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Sehgewohnheiten und Wirklichkeit

Weder war Schönbrunn im Lauf der Geschichte stets gelb, noch bedeuten die monochromen Grautöne des Wiener Stephansdoms ein historisch-kontinuierliches Erscheinungsbild. Als authentisch gilt, woran sich das Auge gewöhnt hat - was auch auf Otto Wagners Stadtbahn zutrifft, die einst weit weniger grün war als bisher angenommen.

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Zutage trat die Erkenntnis im Zuge der fortlaufenden Restaurierung der ehemaligen Stadtbahnstationen im Bereich der Gürteltrasse der heutigen U6, die vom Bundesdenkmalamt fachlich begleitet wird. Robert Linke, der Leiter des naturwissenschaftlichen Labors des Bundesdenkmalamtes, der das Thema heuer publiziert hat: „Die Untersuchung der Sonnenblumengeländer hat gezeigt, dass sie in 115 Jahren rund 15-mal gestrichen wurden – in einem Zyklus von fünf bis zehn Jahren.“

Otto-Wagner-Gebäude in Wien

ORF.at/Dominique Hammer

Otto Wagner prägte Wien mit seiner Architektur

Das Bemerkenswerte daran: Das heute als für Wagner typisch empfundene Grün hat zeitlich erst sehr spät eingesetzt. Linke: „Der erste grüne Anstrich der Geländer geht auf die 1950er Jahre zurück.“ Wobei nicht nur anhand eines Querschliffs der Geländer ersichtlich wird, dass die Wiener Stadtbahn erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihre optisch prägende grüne Farbe erhalten hat. „In den frühesten grünen Anstrichen haben wir ein Pigment gefunden, das erst in den späten 1930er Jahren synthetisiert wurde und daher zu Zeiten Otto Wagners noch nicht verfügbar war: Titanweiß.“

Hellbeige statt Grün

Bei zehn Stadtbahnstationen habe sich dieses Muster fortgesetzt, beschreibt Linke das eindeutige Bild, das sich unter den Farbschichten der Stadtbahngeländer zeigt. „Beim ursprünglichen Farbton vieler Stadtbahnelemente hat es sich um ein Hellbeige gehandelt, das sowohl für die Geländer als etwa auch für die Metallsäulen auf den Bahnsteigen verwendet wurde. Die Oberflächen der Türen und Fenster waren in einer braunen Holzmaserung, einem Holzimitat, ausgeführt.“

Querschliff Stadtbahngeländer

BDA

Ein Querschliff einer Malschichtprobe zeigt die ursprünglich hellbeige Farbe der Geländer

Das typische Grün, das auch Resedagrün genannt wird und mit dem Farbwert RAL 6011 definiert wird, war lediglich an bestimmten Holzelementen zu finden. Wobei es im Rahmen der Gestaltung der Jugendstilpavillons am Karlsplatz stärker zum Einsatz kam als in anderen Haltestellen der Stadtbahn.

Stadtbahngeländer

BDA

Als Otto-Wagner-Grün bezeichnet, stammt das Resedagrün der Stadtbahnstation eigentlich aus den 1950er Jahren

Die stadtbildprägenden Geländer, etwa entlang des Wienflusses, des Donaukanals und der Gürtellinie, aber auch die unzähligen Brücken zogen sich um 1900 jedoch in Hellbeige durch Wien und verliehen dem öffentlichen Raum einen etwas anderen Charakter als heute. Dennoch ist heute vom Otto-Wagner-Grün die Rede.

Sehgewohnheiten als historische Tatsachen

„Das Beispiel zeigt sehr schön, wie schnell Sehgewohnheiten übernommen werden und bei unkritischer Betrachtung als historische Tatsache interpretiert werden“, beschreibt Linke ein gängiges Phänomen im Zusammenhang mit historischen Farbfassungen. Linkes Labor ist pro Jahr für etwa 1.000 Befundungen von Farbfassungen quer durch die Bereiche des Bundesdenkmalamts verantwortlich und hat bereits zur Aufklärung mancher farblicher Missverständnisse beigetragen.

Ocker unter Maria Theresia

Die erste Farbfassung Schönbrunns bestand aus einer orange-rötlichen bis rosaroten Färbelung mit einer hellen und dunklen Gliederung. Erst mit dem Umbau durch Maria Theresia kam erstmals ein Ockerton zum Einsatz, der im Lauf der Jahrzehnte wieder verschwunden ist und durch eine hellgraue, leicht ins Grünliche gehende Fassung ersetzt wurde.

Südfassade Schönbrunn

BDA

Ansicht der Südfassade: Das Schloss Schönbrunn war nicht immer ockergelb

Mit dem Regierungsantritt von Kaiser Franz Joseph erfolgte eine Umgestaltung der Fassade in Gelbocker. Wobei es sich beim Schönbrunner Gelb um keinen festgelegten Farbton handelt. „Schönbrunner Gelb ist ein Begriff, der mit keinem Farbcode definiert ist und auch nicht unmittelbar mit Schönbrunn in Zusammenhang steht“, so Linke.

Der knallbunte Dom

Die denkmalpflegerischen Maßnahmen betreffend, orientiert sich das Bundesdenkmalamt heute am Zustand des Schlosses des Jahres 1918: „Das Restaurierungsziel wurde mit der letzten maßgeblichen Nutzung des Gebäudes definiert“, so Linke, der auch ausdrücklich darauf hinweist, dass nicht nur der richtige Farbton bei der fachgerechten Restaurierung historischer Gebäude eine wichtige Rolle spielt: „Auch die Materialwahl des Anstrichs ist entscheidend. Ein Kalkanstrich hat gänzlich andere optische Eigenschaften als ein Anstrich mit Dispersion. Das macht einen enormen Unterschied im Erscheinungsbild.“

Auch die farblichen Transformationen des Stephansdoms gelten als Paradebeispiel, was veränderte Sehgewohnheiten und einen Wandel in der Farbkultur betrifft: „Insbesondere der Bereich des Hauptportals des Doms war knallbunt gestaltet. In Zeiten, in denen große Teile der Bevölkerung nicht lesen konnten, war Farbe ein wichtiger Informationsträger, etwa was das Erkennen von Heiligenfiguren betrifft“, so Linke. Bis ins frühe 19. Jahrhundert bestanden Reste der bunten Farbfassung des Stephansdoms, bevor in der Architektur die Materialsichtigkeit dominant wurde.

Das Missverständnis des Historismus

Dennoch handelt es sich beim Umgang mit Otto-Wagner-Grün und Schönbrunner Gelb um kleine Missverständnisse, denn im Grunde beruht die gesamte Epoche des Historismus auf einem Missverständnis. Der Baustil, der sich im 19. Jahrhundert an den großen antiken Vorbildern orientierte und deren Formensprache übernahm, ging davon aus, dass die aus Stein errichteten Bauten der Antike materialsichtig waren.

Das führte dazu, dass die Bauten der Gründerzeit, wie jene der Ringstraße, hinsichtlich der Farbwahl versuchten, Stein zu imitieren. Linke: „Wien muss damals eine sehr graue Stadt gewesen sein.“ Ganz im Gegensatz zu den Bauten der Antike, denen die Forschung längst ein sehr farbenreiches Erscheinungsbild attestiert hat.

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