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Im Schatten weißer Rauschebärte

Altern ist keine Schande, proklamiert die neue Schau im Belvedere, die den Herbst des Lebens aufwerten möchte. Die Ausstellung „Die Kraft des Alters“ demonstriert, wie sich der Zugang zum Älterwerden im 20. Jahrhundert verändert hat. Dabei hebt sie auch den Bann der Unsichtbarkeit der Generation 65 plus auf, zeigt ihre ungebrochene Lebenslust und die durch Erfahrung gewonnene Gelassenheit.

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Jahrzehntelang habe sie sich die Haare mit Henna gefärbt, erzählt die US-Künstlerin Martha Wilson, aber dann wollte sie endlich zu ihren grauen Haaren stehen. „Plötzlich ist es mir mehrfach passiert, dass Leute einfach in mich hineingelaufen sind. Ich musste mich fragen: Bin ich jetzt unsichtbar?“ Wilson legte sich daraufhin ihren heutigen „Cruella de Vil“-Look zu und färbte sich - frei nach der schrillen Hundejägerin im Disney-Film „101 Dalmatiner“ - nur mehr den halben Kopf rot.

Martha Wilson "Beauty Pass", 2017

Martha Wilson & P.P.O.W. Gallery

Vorher-Nachher: US-Künstlerin Martha Wilson ließ ihr Porträt mit dem Programm „Beauty Pass“ bearbeiten

Wundersame Wandlung

Eine neue Fotoarbeit der feministischen Performancekünstlerin heißt „Beauty Pass“, so wie ein Verfahren aus der digitalen Postproduktion von Filmen. Dabei werden Schauspielergesichter „verschönert“, also von Falten oder Flecken bereinigt. In ihrem Vorher-Nachher-Bild ist die lächelnde Künstlerin einmal realistisch und daneben nach der Bildbearbeitung zu sehen - das jugendlichere Gesicht ist jedoch zu einer Art Maske ohne Charakter verkommen.

Zu Beginn der von Sabine Fellner kuratierten Schau wird die gesellschaftliche Doppelmoral des Alterns in Bezug auf Frauen und Männer thematisiert. Henri Toulouse-Lautrec zeichnete 1893 einen geilen Alten, der sich junge Geliebte leisten kann. Als Kontrapunkt hängt gegenüber das 1979 entstandene Plakat „My Problem is a Problem of a Woman“ von der polnischen Künstlerin Ewa Partum. Sie ließ sich bei der gleichnamigen Performance ihr halbes Gesicht auf alt schminken und das Bild als Poster im Stadtraum aufhängen.

Alex Katz, Red Sweater, 1999

Sammlung Klöcke/Bad Homburg von der Höhe/Martin Url

Mit Gemälden wie „Red Sweater“ zeigt Alex Katz eine ältere Generation im legeren Freizeitlook

Tänzchen für alte Knochen

Der englische Titel der Schau „Aging Pride“ ist an „Gay Pride“ angelehnt, also den selbst deklarierten Stolz auf Homosexualität als Kampfbegriff. Die demografische Entwicklung, die eine ständig steigende Lebenserwartung zeigt, ruft förmlich nach einer anderen Bewertung der letzten Lebensphase. Bereits 1969 prägte der US-Gerontologe Robert Neil Butler den Begriff „ageism“, womit er das Phänomen von Altersdiskriminierung beschrieb. Reale Benachteiligung problematisierte er ebenso wie Stereotype und Vorurteile gegenüber Senioren.

Ausstellungshinweis:

„Die Kraft des Alters“, bis 4. März 2018, Unteres Belvedere in Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, freitags 10.00 bis 21.00 Uhr.

Lebensfreude und Sinnlichkeit zeigen, wo andere nur Niedergang und Verlust sehen: Das hatte auch die Choreografin Pina Bausch mit ihrem Stück „Kontakthof mit Damen und Herren ab 65“ im Sinn. Ältere Performer in Abendkleid und Anzug kreisen in dem Video mit den Becken und wackeln mit dem Po - äußerst lustbetont. Stöhnen und Lachen ist in Margot Pilz’ collagiertem Video „Membrana - Ein Luststück“ zu hören, in dem sie die Erotik im Alter feiert. Ihre Kollegin Renate Bertlmann wirkt mit ihrer Dildo-Plastik „Viagra“ daneben wie eine bissige Kommentatorin.

Karl Mediz, Die Eismänner, vor 1902

Belvedere/Johannes Stoll

Allegorische Greise: Zur Jahrhundertwende entstand Karl Mediz’ Großformat „Die Eismänner“

Überbelegte Senioren-WG

„Altern ist eine kulturelle Konstruktion“, sagt Kuratorin Fellner zu ihrem Ausstellungskonzept. Leider ist die Schau mit fast 190 Werken zu dicht, so dass man sich ein bisschen wie in einer zwar sympathisch-lockeren, aber doch überbelegten Senioren-WG fühlt. Etliche Porträts von Rauschebärten aus dem Belvedere hätten im Depot bleiben können. Als anschauliches Beispiel für den Wandel unserer Einstellung zum Altern funktioniert Oskar Kokoschkas Porträt des Malers „Carl Moll“: Man würde die ehrwürdige Figur auf 70 Jahre schätzen, dabei war Moll erst 52.

Es geht auch um die Macht des Alters und den Generationenkonflikt. Diesen fängt Tina Barney in ihrem Fotoporträt von Vater und Söhnen ein: Hinter dem männlichen Familienoberhaupt im Upperclass-Ambiente stehen die Söhne, so als würden sie bereits auf die Ablöse des „pater familias“ warten. Vier Generationen von Frauen hält Annegret Soltau auf einem Gruppenporträt fest, das sie allerdings auf unheimliche Weise verfremdet hat. Die Künstlerin zerschnitt die Oberkörper der nackten Frauen und setzte den Jungen einen reifen Torso ein und umgekehrt.

Aleah Chapin, The Last Droplets Of The Day, 2015

Aleah Chapin/Courtesy of Flowers Gallery London and New York/Sammlung Klöcker/Bad Homburg von der Höhe/Martin Url

Aleah Chapin stellt in „The Last Droplets Of The Day“ unbeschwerte Sinnlichkeit trotz Falten dar

Gemalte Fragilität

Besonders die feministischen Arbeiten lohnen die Themenschau, die aber zum Glück trotzdem nicht auf den Irrweg gerät, Altern als vornehmlich weibliches Problem zu präsentieren. Auch die sensiblen zeitgenössischen Gemälde begeistern: Etwa die 1986 geborene US-Künstlerin Aleah Chapin, die in ihrem Gruppenbild grauhaariger, nackter Frauen eine Atmosphäre voller Solidarität und Hoffnung entstehen lässt, und Eric Fischl, der die Schwäche greiser Männlichkeit in ein mildes Licht taucht.

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