Drachen und Wölkchen im Porzellanhimmel
300 Jahre Wiener Porzellan: Noch bevor im Mai eine große Schau im MAK eröffnet wird, startet eine Sonderausstellung im Porzellanmuseum im Augarten schon jetzt ins Jubiläumsjahr. Unter dem Titel „Ewig schön“ geht man der Geschichte des Standorts Wien nach, die bis 1717 und in die Vorstadt Rossau zurückreicht.
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„Es ist tatsächlich eine Räubersgeschichte“, erzählt Harald Bauer, Mitarbeiter des Porzellanmuseums im Augarten, im Gespräch mit ORF.at. Die Rezeptur des europäischen „weißen Goldes“ war gerade erst wenige Jahre alt, eine Kostbarkeit und ein echter Staatsschatz, der in der deutschen Manufaktur in Meißen unter Androhung strengster Strafen gehütet wurde. Dennoch gelang es dem Hofkriegsratsagenten Claudius Innocentius du Paquier im Jahr 1717, das Geheimnis zu lüften und Mitarbeiter nach Wien abzuwerben.
Schon ein Jahr später war es so weit: Die Wiener Fabrik unter kaiserlichem Privileg wurde in der heutigen Liechtensteinstraße in der Vorstadt Rossau eröffnet. Die Versprechungen von Ruhm und Reichtum erfüllten sich nicht. Einer der abgeworbenen Spezialisten flüchtete zurück nach Meißen und richtete vorher einen erheblichen Schaden an, indem er die Brennöfen und die Porzellanmasse zerstörte – ein Versuch, den früheren Arbeitgeber zu kalmieren.
Von Barock bis zeitgenössischem Design
Von diesen wilden Anfängen ist im Porzellanmuseum wenig zu bemerken: Im Gegensatz zur Publikation, die die Geschichte ausführlich darstellt, setzt man hier vor allem auf die Schönheit der historischen Exponate und auf die dahinterstehenden Geschichten. Rund 250 ausgewählte Objekte illustrieren die speziellen Charakteristika ihrer Schaffensperioden.

ORF.at/Dominique Hammer
Ausschnitt der Installation „Baiser Wolken und Drachen", in der Mitte ein Tafelaufsatz von 1750-60
Von den feingliedrigen und farbenprächtigen Illustrationen des Barock, den heiteren Motiven des Rokoko, der klassizistischen Ornamentik, der Einfachheit des Biedermeier, den Klassikern des Art Deco und den farbenfrohen Objekten der 1950er Jahre bis hin zum zeitgenössischen Design aus dem 21. Jahrhundert: Man sieht hier, dass nicht nur solide Fachleute am Werk waren, sondern ausnahmslos handwerklich versierte Künstlerinnen und Künstler, die die Themen ihrer Zeit in Gebrauchs- und Dekorationsgegenständen verarbeiteten.
Überraschungen zum Dessert
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine Vitrine ganz in weiß. Hermes, Orpheus und Diana haben sich hier versammelt, daneben ein Drache und mehrere Wölkchen. Alles höchst kunstfertig, aber mit einem entscheidenden Unterschied: Drache und Wölkchen sind aus luftigem Baiser geformt, gestaltet von der Hofkonditorei Demel. „Eine moderne Interpretation eines Dessertaufsatzes“, so die Kuratorin der Ausstellung, Claudia Lehner-Jobst.
Ausstellungshinweis
„Ewig Schön. 300 Jahre Wiener Porzellan 1718–2018“, bis 13. Oktober, Porzellanmuseum Augarten, montags bis samstags 10.00 bis 18.00 Uhr. Zur Ausstellung ist ein Katalog im Residenz Verlag (192 Seiten, 35 Euro) erschienen.
Ein solcher Tischschmuck war unter Maria Theresia besonders populär geworden. Die österreichische Kaiserin, die das Porzellan sehr ins Herz geschlossen hatte und die Fabrik 1744 vor dem Konkurs rettete, ließ ihre Leidenschaft für exzessive Faschingsfeste gerne in Porzellanfiguren verewigen. Diese habe sie dann mit dem Dessert auftischen lassen, sagt Lehner-Jobst: „Mit dem Dessert wollte man immer die Gäste überraschen – und das wollte man auch mit dem Porzellan.“
Brennofen als Ausstellungsraum
Vom Verhältnis der Krone zum Porzellan berichtet auch ein anderes Objekt, eine ganz in Gold gehaltene Terrine aus dem 19. Jahrhundert. Bis auf die Nachspeise verlangte es nämlich das Protokoll des Hofes, von goldenem Geschirr zu speisen. In Kriegszeiten, als das Edelmetall knapp war, ummantelte man deswegen das Porzellan mit einer dünnen Goldschicht.

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Rassismus macht auch vor Porzellan nicht halt: Vally Wieselthiers „Eitelkeit“ (1925), die einen schwarzen und einen chinesischen Pagen zeigt, spiegelt die verklärende Faszination des Fremden in den 1920ern wider
Ausgestellt ist diese kostbare Terrine in einer „Black Box“ der besonderen Art – im ehemaligen Brennofen der Porzellanmanufaktur. Nach einer Schließzeit von rund 60 Jahren war die Fabrik 1923 im Augarten wiedereröffnet worden. Der Beginn einer neuen Blütezeit, im Lichte der Idee des Gesamtkunstwerks rund um die Entourage des Josef Hoffmann.
Die Klassiker der 1920er Jahre
Dem Art Deco ist auch ein großes Kapitel der Ausstellung gewidmet: Neben Hoffmanns berühmtem Porzellanservice im „Melonendesign“ sieht man hier etwa die figuralen Arbeiten von Ena Rottenberg, Mathilde Jaksch und Vally Wieselthier, die die Dynamik und den Zeitgeist der 1920er und 1930er widerspiegeln: die lässige Dekadenz, ein im Umbruch befindliches Frauenbild, aber auch die exotischen Begehrlichkeiten.

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Der Parfumflakon „Vulpini“ des Designerduos Wendy & Jim hat über ein Jahr Entwicklungszeit benötigt
In dieser produktivsten Phase der Manufakturgeschichte seien innerhalb von sieben Jahren gleich 80 Figuren entstanden, erzählt Bauer. „Das klingt vielleicht nicht so, ist aber tatsächlich enorm. Heute haben wir teils Monate Entwicklungszeit für eine Figur.“ Zu den aufwendigeren Arbeiten zählt etwa ein Auftrag des Designerpaars Wendy & Jim: ein Parfumflakon ausschließlich aus Porzellan, der einen Fuchsschädel nachbildet.
Gleich neben dem Museum produziert man in der Porzellanmanufaktur Augarten heute noch in aufwendiger Handarbeit, ganz ohne Digitalisierung und Automatisierung. Verändert hat sich nur, dass man ab den 1950er Jahren nicht mehr im Holzofen brennt, sondern mit Gas. Der Brennprozess hat sich dadurch von sieben Tagen auf 24 Stunden verkürzt.
Links:
Paula Pfoser (Text), für ORF.at, Dominique Hammer (Bild), ORF.at