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„Nicht vertretbare Vorfälle“

Der Österreichische Skiverband (ÖSV) hat sich am Samstagabend zu den jüngsten Vorwürfen eines ehemaligen ÖSV-Läufers zu Wort gemeldet und von „großer Betroffenheit“ gesprochen, mit der man die Berichterstattung „von nicht vertretbaren Vorfällen oder Übergriffen in Schulen mit sportlichen Schwerpunkten“ zur Kenntnis genommen habe.

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Gleichzeitig hielt der ÖSV fest, keinerlei Verantwortung für diese Vergehen zu tragen: „Wir legen großen Wert auf die Feststellung, dass der Österreichische Skiverband weder Träger von Schulen oder Internaten ist noch Einfluss auf die Auswahl von Lehrern oder Erziehern hat“, hieß es in einer Aussendung. Zwar kooperiere der Verband mit diesen Einrichtungen. „Ausdrücklich wollen wir uns aber dagegen verwehren, dass der Österreichische Skiverband im Zusammenhang mit solchen Vorfällen als mitverantwortliche Institution genannt wird.“

ÖSV-Internat

APA/AFP/Joe Klamar

In der Eliteschule des heimischen Skisports im Tiroler Stams soll es zu sexuellen Übergriffen gekommen sein

„Pastern“ als sexuelles Machtspiel

In einem Interview mit der Zeitung „Der Standard“ (Samstag-Ausgabe) erhob ein namentlich nicht genannter Ex-ÖSV-Sportler schwere Vorwürfe gegen die Eliteschule des heimischen Skisports im Tiroler Stams, deren Absolventen bisher mehr als 300 Olympia- und WM-Medaillen sammelten. Der ehemalige Athlet, der „in den 80ern und 90ern in Stams zur Schule ging und im Spitzensport reüssierte“, sprach über sexuelle Übergriffe im Skiinternat, etwa im Zuge von „Initiationsriten“ wie dem „Pastern“.

Dabei sei er Zeuge geworden, wie Schulkameraden Zahnpastatuben oder Skiwachs anal eingeführt worden sei. Es habe sich um „zutiefst sexuelle Machtspiele“ gehandelt. Die Übergriffe seien „selten im Geheimen passiert“ und „harte Gewalt“ gewesen. Zahlreiche Opfer seien traumatisiert worden.

Werdenigg: „Typisch für dieses System“

Für Nicola Werdenigg, die das Thema Missbrauch aufs Tapet gebracht hatte, war der Ex-ÖSV-Läufer voll des Lobes. „Ihren Schritt an die Öffentlichkeit finde ich toll, er zeugt von großer Stärke. Endlich wird an diesen über Jahrzehnte ausgebildeten Strukturen ernsthaft gerüttelt - erst jetzt, obwohl Generationen davon etwas mitgekriegt haben. Werdenigg hilft vielen Betroffenen und trägt dazu bei, künftige Gewalttaten zu verhindern.“

„Es macht sehr betroffen“, sagte Werdenigg zu den Aussagen des ehemaligen ÖSV-Aktiven. „Diese Machtübergriffe, die durchaus auch sexualisierte Gewalt sind, sind so typisch für dieses System“, so Werdenigg. Ohne diese Übergriffe, mit denen Neulinge, junge Leute, in das System eingeführt werden, würde das Ganze vielleicht nicht so funktionieren.

„Unter Frauen undenkbar“

„Da werden Tabus gebrochen: Bei uns ist das so, dann gehört man dazu und schaut zu und macht möglicherweise sogar selbst mit“, so Werdenigg weiter. Sie hielt allerdings auch fest, dass ihr „die Zeit in Stams nach wie vor heilig und wichtig“ sei. „In meiner Zeit in Stams wäre so etwas unter den Frauen, unter den Mädchen undenkbar gewesen. Wir haben in der Zeit in den frühen 70er Jahren stark feministische Diskussionen geführt.“

Opferhotlines:

Betroffene können sich bei der Anlaufstelle für Opferschutz des Landes Tirol melden. Diese ist von Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 11.30 Uhr unter der Telefonnummer 0512/508 3795 erreichbar. Die Klasnic-Kommission ist von Montag bis Freitag von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr unter der Telefonnummer 0664/9807817 erreichbar.

Werdenigg hatte vor knapp zwei Wochen von sexuellen Übergriffen zu ihrer aktiven Zeit berichtet, im Skigymnasium Stams habe sie aber nie etwas Verdächtiges erlebt. „Was jetzt unabhängig von diesen groben Verletzungen betrachtet werden muss, ist, dass diese Riten losgelöst vom Sportverband immer diese hierarchischen, autoritären Verhältnisse befeuern. Das gibt es seit Jahrhunderten wahrscheinlich schon, das ist in Burschenschaften gang und gäbe, das ist im Militär immer gang und gäbe gewesen. Das zeigt, wie solche Systeme Menschen brechen“, sagte Werdenigg.

ÖSV kann Vorfälle „nicht ausschließen“

Dass es auch im ÖSV zu Missbrauchsfällen gekommen sein könnte, wurde unterdessen vom ÖSV eingeräumt: „Im Hinblick auf die Größe des ÖSV und die Vielzahl der Aktiven und Betreuer können auch wir nicht Vorfälle in unserem Bereich von vornherein ausschließen. Aus diesem Grunde wurde von uns eine Anlaufstelle für allfällig Betroffene eingerichtet“, hieß es in der Aussendung von Samstagabend.

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