Extremisten rekrutieren bei Verzweifelten
Armut und Perspektivenlosigkeit schüren den Extremismus: Diese These wird von einer UNO-Studie gestützt. In weiterer Folge wird auch der Migrationsdruck steigen - die EU will Ansprüche auf Asyl oder einen Flüchtlingsstatus künftig bereits an Ort und Stelle prüfen lassen.
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Von extremistischen Gruppen erhoffen sich junge Leute in Afrika oftmals einen Ausweg aus Armut, Perspektivenlosigkeit und Frust, belegt eine im September des Vorjahres veröffentlichte UNO-Studie. Die meisten Rekruten radikaler Gruppen auf dem Kontinent kommen aus vernachlässigten Gegenden und Grenzgebieten und sind von ihrer wirtschaftlichen Lage und dem Mangel an Perspektiven frustriert. Die Studie sollte die Alarmglocken läuten lassen, sagte der Leiter des UNO-Entwicklungsprogramms (United Nations Development Programme, UNDP) in Afrika, Abdoulaye Mar Dieye. „Afrika wird immer anfälliger für gewalttätigen Extremismus.“

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/Oxfam/WFP
Für die Studie wurden nach eigenen Angaben 495 freiwillige Rekruten extremistischer Organisationen in Somalia, Nigeria, Kenia, im Sudan, Niger und Kamerun interviewt. Für mehr als 70 Prozent der Befragten sei ein Vorgehen der Regierung, etwa die Tötung oder Festnahme eines Familienmitglieds durch Sicherheitskräfte, der Auslöser dafür gewesen, sich Extremisten anzuschließen. In Afrika würden junge Menschen eher durch persönlichen Kontakt rekrutiert als - wie in vielen anderen Regionen - online.
Religiöse Bildung wirkt präventiv
Religion spielte nach Angaben der Studie bei rund der Hälfte der befragten Rekruten eine Rolle. 57 Prozent gaben allerdings an, sie verstünden nur wenig oder gar nichts von den religiösen Texten. Das Verständnis der eigenen Religion scheint der Anziehungskraft von Extremisten sogar entgegenzuwirken: Nach Angaben der Studie reduziert eine religiöse Bildung von mindestens sechs Jahren das Risiko einer Rekrutierung um 32 Prozent.
Die Studie fordert Regierungen auf, ihr militärisches Vorgehen gegen Extremismus zu überdenken. Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte müssten unbedingt beim Kampf gegen diese Gruppen respektiert werden. Es sei zudem dringend notwendig, bei der Bekämpfung von Extremismus Entwicklungsarbeit stärker in den Fokus zu rücken, sagte Dieye.
Marodierende Extremisten
In Afrika sind etliche extremistische Gruppen aktiv. Die Terrormiliz Boko Haram etwa treibt im Nordosten Nigerias sowie in angrenzenden Regionen ihr Unwesen. Die Miliz al-Schabab kämpft seit Jahren um die Vorherrschaft in Somalia. In Mali ist unter anderem ein Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida aktiv. Nach UNO-Angaben fielen zwischen 2011 und 2016 etwa 33.000 Menschen in Afrika gewalttätigen Extremisten zu Opfer.

APA/AFP
In Somalia haben Sicherheitskräfte vor allem mit der extremistischen Al-Schabab-Miliz zu kämpfen
Migrationsdruck wird weiter steigen
Bis 2050 soll sich Prognosen zufolge die Zahl der Afrikaner auf zweieinhalb Milliarden verdoppeln - das wäre ein Viertel der Weltbevölkerung. Der Migrationsdruck in Richtung Europa wird sich folglich weiter verschärfen. Die EU will Ansprüche auf Asyl oder einen Flüchtlingsstatus künftig direkt in afrikanischen Staaten wie Niger oder Tschad prüfen lassen, wie bei einem Migrationsgipfel Ende August in Paris beschlossen wurde. Wer keine Aussicht auf Asyl habe, werde in die Herkunftsländer zurückgeführt. Bei den meisten Betroffenen handle es sich um Wirtschaftsmigranten ohne Chance auf eine Anerkennung als Asylwerber oder Flüchtlinge in der EU.
Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien zeigten sich auf dem Gipfel grundsätzlich bereit, manchen Schutzbedürftigen aus Afrika einen legalen Weg nach Europa zu ermöglichen - wenn im Gegenzug die illegale Migration gestoppt wird. Seit 2014 sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 14.500 Menschen bei der Überfahrt gestorben. Europäische Staaten setzen in der Flüchtlingskrise schon länger auf eine engere Kooperation mit Herkunfts- und Transitländern. So wird etwa die libysche Küstenwache unterstützt, damit sie die von Schleuserbanden organisierte illegale Migration über das Mittelmeer stoppt.
„Eingesperrt in der Hölle auf Erden“
Das verhindert aber nicht nur die Einreise von Wirtschaftsmigranten, sondern auch von solchen, die in Ländern wie Eritrea tatsächlich um ihr Leben fürchten müssen - zudem kritisieren Hilfsorganisationen die dramatische Lage von Migranten im Bürgerkriegsland Libyen. Die Organisationen Oxfam und ActionAid warfen den EU-Ländern vor, „die EU-Grenzkontrollen nach Libyen auszulagern und damit mehr und mehr Menschen in einer Hölle auf Erden einzusperren“.
Bisher kommt die EU mit ihren Plänen für Asylverfahrenszentren in Afrika nicht weiter - ein Treffen der EU-Verteidigungsminister am Donnerstag in Estlands Hauptstadt Tallinn endete ergebnislos. Österreichs Ressortchef Hans Peter Doskozil (SPÖ) forderte einen Migrationsbeauftragten für die EU, denn: „Der Fokus ist nicht in ausreichendem Maß vorhanden.“
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