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Von null auf 100 und zurück

Selten hat ein bundesdeutscher Spitzenpolitiker eine turbulentere Berg-und-Tal-Fahrt hingelegt wie Martin Schulz. Am 19. März 2017 war er mit 100 Prozent der Stimmen von den 605 Delegierten eines SPD-Parteitages zum neuen Chef der traditionsreichen sozialdemokratischen Partei gewählt worden.

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Seine Beliebtheitswerte schossen nach oben und nährten in der Partei kurzzeitig die Hoffnung, er könnte es schaffen, Angela Merkel bei der Bundestagswahl am 24. September die Kanzlerschaft streitig zu machen. Tausende Menschen traten in die SPD ein, von einem „Schulz-Hype“ und einem „Schulz-Zug“ war die Rede. Nicht einmal ein Jahr später ist alles zu Ende, der Zug steht auf dem Abstellgleis. Schulz verzichtete nach heftiger interner Kritik darauf, Außenminister zu werden. Schon vorher hatte er angekündigt, den Parteivorsitz abzugeben.

Kurz vor der Erklärung von Schulz, dass er nun doch nicht Außenminister werden will, hatte eine Forsa-Umfrage den Vertrauensverlust des ehemaligen Präsidenten des Europaparlaments deutlich gemacht. Drei von vier Befragten hielten ihn als neuen Chefrepräsentanten Deutschlands in der Welt für ungeeignet. Und auch eine Mehrheit der eigenen Parteianhänger wollten ihn nicht in der Regierung Merkel sehen, ganz so, wie es Schulz selbst nach der Wahlniederlage versprochen hatte.

Glaubwürdigkeitsproblem innerhalb der Partei

„In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten“, lautete sein Credo. Kein halbes Jahr später, nachdem die SPD ihre Koalitionssondierungen mit der Union abgeschlossen hatte, signalisierte er, dass das nicht mehr gelte. Und nach dem Ende der Koalitionsverhandlungen in dieser Woche machte er klar: Er wolle Außenminister werden. Damit wurde Schulz, der sich gerne als entschiedener, unbeugsamer Kämpfer für große sozialdemokratische Werte und bürgernah darstellte, für viele in der Partei zu einem Glaubwürdigkeitsproblem.

Denn nicht nur, als es um ihn und seine eigene politische Zukunft ging, hatte er seine Position flugs völlig geändert. Auch seine vollmundige Ankündigung nach dem desaströsen Wahlergebnis für die Sozialdemokraten, dass er die SPD nun in einem Erneuerungsprozess in der Opposition führen wolle, hatte er nach dem Scheitern der Jamaika-Koalitionsbemühungen von CDU, CSU, FDP und Grünen aufgegeben. Viele Parteifreunde nahmen ihm das übel.

Zerwürfnis der „Freunde“ Schulz und Gabriel

Am Ende war es ein Streit um Posten, der das vorläufige Ende von Schulz’ bundespolitischer Karriere markierte: der Konflikt mit seinem früheren Freund Sigmar Gabriel. Der hatte ihm vor knapp einem Jahr vermeintlich großzügig das Amt des Parteichefs überlassen. Dass ihn Schulz nun auch noch als Außenminister beerben wollte, ließ Gabriel öffentlich schäumen.

„Was bleibt, ist eigentlich nur das Bedauern darüber, wie respektlos bei uns in der SPD der Umgang miteinander geworden ist und wie wenig ein gegebenes Wort noch zählt“, zürnte der in Umfragen beliebteste SPD-Politiker. Und so mancher in der SPD äußerte Verständnis. Am Ende drohte dieser Streit die Debatte, ob die SPD-Mitglieder den Koalitonsvertrag als Basis für eine neue Regierungszusammenarbeit mit Merkels CDU und der CSU akzeptieren, in den Hintergrund zu drücken. Das sah Schulz selbst ein: „Durch die Diskussion um meine Person sehe ich ein erfolgreiches Votum allerdings gefährdet“, sagte er.

Schulz’ Verzicht „war notwendig“

Allerdings steht Schulz mit der Fehleinschätzung der Lage nicht allein in der SPD. In der Parteispitze war man angesichts der aus Sicht der Parteiführung großen inhaltlichen Erfolge im Koalitionsvertrag und der „schwergewichtigen Ministerien“ für die SPD davon ausgegangen, dass ein Verzicht von Schulz auf den Parteivorsitz und der damit verbundene Generationenwechsel zu Andrea Nahles ausreichten, um bei den Mitgliedern ausreichend Zustimmung für die Neuauflage der Großen Koalition zu erhalten. „Darin hat man sich getäuscht“, sagt ein Vorstandsmitglied. „Der Verzicht von Martin Schulz auch auf einen Kabinettsposten war notwendig.“

Europa als zentrales Thema

Gestartet war Schulz 2017 in seine bundespolitische Karriere mit dem Ruf des Vollbluteuropäers. Selbst parteipolitische Gegner wie der CSU-Politiker Manfred Weber bescheinigten dem langjährigen Präsidenten des Europaparlaments „herausragende Arbeit und ein herausragendes Engagement für Europa“. Das war und blieb das größte Pfund, mit dem Schulz auch im Wahlkampf und den Koalitionsgesprächen mit der Union wucherte. Ergebnis: Das Thema Europa steht prominent am Anfang des Koalitionsvertrags mit der Union.

Leidenschaft und Kampfeswillen wurden dem 62-Jährigen zugeschrieben. In seiner Brüsseler Zeit war er immer ansprechbar, zeigte Präsenz und wurde somit eines der Gesichter der EU. Dass er eigentlich Fußballprofi werden wollte, ihn erst eine Verletzung stoppte, dass er in früheren Jahren seine Alkohlabhängigkeit überwand - all das machte ihn lange in den Augen vieler Beobachter sehr menschlich, bodenständig.

Dieses Bild versuchte er beharrlich zu pflegen - am Ende aber ohne den erhofften durchschlagenden Erfolg. Mit gerade etwas mehr als 20 Prozent fuhr die SPD bei der Bundestagswahl 2017 ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis ein. Da hatte das Verglühen seines Sterns am bundespolitischen Himmel schon begonnen. In einer am 7. und 8. Februar erhobenen Forsa-Umfrage wollten dann nur noch zwölf Prozent Schulz die Stimme geben, falls er direkt gegen Merkel antreten könnte.

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