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„Das sind politische Entscheidungen“

Nur 100.000 von 250.000 Kindern im Kindergartenalter haben in Österreich einen Betreuungsplatz, der für Eltern Vollzeitarbeit zulässt. Die Hälfte dieser Kinder lebt in einer einzigen Gemeinde – in Wien.

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Meist sind es nach wie vor die Mütter, die im Beruf zurückstecken, wenn der Betreuungsplatz nicht mit den Arbeitszeiten der Eltern vereinbar ist. Ist der Spagat zwischen Kindern und Vollzeitarbeit schon für zwei betreuende Elternteile, die sich das Hinbringen und Abholen aufteilen können, schwierig, so ist er für Alleinerziehende oft unmöglich. 261.000 Mütter und 48.000 Väter waren 2016 laut Statistik Austria alleinerziehend. Sie zählen zu jenen Bevölkerungsgruppen, die am stärksten von Armut betroffen sind oder davon gefährdet, in Armut abzurutschen.

Proteste wegen Gebühren in Oberösterreich

Dementsprechend laut waren die Proteste, als die ÖVP-FPÖ-Landesregierung in Oberösterreich Anfang November im Zuge umfangreicher Sparmaßnahmen die Wiedereinführung von Gebühren für die Nachmittagsbetreuung in Kindergärten ankündigte. 13 bis 15 Millionen Euro soll sie dem Land im Jahr bringen.

Doch nicht nur die Kosten – ab Februar und sozial gestaffelt – werden von der Opposition und vielen Eltern kritisiert. Befürchtet wird zudem, dass es durch die Gebühren an einigen Standorten künftig nicht mehr ausreichend Anmeldungen geben wird, um überhaupt einen Nachmittagsbetrieb zu ermöglichen.

Nur Wien ganztags kostenlos

Bei Kosten, Öffnungszeiten und Einstiegsalter gibt es zwischen den einzelnen Bundesländern große Unterschiede. Während in Wien Kinderbetreuung für Null- bis Sechsjährige ganztägig kostenlos ist, werden in Salzburg, Vorarlberg, Kärnten und der Steiermark durchgehend Gebühren verlangt. Nur im letzten Kindergartenjahr vor Schuleintritt ist der Vormittag kostenlos. Dieses „Gratiskindergartenjahr“, das es seit acht Jahren gibt, wird allerdings vom Bund finanziert.

Buben im Kindergarten

APA/Herbert Pfarrhofer

Je nach Bundesland zahlen Eltern mehr, weniger oder gar nichts für die Betreuung ihrer Kinder

In Tirol ist der Kindergarten für Vier- bis Sechsjährige, in Niederösterreich für 2,5- bis Sechsjährige vormittags kostenlos. Auf das Modell Niederösterreich wechselt nun auch Oberösterreich, wo der Kindergarten in derselben Altersgruppe bisher ganztägig kostenlos war. Im Burgenland bekommen Eltern ihre Beiträge für den ganztägigen Besuch von 2,5- bis Sechsjährige (bis zu 45 Euro monatlich im Kindergarten, bis zu 90 Euro in der Krippe) rückerstattet.

„Kooperationen bei kleinen Gemeinden sinnvoll“

„Wien hat hier definitiv eine Vorreiterrolle“, sagt Sybille Pirklbauer, Referentin in der Abteilung Frauen und Familie der Arbeiterkammer Wien. Auch das Burgenland habe in der Kleinkindbetreuung mit 31 Prozent eine fast doppelt so hohe Quote erreicht wie Oberösterreich.

Das lasse sich nicht mit der wirtschaftlichen Stärke eines Bundeslands erklären, so die Expertin für Kinderbetreuung und Elementarbildung, „das sind politische Entscheidungen“. Den „Länder-Fleckerlteppich“ bezeichnet Pirklbauer als eines der größten Probleme in der Elementarbildung.

