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Der „Ausverkauf“ sowjetischer Blaupausen

Nordkorea hat seine enormen Fortschritte bei der Raketentechnik laut einem Bericht der „Washington Post“ ausländischen Konstrukteuren zu verdanken. Ballistische Raketen, die auf der nordkoreanischen Halbinsel getestet wurden, basieren auf Plänen des russischen Rüstungskonzerns Makejew. Nordkoreas Regime soll entsprechende Blaupausen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gekauft haben.

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Das geht aus Unterlagen hervor, die von US-Experten überprüft und veröffentlicht wurden. Konkret sind darin technische Zeichnungen von U-Boot-gestützten Raketen der sowjetischen Marine enthalten, die russische Wissenschaftler von Makejew vor rund 25 Jahren verkauft hatten. Die Pläne scheinen Ähnlichkeiten mit jenen Mittel- und Langstreckenraketen zu haben, die der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un in den vergangenen Monaten präsentiert hat.

Fehlendes Know-how in Nordkorea

So stimme etwa eine elf Meter lange Hwasong-10, die Nordkorea im Juni 2016 getestet hat, laut Analyse der „Washington Post“ antriebsseitig weitgehend mit der sowjetischen R-27 Zyb („Ripple“) überein. Auch eine Pukguksong-1, eine U-Boot-gestützte Mittelstreckenrakete, die im August 2016 abgefeuert wurde, sei eine Weiterentwicklung der Rakete, die erstmals Ende der 60er Jahre von der sowjetischen Marine eingesetzt wurde.

lastwägen mit Raketen bei der Nordkoreanischen Militärparade

Reuters/Damir Sagolj

In den vergangenen Jahre präsentierte Nordkorea mehrere neue Raketenmodelle

Warum Nordkorea zwei Jahrzehnte benötigte, um die Raketen mit Hilfe der Konstruktionspläne aus dem Kalten Krieg zu entwickeln, ist nicht bekannt. Eine mögliche Erklärung wäre, dass den Ingenieuren in Nordkorea das nötige Material, das technische Know-how und die computergesteuerten Maschinen für den Bau des Raketenmodells fehlten.

Raketen für die USA bestimmt

Eigentlich, so berichtet die „Washington Post“, sollten die für die damalige Zeit innovativen Waffen – sie benötigten keine Startrampe, sondern konnten vom U-Boot aus abgefeuert werden – in den USA zum Einsatz kommen. Eine US-Investorengruppe hatte kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Verhandlungen mit dem Rüstungskonzern Makejew aufgenommen. Mit der Technologie hätten US-Satelliten kostengünstiger in die Erdumlaufbahn befördert werden sollen.

Hinter einem möglichen Abkommen verbarg sich allerdings noch eine andere Idee: Nach dem Kalten Krieg befürchteten die Vereinigten Staaten, dass russische Ingenieure ihr Wissen über Waffen anderen Ländern oder Organisationen zur Verfügung stellen könnten. Um das zu verhindern, wollten Investoren Milliarden Dollar in den „Ausverkauf“ russischer Waffenlabors investieren. Wenn man sie schon nicht zerstören kann, dann muss man sie eben kaufen.

Am Ende scheiterte die Zusammenarbeit allerdings an bürokratischen und rechtlichen Hürden. Die US-Regierung soll Bedenken gehabt haben, dass eine Vereinbarung mit der russischen Waffenindustrie den bereits bestehenden bilateralen Rüstungskontrollen widersprechen würde. Im Frühling 1995 wurden die Verhandlungen dann komplett abgebrochen.

Nordkorea fehlt Know-how

Das dürfte aber Russland nicht daran gehindert haben, weiter nach Käufern zu suchen. Das zumindest vermutet Michael Elleman vom International Institut for Strategic Studies (IISS). Gegenüber der „Washington Post“ sagte er, die Wissenschaftler von Makejew hätten ihre Blaupausen anderen potenziellen Käufern angeboten - darunter eben auch Nordkorea. Zumindest im Fall der R-27 Zyb sei das belegbar.

Entwicklung der maximalen Reichweiten nordkoreanischer Raketen nach Datum der Tests 2017

Grafik: APA/ORF.at: Quelle: APA/AFP

Der Verdacht, dass Nordkorea bei seiner Raketentechnik vom Ausland unterstützt wird, ist nicht neu. Die jüngsten Unterlagen der „Washington Post“ bestätigen eine Analyse, die die deutschen Raketenexperten Robert Schmucker und Markus Schiller in der Zeitschrift „Sirius“ im Jahr 2017 vorlegten. Darin kommen sie zum Schluss, dass nichts darauf hinweist, dass Langstreckenraketen, die Nordkorea in den vergangenen Monaten abgefeuert hatte, auch dort hergestellt wurden.

Importe statt Eigenentwicklung

Zum Beispiel würde es sich bei der Hwasong-10 um eine „landgestützte Version von R-27“ handeln, deren Weiterführung aber nicht in Nordkorea vorgenommen wurde, sondern beim Hersteller dieses Geschoß selbst erfolgte – also bei Makejew. „Das Ausgangssystem R-27, das verwendete Material und die Gitterflügel zeigen die massive Involvierung von Kräften aus dem früheren Sowjetbereich“, heißt es im Bericht.

Zudem wurde die Hwasong-10 in einer so „schnellen Startsequenz“ abgeschossen, dass „Korrekturmaßnahmen nach Fehlversuchen“ unmöglich gewesen seien. Deshalb sei zu vermuten, dass es sich um „Demonstrationsschüsse eines (nahezu) fertigen Gerätes und nicht um Entwicklungsaktivitäten“ handelt. Dasselbe gilt für neuere Modelle wie die Hwasong-15, eine Interkontinentalrakete, die Ende November getestet wurde und nach nordkoreanischen Angaben das gesamte US-Festland erreichen könne.

Das „plötzliche Erscheinen“ dieser Rakete mache externe Zulieferungen als Erklärungsmodell „unabdingbar“, schreiben die Experten. Die Technologie sei aus dem Ausland bezogen worden - „entweder aus Russland oder vielleicht auch aus anderen Ländern des postsowjetischen Raums“.

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