Freilassung nach einem Jahr in U-Haft
Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel ist am Freitagabend in Berlin eingetroffen, nachdem er kurz zuvor vom Flughafen in Istanbul die Türkei verlassen hatte. Ein türkisches Gericht ordnete zuvor seine Freilassung an, er hatte sich über ein Jahr ohne formelle Klage in Untersuchungshaft befunden.
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Bilder zeigten den Journalisten, wie er auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul in ein Flugzeug steigt. Seine Ehefrau Dilek Mayatürk Yücel schloss den 44-Jährigen noch beim Gefängnis in ihre Arme. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb sie zuvor: „Endlich!!! Endlich!!! Endlich!!! Deniz ist frei!“ Die beiden hatten im April 2017 im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul geheiratet.

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Yücel kam am Freitagabend auf dem Flughafen in Istanbul an, von dort aus verließ er die Türkei
Yücel selbst freut sich nur eingeschränkt über seine Freilassung aus türkischer Haft. „Ich weiß immer noch nicht, warum ich vor einem Jahr verhaftet wurde, genauer, warum ich vor einem Jahr als Geisel genommen wurde - und ich weiß auch nicht, warum ich heute freigelassen wurde“, sagte Yüvel in einer am Freitagabend per Twitter verbreiteten Videobotschaft. „Eine Anklage hab’ ich immer noch nicht. Natürlich freue ich mich, aber es bleibt etwas Bitteres zurück“, so Yücel.
Staatsanwaltschaft fordert bis zu 18 Jahre Haft
Yücel wurde am Freitag von den türkischen Behörden freigelassen. Er war in der Türkei über ein Jahr ohne Anklage inhaftiert. Ein türkisches Gericht ordnete nun die Freilassung an, nachdem die Staatsanwaltschaft eine Anklage angeordnet hatte.
Einem Agenturbericht zufolge fordert die Staatsanwaltschaft zwischen vier und 18 Jahre Haft für Yücel. Ihm werden „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“ vorgeworfen. Zuvor hatte Yücels Anwalt Veysel Ok getwittert: „Und endlich gibt es für meinen Mandanten Deniz Yücel einen Entlassungsbefehl.“
Schröder soll geholfen haben
Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) habe geholfen, „Türen aufzumachen in Istanbul“, so der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). Schröder sei zweimal dort gewesen. Gabriel sprach in den Räumen der „Welt“, für die Yücel als Türkei-Korrespondent gearbeitet hat. Für den Auftritt an der Seite von Chefredakteur Ulf Poschardt und Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner reiste der Minister kurzfristig von der Münchner Sicherheitskonferenz an.
Gabriel dankt Türkei
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) dankte Gabriel für seine Bemühungen um die Freilassung Yücels. Sie hoffe, dass es auch in anderen, weniger prominenten Fällen Bewegung gebe. Gabriel begrüßte die Entscheidung der türkischen Justiz: „Ich danke ausdrücklich der türkischen Regierung für ihr Unterstützung bei der Verfahrensbeschleunigung.“ Er habe selbst viele direkte Gespräche mit türkischen Regierungsvertretern geführt. Gabriel: „Die Unabhängigkeit der Gerichtsentscheidung war immer zentrales Anliegen in allen Gesprächen. Umso mehr freut mich die heutige Entscheidung.“

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Außenminister Gabriel bei einer Pressekonferenz nach Yücels Freilassung
„Es gibt keine Verabredungen“
Die Freilassung Yücels ist nach Angaben Gabriels nicht auf Gegengeschäfte zwischen Deutschland und der Türkei zurückzuführen. „Ich kann Ihnen versichern, es gibt keine Verabredungen, Gegenleistungen oder, wie manche das nennen, Deals in dem Zusammenhang“, sagte der SPD-Politiker am Freitag in Berlin. Politische Einflussnahme habe es allenfalls bei der „Verfahrensbeschleunigung“ gegeben.
Gabriel rief dazu auf, den Moment zu nutzen, „alle Gesprächsformate“ wieder in Gang zu setzen, um bei grundsätzlichen Fragen zwischen der Türkei, Europa und Deutschland voranzukommen. „Wir haben eine Vertrauensgrundlage geschaffen, in der das möglich ist. Wir sollten jetzt nicht nachlassen“, so Gabriel.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch hatte die deutsche Regierung ermahnt, keine problematischen Verabredungen mit der türkischen Regierung zu treffen. Die Freude über Yücels Freilassung dürfe nicht vergessen machen, dass in der Türkei weiter mehr Journalisten inhaftiert seien als in jedem anderen Land.
Drei weitere Journalisten verurteilt
Nach Yücels Freilassung sitzen noch sechs weitere Deutsche aus politischen Gründen in der Türkei in Haft. Laut Amnesty International sind noch über hundert weitere Journalisten und Journalistinnen in der Türkei ebenfalls in Haft. Erst am Freitag wurden drei prominente Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Das Gericht sah es am Freitag als erwiesen an, dass die drei Männer den gescheiterten Putsch im Sommer 2016 unterstützt hätten. Das Gericht fällte das Urteil, obwohl einer der Männer nach Anordnung des höchsten türkischen Gerichts freigelassen werden sollte.
Erleichterung über Yücel-Freilassung
Dennoch erntet die Entscheidung der türkischen Justiz nicht nur in Deutschland große Zustimmung. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker etwa begrüßte die Entscheidung. Er habe „fortwährend die Freilassung von Herrn Yücel gefordert“. Erst im Jänner hatte Juncker betont, dass es keine Fortschritte in den Beziehungen zur EU geben könne, „solange Journalisten noch in türkischen Gefängnissen sind“. Juncker wies aber zurück, dass diese eine Bedingung für ein Ende März geplantes Spitzentreffen der EU mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gewesen sei.
Erleichterung über Yücels Freilassung zeigte auch der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner. Die große Solidarität mit Yücel unterstreiche die Bedeutung von Pressefreiheit und unabhängigem Journalismus. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) sprach von einem „Sieg für die Pressefreiheit“.
Der türkischstämmige Autor Dogan Akhanli freute sich über die Freilassung, sieht in der Entscheidung aber eine Bestätigung für die Willkür der türkischen Regierung. Die Freilassung sei nur „ein Symbol“. Aber der Druck der deutschen Regierung sei in den vergangenen Tagen wohl zu groß geworden.
Vorwürfe wegen Terrorunterstützung
Der 44-jährige Journalist war am Mittwoch vor einem Jahr festgenommen und ohne formelle Anklage in Untersuchungshaft festgehalten worden. Ihm wurde Terrorunterstützung vorgeworfen. Die Inhaftierung hatte die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Bewegung in seinem Fall hatte sich erst in den vergangenen Tagen gezeigt.

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Yildirim machte erste Andeutungen einer möglichen Freilassung bei seinem Besuch in Berlin
So sagte etwa der türkische Regierungschef Binali Yildirim vor seinem Besuch bei Merkel am Donnerstag gegenüber der ARD, dass er auf eine baldige Freilassung Yücels hoffe. Yildirim ist zwar Regierungschef, maßgeblich ist aber Staatspräsident Erdogan. Erdogan hatte Yücel nach dessen Inhaftierung als „deutschen Agenten“ und „Terroristen“ bezeichnet. Yildirims neue Aussagen dürften mit Erdogan abgesprochen gewesen sein.
„Türkei ist ein Rechtsstaat“
Merkel hatte nach dem Treffen mit Yildirim gesagt, „dass dieser Fall eine besondere Dringlichkeit für uns hat“. Auch Gabriel hatte sich „optimistisch“ gezeigt, dass es „bald zu einer Gerichtsentscheidung“ kommen werde. Wie Gabriel deutete auch Yildirim an, dass doch ein Gerichtsverfahren eröffnet werden könnte. Das ist nun mit der am Freitag vorgelegten Anklageschrift möglich.
„Wenigstens wird er vor Gericht erscheinen, und jede Verhandlung ist eine Chance, damit er freikommt“, sagte der Ministerpräsident. „Die Türkei ist ein Rechtsstaat. In Rechtsstaaten entscheiden die Gerichte über die Prozesse.“ Die EU beklagt seit Langem eine Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Nach der Entscheidung der Freilassung Yücels sieht Yildirim nun eine mögliche Verbesserung der Beziehungen mit Deutschland: „Es scheint, dass heute einige Probleme in den deutsch-türkischen Beziehungen der letzten Zeit gelöst wurden.“
Solidaritätsveranstaltungen für Yücel
Erst am Mittwoch, zum Jahrestag der Festnahme, gab es zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen für Yücel. In Berlin forderten am Mittwochabend bei einer Lesung unter anderen der Sänger Herbert Grönemeyer und die TV-Journalistin Anne Will die sofortige Freilassung des „Welt“-Korrespondenten.

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Solidaritätsveranstaltungen für Yücel fanden zum Jahrestag seiner Inhaftierung in Deutschland statt
Im hessischen Flörsheim am Main nahmen Unterstützer Yücels an einer Mahnwache teil. In dem Ort leben Yücels Eltern und seine Schwester. „Er hat sich nicht einmal in irgendeinem juristischen Sinne schuldig gemacht. Er hat einfach nur seinen Job gemacht“, sagte dort Frank Überall, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Er beklagte „abstruse, diffuse Vorwürfe“ gegen Yücel.
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