Dabei müsse es gar nicht sein, dass jede einzelne Kommune ein Vollzeitangebot macht – „gerade bei kleinen Gemeinden zahlt sich das oft alleine nicht aus“. Hier seien Kooperationen viel sinnvoller, so Pirklbauer gegenüber ORF.at. „Aber es ist natürlich wichtig, dass die Menschen eine Kinderbetreuung mit guten Öffnungszeiten in ihrem Umfeld vorfinden.“

Neue Regierung kündigt weiteren Ausbau an

Letzteres steht – im Widerspruch zu den jüngsten Entwicklungen in Oberösterreich – auch im Programm der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung: Die Bedürfnisse jener Elternteile, die sich für einen früheren Wiedereinstieg ins Berufsleben entscheiden, müssten berücksichtigt werden, heißt es dort. Kinderbetreuungsangebote sollen flächendeckend weiter ausgebaut werden und sich, etwa bei den Öffnungszeiten, stärker an den Bedürfnissen der Eltern orientieren.

Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei nicht nur für Frauen „enorm wichtig“, schreiben ÖVP und FPÖ im Regierungsprogramm, die Familie sei „eine gemeinsame Aufgabe von Frau und Mann“. Von großer Bedeutung seien in diesem Zusammenhang „Partnerschaftlichkeit und Gleichberechtigung“.

Zwölfstundentag: Wohin mit den Kindern?

Von einer Vereinbarkeit mit dem ebenfalls im Regierungsprogramm angekündigten Zwölfstundentag sind die Kinderbetreuungseinrichtungen aber noch weit entfernt. Nur in Wien gebe es zumindest teilweise so lange Öffnungszeiten, im Rest von Österreich hätten lediglich zwei Prozent aller Einrichtungen zumindest zwölf Stunden am Tag geöffnet, sagt Pirklbauer. Aber: „Das Ziel kann ja ohnehin nicht sein, dass kleine Kinder standardmäßig zwölf, 13 Stunden in einer Krippe oder einem Kindergarten verbringen.“

Wie können also Eltern, die die im Regierungsprogramm betonte „Partnerschaftlichkeit und Gleichberechtigung“ im Alltag leben, Kinderbetreuung mit einem zwölfstündigen Arbeitstag vereinbaren? Laut Pirklbauer geht das „kaum bis gar nicht“: Beide Elternteile müssten so flexibel sein, immer nur dann zwölf Stunden zu arbeiten, wenn der jeweils andere gerade zur Verfügung steht. Das sei aber kaum realistisch, „schließlich wollen die Betriebe ja die zusätzlichen Stunden, wenn es die Auftragslage verlangt“.

Jeder dritte Kindergarten nach 15 Uhr geschlossen

Aktuell besuchen laut Arbeiterkammer 94 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen eine Kinderbetreuungseinrichtung. In dieser Altersgruppe seien eher die Öffnungszeiten ein Problem, so Pirklbauer: Jeder dritte Kindergarten in Österreich hat nach 15 Uhr geschlossen, in Tirol, Vorarlberg und der Steiermark jeder zweite.

Von den unter Dreijährigen besuchen 28 Prozent eine Betreuungseinrichtung. Gerade in dieser Altersgruppe liegt Österreich laut einer Eurostat-Erhebung von 2015 weit unter dem EU-Schnitt. Der Grund: Österreich gebe viel zu wenig Geld für Kinderbetreuung und Elementarbildung aus, so Pirklbauer.

„Länder-Fleckerlteppich“ bleibt vorerst

Und gerade bei den unter Dreijährigen sind auch die Unterschiede zwischen den Bundesländern besonders groß: Während in Wien 46 Prozent und im Burgenland 31 Prozent dieser Altersgruppe eine Betreuungseinrichtung besuchen, sind es in Oberösterreich und der Steiermark weniger als 20 Prozent.

Mit der neuen ÖVP-FPÖ-Regierung ist der Kindergartenbereich zwar vom Familien- ins Bildungsministerium gewandert, kompetenzrechtlich bleiben Kindergärten aber Ländersache – und der „Länder-Fleckerlteppich“ in puncto Kosten, Öffnungszeiten und Einstiegsalter vorerst bestehen. Blickt man nach Oberösterreich, wo die ÖVP-FPÖ-Landesregierung die Nachmittagsgebühr im Februar wiedereinführt, dürfte das zumindest bei berufstätigen Eltern in Wien für Erleichterung sorgen.

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