Prioritätenverlagerung in Peking
Der Kampf gegen den Smog bremst das Wachstum der chinesischen Industrie, im Winter ist mit einem weiteren Rückgang zu rechnen. Von der Staatsführung ist das durchaus gewollt: Priorität sollte nicht länger hohes Wachstum, sondern „dringend notwendige Strukturreformen“ haben.
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Wenn die Kommunistische Partei große Veranstaltungen abhält, verschwindet der Smog über der chinesischen Hauptstadt zumeist für einige Tage. Dann werden in Peking alle Bautätigkeiten eingestellt und auch Hunderte Kilometer entfernte Fabriken müssen ihre Produktion stoppen. Während des historischen 19. Parteikongresses Mitte Oktober, der Staats- und Parteichef Xi Jinping auf eine Stufe mit Staatsgründer Mao Zedong hob, war das anders. Trotz aller Vorkehrungen war die Stadt die gesamte Woche über in Feinstaubnebel gehüllt.

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Xi rechnet mit einem langwierigen Kampf gegen die Luftverschmutzung im Land
Dabei hatte Xi in seiner Auftaktrede gefordert, Umweltverpestung „an der Quelle vorzubeugen, die Maßnahmen gegen Luftverschmutzung fortzuführen und den Kampf für blaue Himmel zu gewinnen“. Für den Parteitag muss das Vorhaben als gescheitert angesehen werden, langfristig bleibt es aber Chinas vordringlichstes Ziel, dem das Wirtschaftswachstum Tribut zollen muss.
Produktion im Winter wird zurückgefahren
Im Oktober fiel der amtliche Einkaufsmanagerindex um 0,8 auf 51,6 Punkte und damit auf den niedrigsten Stand seit drei Monaten. „Einige Regionen haben in dem Monat ihre Auflagen gegen die Luftverschmutzung verschärft“, erklärte Zhao Qinghe vom Statistikamt den Rückgang. „Unternehmen haben deshalb ihre Produktion angepasst, gestoppt oder gestaffelt.“ Dadurch habe sich insbesondere das Wachstum in energieintensiven Branchen verringert.
In den verbleibenden Monaten des Jahres wird der Rückgang noch stärker ausfallen: Im Winter, wenn der Smog für gewöhnlich am stärksten auftritt, soll der Kampf gegen Luftverschmutzung diesmal entschiedener als zuvor angegangen werden. Die Regierung hat 28 Städten in dem besonders von Luftverschmutzung geplagten Norden des Landes auferlegt, den Schadstoffausstoß von November bis Februar um mindestens 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu drosseln. Einige Städte dürften deshalb ihre Stahlproduktion um bis zu 50 Prozent herunterfahren.

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Smogalarm: Die gefährlichen Feinstaubpartikel gelangen in die Lunge und dringen sogar in den Blutkreislauf ein
Kleine Fabriken kämpfen ums Überleben
Früheren Berechnungen der Nachrichtenagentur Reuters zufolge würden diese Einschränkungen die chinesische Stahlproduktion auf das Jahr gerechnet um acht Prozent und den Aluminiumausstoß um 17 Prozent verringern. Sollten die Einschnitte tatsächlich kommen, dürfte das die Preise für Stahl und Aluminium in die Höhe treiben. Die Produktionskürzungen könnten andererseits aber auch - in Erwartung eines Überangebots - die Nachfrage nach Eisenerz bremsen und für Unruhe unter Bergbaukonzernen, Versorgern und Rohstoffhändlern sorgen.
„Die Umweltverschmutzung belastet die Chinesen immens. Das hat auch die chinesische Regierung erkannt, und sie verstärkt deshalb ihre Maßnahmen, die Lage zu verbessern“, sagte Jost Wübbeke, Leiter des Programms Wirtschaft und Technologie des Mercator Institute for China Studies (MERICS) mit Sitz in Berlin. „Gerade in der Industrie sind die Vorgaben deutlich strenger als früher. Das betrifft vor allem die energieintensiven Industrien wie beispielsweise die Stahlbranche“, wird Wübbeke in der „Produktion“, einer Zeitung für die deutsche Industrie, zitiert. Größere Fabriken würden die Implementierung der Umweltschutzmaßnahmen verkraften, viele kleinere aber könnten dem Kostendruck nicht standhalten und mussten bereits schließen.
Status quo nicht länger aufrechtzuerhalten
Jahrzehnte des zweistelligen Wirtschaftswachstums mit massiven Investitionen in die Infrastruktur, einer lockeren Kreditvergabe sowie stetigen Produktionssteigerungen haben in China gravierende Spuren hinterlassen. Studien zufolge kostet die Luftverschmutzung in dem Land jeden Tag mehr als 4.000 Menschen das Leben, 17 Prozent aller Todesfälle seien darauf zurückzuführen. In Peking wurden im Jahr 2015 179 Tage mit Luftverschmutzung gezählt, 46 davon mit schwerer. Besonders drastisch war die Situation im Dezember des Jahres: Erstmals verhängten die Behörden die höchste Smogalarmstufe, ordneten die Schließung von Schulen und Fabriken sowie Fahrverbote für Privatwagen an.
Ein Jahr später erreichte die Smogbelastung in der nordchinesischen Industriehauptstadt Shijiazhuang den Rekordwert von 1.155 Mikrogramm Feinstaub. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt eine Konzentrationen von nicht mehr als 10 Mikrogramm pro Kubikmeter. Chinas offizielles Luftqualitätsziel soll bei 35 Mikrogramm liegen. Diese Zahlen zeigen, warum Staatsführer Xi in seiner Parteitagsrede erklärt hatte, dass nicht länger hohes Wachstum, sondern „dringend notwendige Strukturreformen“ Priorität haben müssen.
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