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Autokorso zum Geburtstag

Als Deniz Yücel im Frühjahr 2015 in die Türkei gegangen ist, wusste er, dass kritische Berichterstattung dort schwierig sein kann. Womit der „Welt“-Korrespondent nicht rechnen konnte: dass er im Gefängnis zum Symbol der Krise zwischen Berlin und Ankara werden würde.

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Am 14. Februar 2017 trat Yücel den Gang zum Istanbuler Polizeihauptquartier an. Er hatte sich trotz allem seinen unverwüstlichen Optimismus bewahrt. „Wird schon“, schrieb er kurz davor, und tatsächlich hatten Freunde und Kollegen zunächst noch Hoffnung: Zwar wurde nach dem „Welt“-Korrespondenten gefahndet, aber vielleicht würden sich die bizarren Terrorvorwürfe bei der Vernehmung ja in Luft auflösen. Und würden die türkischen Behörden wirklich eine Krise mit Deutschland riskieren, um einen unbequemen Journalisten hinter Gitter zu stecken? Am Ende geschah bekanntlich genau das.

Terrorvorwürfe wegen Yücels Artikel

Nach 13 Tagen Polizeigewahrsam wurde Untersuchungshaft gegen Yücel verhängt - wegen Terrorvorwürfen, die auf seinen Artikeln basierten. Zu dem Zeitpunkt hatte Yücel, der neben dem deutschen auch den türkischen Pass besitzt, noch keine zwei Jahre in seinem Traumjob gearbeitet. Für die Stelle als Türkei-Korrespondent war er im Frühjahr 2015 von der „tageszeitung" ("taz“) in Berlin zur „Welt“ gewechselt. Herausgeber der linken „Jungle World“ ist der Journalist aus dem hessischen Flörsheim heute noch.

Yücel spricht fließend Türkisch, er bereiste das Land wie kaum ein anderer deutscher Korrespondent. Häufig war er in den Kurdengebieten im Südosten des Landes unterwegs. Dass seine kritischen Artikel der Regierung in der Türkei missfallen würden, war früh klar. Yücel selber schrieb in einem Text aus dem Gefängnis im Mai 2017: „Mir war bewusst, welchen Preis man immer schon in diesem Land für würdevollen Journalismus mitunter bezahlen musste. Diese Möglichkeiten habe ich in Kauf genommen, als ich diese Aufgabe übernahm.“

Gegen Tauschhandel

Einen wie auch immer gearteten Tauschhandel für seine Freilassung wollte Yücel nicht, erst recht nicht, solange etliche türkische Journalisten hinter Gittern sind. Auch nach mehr als elf Monaten hinter Gittern sagte er in einem dpa-Interview: „Für schmutzige Deals stehe ich nicht zur Verfügung.“ Stattdessen forderte er von Anfang an einen fairen Prozess, der nach seiner Überzeugung gar nicht anders als mit einem Freispruch enden könne. Er werde „dieses Gefängnis nicht durch eine Hintertür verlassen, sondern durch jene Vordertür, durch die ich es betreten habe“, wie er in der „Welt“ schrieb.

Autokorso für Yücel

Den Jahrestag seiner Festnahme - es war der Mittwoch - verbrachte Yücel aber noch im Gefängnis. Bis dahin hatte die Staatsanwaltschaft immer noch keine Anklageschrift vorgelegt. Seinen 44. Geburtstag musste Yücel am 10. September 2017 ebenfalls in Haft verbringen. Seine Unterstützer schenkten ihm einen der von ihm geliebten Autokorsos. Teilnehmer hielten „#FreeDeniz“-Schilder aus den hupenden Fahrzeugen in Berlin. In der Hauptstadt prangte derselbe Hashtag mit Yücels Foto nach der Festnahme auf dem Springer-Hochhaus.

Literaturnobelpreisträger und Musiker, Sportler und andere Prominente setzten sich für die Freilassung des Reporters ein, der zum Symbol für die Krise zwischen Berlin und Ankara wurde. Selbst wenn aus dem rechten politischen Spektrum und von Deutschtürken auch Kritik laut wurde, so ging durch Deutschland doch eine Welle der Solidarität, die in diesem Ausmaß selten zu beobachten ist.

Zahlreiche Auszeichnungen

Ausdruck dafür sind auch die zahlreichen Auszeichnungen für Yücel: Theodor-Wolff-Sonderpreis, Leipziger Medienpreis, Sonderpreis bei den Journalisten des Jahres 2017, und nicht zu vergessen, auch wenn das kein Branchenpreis ist: In einer „Playboy“-Umfrage wurde Yücel unter die Männer des Jahres 2017 gewählt, im Bereich Politik musste er sich nur dem deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier geschlagen geben.

Yücel sagte dazu: "Ich danke allen, die mich gewählt haben, und gratuliere Herrn Steinmeier zum Sieg. Ansonsten halte ich es mit meinem Lieblingsclub Bayer Leverkusen, wo man in diesen Fällen stets zu sagen pflegt: Wir sehen die Vizemeisterschaft als Herausforderung, um im nächsten Jahr im Kampf um den Titel voll anzugreifen."

Hochzeit im Gefängnis

Steinmeier war es, der in seiner Antrittsrede im März 2017 an die Adresse seines türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan gesagt hatte: „Respektieren Sie den Rechtsstaat und die Freiheit von Medien und Journalisten! Und geben Sie Deniz Yücel frei!“ Nicht nur seinen Geburtstag musste Yücel im Gefängnis verbringen, auch zur eigenen Hochzeitsfeier konnte er nicht kommen: Am 12. April 2017 heiratete er im Gefängnis seine Freundin Dilek Mayatürk.

Bei der Feier am Abend in Istanbul waren die Braut, Angehörige und Freunde unter sich, während der Bräutigam alleine hinter Gittern saß - und zwar so richtig alleine: Erst nach neun Monaten wurde seine Isolationshaft gelockert. „Isolationshaft ist Folter. Auch wenn ich eigentlich guter Dinge bin, kann ich nicht absehen, welche langfristigen Folgen das haben wird“, hatte Yücel kurz zuvor der „taz“ gesagt. Quasi im selben Atemzug bewies er ein weiteres Mal, dass er seinen Humor auch im Gefängnis nicht verloren hat: „Nur eine Folge ahne ich bereits: Ich werde jeden vollquatschen, der mir über den Weg läuft. Am meisten wird das natürlich Dilek ausbaden müssen.“

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