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Verbindungsleute in Regierung?

Hinter dem Doppelmord an einem slowakischen Aufdeckungsjournalisten und seiner Verlobten könnte laut Medienberichten die italienische Mafia Kalabriens, die ’Ndrangheta, stecken. Die letzte Reportage des ermordeten Jan Kuciak sollte offensichtlich dieses komplizierte Netzwerk mit Verbindungen bis in höchste slowakische Regierungsstellen offenlegen.

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Den unvollständigen Text veröffentlichten am Mittwochvormittag mehrere slowakische Medien in Zusammenarbeit mit dem Internetportal Aktuality.sk, für das Kuciak gearbeitet hatte. Polizeichef Tibor Gaspar hatte zuvor bereits erklärt, dass das Motiv für den Mord „höchstwahrscheinlich mit der investigativen Arbeit des Journalisten“ in Zusammenhang stehe. Die Polizei hatte Kuciak und seine Verlobte am Sonntag erschossen in ihrem Haus in Velka Maca östlich von Bratislava aufgefunden. Sie wurden durch Schüsse in Kopf und Brust getötet.

Slowakischer Premier Robert Fico

APA/AFP/Vladimir Simicek

Der slowakische Ministerpräsident Robert Fico bietet eine Belohnung von einer Million Euro für Hinweise

„Geheimdienst kennt die Namen“

Der 27-jährige Kuciak hatte bei Aktuality.sk, das zum Medienkonzern Ringier Axel Springer Slovakia gehört, immer wieder über mutmaßlichen Steuerbetrug berichtet und hatte dabei vor allem prominente Unternehmer im Visier, die nach seinen Recherchen Geschäftsverbindungen zur regierenden sozialdemokratischen Partei SMER und zu Kreisen der organisierten Kriminalität haben sollen.

Kalabrische Mafia

Die ’Ndrangheta ist eine Vereinigung der kalabrischen Mafia, deren Aktionsradius ganz Europa, Nord- und Südamerika sowie Russland und Australien umfasst.

Vermutungen in Richtung der italienischen Mafia hatte Anfang der Woche auch schon Tom Nicholson, Investigativjournalist der slowakischen Tageszeitung „Sme“, geäußert. Nicholson sagte, Kuciak habe betrügerische Zahlungen von EU-Geldern an in der Slowakei lebende Italiener mit Verbindungen zur kalabrischen Mafia untersucht. „Jan und ich arbeiteten mit Geheimdienstdokumenten“, schrieb Nicholson in einem Artikel für „Politico“. Der slowakische Geheimdienst kenne bereits „die Namen der Gangster“.

Betrug mit EU-Förderungen

Nach Kuciaks Recherchen hatten sich mutmaßliche Mitglieder der ’Ndrangheta im Osten der Slowakei auf Steuerbetrug mit fingierten Rechnungen sowie Betrügereien mit EU-Förderungen spezialisiert. Sollten Kuciaks Recherchen stimmen, wäre es ihnen gelungen, Verbindungsleute bis direkt in das Büro des sozialdemokratischen Regierungschefs Robert Fico zu schleusen.

Jan Kuciak

APA/AP/Aktuality.sk

Jan Kuciak recherchierte zu Steuerbetrug und Korruption

Damit hätten sie Zugang zu geheimsten Staatsinformationen bekommen und wären auch bestens über geplante Sicherheitsmaßnahmen informiert gewesen. Nach Kuciaks Recherchen soll sogar die persönliche Assistentin Ficos, Maria Troskova, vorher für italienische Unternehmer gearbeitet haben, die mit der Mafia in Verbindung und deshalb im Visier der italienischen Justiz gestanden sein sollen.

Zwei Personen aus dem Umkreis eines Mannes, der „in Italien in einem Mafia-Fall beschuldigt worden war, haben täglich Zugang zum Ministerpräsidenten des Landes (Slowakei)“, schrieb Kuciak in einem postum am Mittwoch auf Aktuality.sk veröffentlichten Artikelfragment. Der Artikel ist der letzte, unvollendete Bericht des Journalisten.

Warnsignal an mögliche weitere Opfer

Die slowakische Polizei hatte schon vor der jüngsten Veröffentlichung angekündigt, eng mit den italienischen Behörden zusammenarbeiten zu wollen. Neben den Leichen der beiden Ermordeten waren Berichten zufolge scharfe Schusspatronen zurückgelassen worden. Das wird als Warnsignal an mögliche weitere Opfer gedeutet.

Wegen Drohungen einflussreicher Personen gegen ihn hatte Kuciak bereits im vergangenen Herbst Strafanzeige erstattet. Zuletzt hatte Kuciak auch von einem der kritisierten Unternehmer Drohungen bekommen. Dabei soll es aber nicht um mögliche Gewaltanwendung gegangen sein, sondern der Unternehmer Marian Kocner wollte Medienberichten zufolge über Kuciak und seine Familie ähnliche „Schmutzberichte sammeln“ wie dieser über ihn.

Experte erwartet „politisches Erdbeben“

Der politische Analyst Grigorij Meseznikov erwartet, dass der Mord und seine möglichen Verbindungen zur slowakischen Politelite „ein politisches Erdbeben auslösen“ könnten. Ministerpräsident Fico ist überdies bekannt für seine scharfe Kritik an Medien - bis hin zu Beschimpfungen von Journalisten vor allem der Tageszeitungen „Sme“ und „Pravda“ als „alberne Hyänen“, „schmutzige, antislowakische Prostituierte“, „schleimige Schlangen“, „Kriecher der Opposition“.

Kulturminister überraschend zurückgetreten

Der slowakische Kulturminister Marek Madaric (SMER) gab am Mittwoch überraschend seinen Rücktritt bekannt. Seine Entscheidung stehe in Zusammenhang mit der Ermordung von Kuciak, teilte der Ressortchef mit. „Jeder normale Mensch im Land“ sei nach dem Mord an dem Journalisten und dessen Freundin erschüttert, sagte Madaric. Sein Ressort stehe aber von der Regierung den Medien am nächsten. „Nach dem, was geschehen ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass ich weiter ruhig in meinem Ministersessel sitzen werde“, sagte er.

Teile der Opposition forderten bereits den Rücktritt von Polizeichef und Innenminister. Beide hätten es nicht geschafft, Kuciak zu beschützen, obwohl dieser Drohungen gegen ihn angezeigt hatte.

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