Zwölf Stunden bereits jetzt möglich
Einen Tag nachdem ÖVP und FPÖ ihre Pläne für eine Arbeitszeitflexibilisierung präsentiert haben, reißt auch am Donnerstag die Kritik von Arbeitnehmerseite nicht ab. Die möglichen künftigen Koaltionspartner halten das für ungerechtfertigt und überzogen. Was sich tatsächlich ändert, ist aber schwer zu sagen. Die Pläne lassen manche Frage offen.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Neu sind die am Mittwoch von ÖVP und FPÖ präsentierten Pläne für flexiblere Arbeitszeiten nicht. Nicht nur, dass der Zwölfstundentag bereits im Regierungsprogramm der bisherigen Koalition gestanden ist und noch zu Beginn dieses Jahres mit den Sozialpartnern um eine Einigung gerungen wurde, vielmehr ist bereits jetzt eine Erhöhung der festgeschriebenen Höchstarbeitszeit von zehn Stunden möglich.
„Vorliegen eines höheren Arbeitsbedarfs“
Angestellte in einem Krankenhaus zum Beispiel haben bereits jetzt Dienste, die sogar über zwölf Stunden hinausgehen können. Deren Arbeitszeit ist allerdings auch in einem eigenen Gesetz geregelt. Aber auch das allgemeine Arbeitszeitgesetz kennt Ausnahmefälle, bei Schichtarbeitern etwa. Auch für die anderen Arbeiter und Angestellten sieht das Gesetz die Möglichkeit für Zwölfstundentage vor – und zwar „bei Vorliegen eines höheren Arbeitsbedarfs“.
Wie viele Stunden erlaubt sind
Die Höchstarbeitszeit regelt, wie viele Stunden pro Tag und Woche gearbeitet werden darf. Derzeit sind das zehn Stunden täglich und 50 wöchentlich.
So ist Paragraf sieben des Arbeitszeitgesetzes übertitelt. In Absatz vier heißt es dort, „bei vorübergehend auftretendem besonderem Arbeitsbedarf können (…) Überstunden bis zu einer Wochenarbeitszeit von 60 Stunden zugelassen werden“. In diesem Fall darf dann maximal zwölf Stunden pro Tag gearbeitet werden. Das entspricht den Regeln, die nun auch ÖVP und FPÖ in Aussicht gestellt haben.
Bisher auf Ausnahmefälle beschränkt
Auch dass eine solche Überschreitung der Höchstarbeitszeit abseits der Kollektivverträge vereinbart wird, sieht das Gesetz bereits jetzt vor: in Unternehmen, die einen Betriebsrat haben, per Betriebsvereinbarung und sonst „im Einzelfall schriftlich vereinbart“. Bisher ist das allerdings nur „höchstens 24 Wochen des Kalenderjahres“ möglich - und auch nur dann, „wenn andere Maßnahmen nicht zumutbar sind“.
Diese Beschränkung auf Ausnahmefälle scheinen ÖVP und FPÖ mit ihren Plänen nun aufheben zu wollen. Denn ansonsten hört sich das, was ÖVP-Chef Sebastian Kurz und sein FPÖ-Gegenüber Heinz-Christian Strache am Mittwoch zu dem Thema präsentierten, tatsächlich sehr ähnlich an, wie sich eben Paragraf sieben, Absatz vier im bisherigen Arbeitszeitgesetz liest.
Wie das konkret ausschauen würde, ist allerdings eine andere Frage. So wies der Wiener Arbeitsrechtler Martin Risak im Ö1-Mittagsjournal darauf hin, dass alles, was über die Normalarbeitszeit hinausgeht, als Überstunde gelte. „Und dafür gibt es konkrete Kontingente, die es gar nicht zulassen, sozusagen permanent auf Dauer auf diesen Höchstgrenzen zu arbeiten“ - Audio dazu in oe1.ORF.at.
„Teufel im Detail“
ÖVP und FPÖ versicherten jedenfalls bereits am Mittwoch, nicht an der Normalarbeitszeit schrauben zu wollen. Und sie waren auch entsprechend wenig erfreut, dass die Berichterstattung über ihre Pläne in den Medien unter den Schlagwörtern „Zwölfstundentag“ und „60-Stunden-Woche“ ablief. Strache sah sich sogar dazu genötigt, per Facebook-Posting entsprechende Berichte als „Fake News“ abzutun.
Wann die Überstunde anfängt
Von der Höchstarbeitszeit ist die Normalarbeitszeit zu unterscheiden. Sie liegt zurzeit gesetzlich bei acht Stunden pro Tag und 40 pro Woche. Viele Kollektivverträge reduzieren die wöchentliche Stundenanzahl aber auf 38,5 Stunden. Dafür wird die Tagesarbeitszeit bisweilen auf neun oder zehn Stunden erhöht. Jede Stunde, die darüber hinaus gearbeitet wird, gilt bei einer Vollzeitanstellung als Überstunde.
