eine „Überschriftensammlung und kein Gesetz“. Ähnlich argumentierten auch die Wiener Grünen: „Wien wird sich von der Bundesregierung nicht vorschreiben lassen, wie Sozialpolitik bei uns gemacht wird“ - mehr dazu in wien.ORF.at.
Mit Zurückhaltung reagierte die schwarz-rote Koalition in der Steiermark. Sie erwarte „ehebaldigst“ die Übermittlung eines konkreten Entwurfs mit den finanziellen und sozialen Auswirkungen. Die steirischen Grünen sprechen bei dem Regierungsvorschlag von einem „Armutszeugnis“, denn er verfestige Armut und Ausgrenzung.
Der Tiroler ÖVP-Klubobmann Jakob Wolf meinte in einer Aussendung, dass sich die neue Regelung im Wesentlichen am Westachsen-Modell mit Tirol orientiert habe. Entscheidend sei nun, „dass bei der Erarbeitung des konkreten Gesetzestexts nun auch die Länder eng miteinbezogen werden“. Die SPÖ Tirol sah Diskussionsbedarf: „Wir werden genau darauf achten, dass die Mindestsicherung weiterhin ein Sicherheitsnetz für alle bleibt, die es brauchen. Unser Maß ist dabei das geltende Tiroler Mindestsicherungsgesetz. Gegen Verschlechterungen zu diesem werden wir Widerstand leisten“, sagte Tirols SPÖ-Chefin Elisabeth Blanik - mehr dazu in tirol.ORF.at.
„Wer Österreich liebt, spaltet es nicht“
Bei Hilfsorganisationen stoßen vor allem die starken Kürzungen bei Kindern auf scharfe Kritik. Für Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger ist der Regierungsvorschlag "ein Bekenntnis zu Verschärfung von Kinderarmut. Die Armutskonferenz sieht von den Verschlechterungen nicht nur Flüchtlinge betroffen: „Wir haben gerade die aktuellen Zahlen für Niederösterreich bekommen. Nur jede siebente von den Kürzungen betroffene Person ist asylberechtigt. Die Existenzkürzungen betreffen also in erster Linie ‚Hiesige‘ und schon längst Dagewesene.“

APA/Robert Jaeger
Juristen halten die von der Regierung vorgeschlagenen Zugangsvoraussetzungen für „diskriminierend“
SOS Mitmensch bezeichnete die geplanten Kürzung als „Angriff auf die soziale Stabilität in Österreich“. Es sei das „schlimmste Armutsverschärfungspaket der Zweiten Republik“, das vielen Menschen den Boden untern den Füßen wegziehe. Mit scharfen Worten reagierte auch Caritas-Präsident Michael Landau auf die Regierungspläne: „Keiner Mindestpensionistin geht es besser, wenn es einer kinderreichen Familie schlechter geht. Menschen gegeneinander auszuspielen halte ich für gefährlich. Wer Österreich liebt, spaltet es nicht.“ Das letzte soziale Netz müsse für alle Menschen in Österreich erhalten bleiben - mehr dazu in religion.ORF.at.
Nicht nachvollziehen kann der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), dass zum einen Geld für Deutschkurse gekürzt wird, zum anderen aber Mindestsicherung nur diejenigen bekommen, die gut Deutsch können: „Die Reformen dieser Regierung sind nichts als eine Anhäufung von Widersprüchlichkeiten“, sagte Bernhard Achitz, Leitender Sekretär des ÖGB.
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