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Union lässt Einigkeit vermissen

Während die SPD sich nach dem Rückzug von Martin Schulz in Personaldebatten verstrickt, rumort es auch beim künftigen Koalitionspartner. Vor allem die CDU ist unzufrieden mit der Ressortaufteilung. Dass die SPD das Finanzministerium bekommen soll, stößt gerade dem Wirtschaftsflügel sauer auf. Er kündigt „Korrekturen“ an.

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Der Koalitionsvertrag sei keine Bibel, sagte CDU-Mittelstandspolitiker Christian von Stetten. „Die Gesetze werden im Bundestag gemacht, nicht bei Koalitionsverhandlungen.“ Was nicht durchdacht sei, könne aufgehalten und korrigiert werden. Gegenüber der „Augsburger Allgemeinen“ sagte er, dass die Wirtschaftspolitiker Vorhaben im deutschen Bundestag blockieren könnten: „Jetzt ist die Mehrheit nicht mehr so groß, und die Regierung muss um jeden Abgeordneten kämpfen und jeden überzeugen.“

Angela Merkel (CDU) und Paul Ziemiak (CDU)

APA/AFP/Odd Andersen

Junge-Union-Chef Paul Ziemiak ist mit dem Koalitionsvertrag nicht zufrieden

Als großen Fehler bezeichnete von Stetten zudem die Abgabe des Finanzministeriums an die SPD. Ähnlich äußerte sich CDU-Haushaltspolitiker Eckhardt Rehberg im NDR. Junge-Union-Chef Paul Ziemiak hatte zuvor erklärt, viele in der Partei hielten den Vertrag für schlecht verhandelt. Wäre die Regierungsbildung an dieser Aufteilung gescheitert, hätten die Bürger die Union für „verrückt“ erklärt, sagte hingegen Fraktionschef Volker Kauder. Die Union sei Garant von Stabilität und Verlässlichkeit – auch wenn der Preis in dieser einen Frage ohne Zweifel sehr hoch gewesen sei.

Ostdeutsche Länder vermissen Vertreter

Kritik gibt es zudem an der kolportierten Besetzung der neuen Regierung. Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), fordert im Kabinett Vertreter der ostdeutschen Bundesländer. „Bayern hat zwölf Millionen Einwohner und stellt drei Minister. Die neuen Bundesländer, die 1990 hinzugekommen sind, sind 15 Millionen Einwohner und haben keinen Ressortminister“, sagt er dem Bayerischen Rundfunk.

Daniel Guenther (CDU)

APA/AFP/Adam Berry

Eine personelle Erneuerung in der CDU fordert der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, fordert überhaupt eine personelle Erneuerung der Union. „Ich wünsche mir, dass viele Kabinettsposten von neuen talentierten jungen Menschen, aber vor allem auch zur Hälfte aus Frauen bestehend, von der Union besetzt werden“, sagt der CDU-Politiker dem Deutschlandfunk. Man habe sich in der Vergangenheit zu sehr darauf ausgeruht, der Vorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) alle Aufgaben zu übertragen. Auch Ziemiak will personelle Erneuerung, er erwarte bis zum Parteitag Ende Februar ein klares Zeichen von Merkel.

SPD-Linke drängt auf Urabstimmung

Kritik an der Koalition gibt es auch in der SPD, derzeit wird dort aber vor allem über Personalfragen debattiert. Schulz war über sein Versprechen gestolpert, keine Koalition mit der Union eingehen zu wollen. Das nahm ihm vor allem die SPD-Basis übel, die die Große Koalition teilweise komplett ablehnt mit dem Argument, die SPD könne sich in der Opposition besser erneuern.

Der linke Flügel drängt darauf, über die Schulz-Nachfolge in einer Urabstimmung zu entscheiden. „Zur Erneuerung der SPD gehört auch, dass über das Führungspersonal in einem transparenten Verfahren entschieden wird“, sagte Hilde Mattheis dem „Tagesspiegel am Sonntag“. „Es kann nicht sein, dass der SPD-Vorsitz quasi unter der Hand vergeben und die Partei vor vollendete Tatsachen gestellt wird.“

SPD-Vize Ralf Stegner steht dem ablehnend gegenüber. „Das ist etwas, was im Augenblick das Parteiengesetz gar nicht zulässt.“ Nötig sei jedoch eine „breite“ Entscheidung. „Jedenfalls werden Positionen nicht einfach mal so eben im Hinterzimmer vergeben.“ Die geschäftsführende Arbeits- und Familienministerin Katarina Barley (SPD) zeigte sich hingegen offen für die Idee, „denn die direkte Beteiligung der Mitglieder schafft Vertrauen“, sagte sie der „Rheinischen Post“ (Samstag-Ausgabe).

Aufruf zur Debatte über Inhalte

Stegner rief die SPD-Mitglieder am Samstag dazu auf, sich vorerst mit den Inhalten des Koalitionsvertrags zu befassen. „Erst mal geht es darum, ob unsere Mitglieder Ja sagen zu diesem Koalitionsvertrag, das ist schwierig genug“, so Stegner gegenüber NDR Info. Die SPD-Basis wird in einer Abstimmung bis Anfang März über den Vertrag entscheiden.

Doch auch Stegner hat Gegner. Nach den jüngsten Querelen in der SPD muss deren Neuanfang aus Sicht des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel über personelle Fragen hinausgehen. „Es wird auch um Fragen des Umgangs und der politischen Kultur gehen müssen“, schrieb der hessische SPD-Chef am Samstag auf Twitter. Das habe nach seinem Eindruck „auch die übergroße Mehrzahl verstanden“.

Ralf Stegner (SPD)

APAdpa/Kay Nietfeld

SPD-Vize Ralf Stegner will sich auf Inhalte statt Personaldebatten konzentrieren

„Ich habe oft Tage, die anders verlaufen als geplant. Tage wie gestern bleiben hoffentlich die Ausnahme zu dieser Einsicht“, schrieb Schäfer-Gümbel dazu. Es sei ein „harter Tag“ für die SPD gewesen. „Wir werden einerseits zügig und andererseits gründlich über das weitere Vorgehen beraten.“ Nach Angaben von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil werden die Führungsgremien der Partei am Dienstag zusammenkommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Schulz’ Schwester vermisst Dankbarkeit

Hart ins Gericht mit der SPD ging unterdessen auch die Schwester von Schulz: Die Parteiführung habe sich im Umgang mit ihrem Bruder als „echte Schlangengrube“ erwiesen, sagte die Sozialdemokratin Doris Harst der „Welt am Sonntag“. Jetzt sagten Politiker mit Führungsverantwortung: „Martin ist an allem Schuld“, sagte Harst. „Andrea Nahles, Olaf Scholz und andere machen ihn zum Sündenbock für alles.“

Harst betonte, die anderen müssten Schulz dankbar sein. Nicht nur, weil er in ihrem Sinne Sigmar Gabriel abserviert habe. „Mein Bruder ist nur belogen und betrogen worden. Deshalb war, nach seiner erfolgreichen Zeit als Spitzenpolitiker in Brüssel und Straßburg, die Schlangengrube Berlin, die er völlig unterschätzt hat, nichts für ihn.“

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