Womöglich liegt aber - wie so oft - auch diesmal „der Teufel im Detail“, wie Risak es formulierte. Der Arbeitsrechtler ortete in den präsentierten Plänen zur Arbeitszeit „ein Spannungsverhältnis“. Zum einen gehe es bei Arbeitszeitflexibilisierung natürlich darum, dass ohne Überstundenzuschlag länger gearbeitet werde. Zum anderen würden ÖVP und FPÖ aber versichern, an der Überstundendefinition nicht zu rütteln.
Leichte Zweifel daran könnte das am Mittwoch von den Koalitionsverhandlern präsentierte Papier selbst wecken. Dort ist von einer Beibehaltung der gesetzlichen wöchentlichen Normalarbeitszeit die Rede. Aber „die tägliche Normalarbeitszeit ist gerade nicht erwähnt“, sagte Risak. „Wenn das kein Versehen war, dann spricht unter Umständen einiges dafür, dass man die Arbeitszeitgrenze von zehn Stunden am Tag nach oben hin öffnet und damit zuschlagsfreie Zahlungen über die achte Stunde hinaus ermöglicht“, vermutete der Arbeitsrechtler. „Aber das wissen wir noch nicht“, gab er zu bedenken.
Gewerkschaft und Arbeiterkammer im Kampfmodus
Mit diesem Nichtwissen müssen auch Gewerkschaft und Arbeiterkammer (AK) leben. Das hielt sie nicht davon ab, ihre Schlüsse zu ziehen. Die Produktionsgewerkschaft Pro-Ge ortete hinter den Plänen ein Ergebnis der Großspenden aus der Wirtschaft für Kurz’ Wahlkampf. Der Zwölfstundentag werde nicht Ausnahme, sondern zur Regel werden, so so ProGe-Vorsitzender Rainer Wimmer am Donnerstag in einer Aussendung.
AK-Präsident Rudolf Kaske warnte wiederum davor, dass die geplante Regelung eine „Einbahnstraße“ für die Arbeitnehmer werde, von der nur die Arbeitgeber profitieren würden. „Bei der Arbeitszeit geht es nicht nur um die Wünsche der Wirtschaft. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben ein Recht auf Familienleben und Freizeit“, so Kaske. Für den oberösterreichischen AK- und ÖGB-Präsidenten Johann Kalliauer ist der Plan überhaupt ein „massiver Angriff auf Arbeitnehmer“.
Unterschiede zu „Plan A“?
In die Kritik stimmte am Donnerstag auch SPÖ-Chef und Kanzler Christian Kern ein. „Wir wissen, dass sich die Arbeitswelt und die Bedürfnisse der Menschen verändern, auch die der Arbeitgeber. Aber es kann nicht sein, dass hier einseitig Vereinbarungen getroffen werden, wo nur die Arbeitgeber profitieren“, so Kern. „Von einer neuen Regelung müssten beide Seiten etwas haben. Das sehe ich aber weit und breit nicht.“
In der ÖVP verwies man am Donnerstag freilich darauf, „nichts anderes“ zu sagen, als auch die SPÖ in ihrem „Plan A“ zur Arbeitsflexibilisierung formuliert habe. „Die gesetzliche Normalarbeitszeit von acht Stunden am Tag und 40 Stunden pro Woche bleibt weiterhin aufrecht. Auch wird jede Überstunde weiterhin abgegolten“, hieß es aus der Partei. Auch Strache ließ am Donnerstag wissen, dass die Regelung „eine Verbesserung für die Arbeitnehmer und deren Familien“ bedeute. „Die FPÖ würde niemals einer Verschlechterung zustimmen“, so der FPÖ-Chef.
Wöginger: „Bleiben bei Acht-Stunden-Tag“
ÖVP-Klubobmann August Wöginger versteht die Aufregung um die ÖVP-FPÖ-Pläne zur Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht. „Wir verändern ja die Normalarbeitszeit nicht. Wir bleiben beim Acht-Stunden-Tag. Es wird aber eine Möglichkeit geschaffen, die Arbeitszeit mit Zuschlägen und gewissen Einschränkungen auszuweiten. Jede Überstunde wird bezahlt“, sagte Wöginger in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der APA.
„Weiterentwicklung“ des bestehenden Systems
„Außerdem braucht es Vereinbarungen der Betriebsräte und Kollektivvertragspartner, wenn die Arbeitszeit die acht Stunden übersteigt.“ Es handle sich alles in allem um eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems, so der ÖVP-Klubchef.
Die Sozialpartner konnten sich vor dem Sommer nicht auf eine Neuregelung in Sachen Arbeitszeitflexibilisierung einigen. Wöginger: „Die Sozialpartnerschaft hat große Errungenschaften geleistet, wenn man über die letzten Jahrzehnte zurückblickt. Es ist wichtig, dass vieles auf dem Verhandlungstisch ausgemacht wird und nicht auf der Straße. Es gibt aber immer wieder Themen, wo man als Regierung Akzente setzen muss.“
Links: