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Wundenlecken bei den Grünen

Die Grünen diskutieren nach dem Wahldebakel und dem darauf folgenden Rücktritt von Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek und Parteichefin Ingrid Felipe nun die Ursachen des verpassten Wiedereinzugs ins Parlament und auch einen Neuanfang.

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Der grüne Wiener Stadtrat und ehemalige Bundessprecher Christoph Chorherr ging mit seiner Partei hart ins Gericht. Der Schmerz über den Wählerverlust sei groß, es sei ein schwerer Schlag. „Wir haben offensichtlich viel falsch gemacht“, so Chorherr in der Nacht auf Mittwoch in der ZIB24. Man wirke zu belehrend. Er appellierte gegen den „erhobenen Zeigefinger“, der sich eingeschlichen habe, weil man die Welt verändern wolle. Es gelte neue Positionen zu finden. Man dürfe nicht schnell zur Tagesordnung übergehen, sondern solle sich Zeit lassen, so Chorherr.

Chorherr: „Wir wirken oft belehrend“

Chorherr spricht über seine Enttäuschung über das Wahlergebnis, mögliche Fehler der Partei und Pläne für die Zukunft.

Er riet, die Kritik, „die wir schon lange hören“, ernst zu nehmen und zuzuhören. Dann seien die Konsequenzen zu ziehen und, „fast möchte ich sagen, die Grünen neu zu gründen“. Bei der Vermittlung der grünen Themen gehöre „mehr Pfiff und Lust“ dazu. Es gehörten auch mehr Lösungen aufgezeigt.

Wahlkartenwunder unwahrscheinlich

Der Hoffnungsschimmer für die Grünen, mit Hilfe der fast 37.000 in fremden Wahlkreisen abgegebenen Wahlkarten, die die Landeswahlbehörden erst am Donnerstag auszählen, doch noch in den Nationalrat einzuziehen, ist indes schwindend gering: Sie müssten auf rund 36 Prozent bei den Wahlkarten kommen.

Das ist höchst unwahrscheinlich: Von den 753.497 gültigen Briefwahlstimmen, die am Montag ausgezählt wurden, entfielen 6,3 Prozent auf die Grünen. Das war zwar mehr als das Doppelte ihres Anteils an den Urnenwählern, aber nicht genug - jetzt liegen sie bei 3,8 Prozent. Und das wird, wenn es wieder 6,3 Prozent bei den Wahlkarten sind, so bleiben.

Vassilakou: Breiter aufstellen

Als Konsequenz des Nichteinzugs in den Nationalrat sagte Wiens Grünen-Chefin Maria Vassilakou in der ORF-Sendung „Runder Tisch“ Dienstagabend, dass sich die Partei breiter aufstellen und eine junge Generation in der Partei aufbauen müsse. Neben neuen Jungen brauche es aber auch erfahrene Personen wie sie selbst. Daher wolle sie sich nun stark einbringen. Erste Feedbacks von Wählerinnen und Wählern würden den Eindruck zeigen, dass die Grünen an den Menschen und dem, was sie bewegt, nicht nahe dran seien. Auch ein grünes Moralaposteltum sei bei den Menschen hängen geblieben.

„Runder Tisch“ mit Vassilakou und Wabl

Wie können die Grünen das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen? Welche Verantwortung kommt nun auf die Wiener Grünen zu?

Sie stärkte dem am Dienstag eingesetzten grünen Interimschef Werner Kogler den Rücken. Wien sei jetzt die größte grüne Organisation in Österreich. Dass sie sich mit Kogler deshalb zu einer Doppelspitze aufschwingen werde, dementierte die Wiener Vizebürgermeisterin. Vassilakou hatte bereits zuvor eine „aktive Rolle in der Bundespolitik“ angekündigt - mehr dazu in wien.ORF.at.

Wabl vermisst Kampfeswille

Der ehemalige grüne Klubchef Andreas Wabl kritisierte die Entwicklung bei den Grünen ebenfalls hart: Die Arbeit der Grünen sei nicht einsichtig genug gewesen, Inhalte wie das Wahlprogramm zu kompliziert, die Grünen in Summe wirkten abgehoben. Zudem habe oft der Kampfeswille gefehlt. Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sagte, die Grünen hätten es versäumt, eine Basis auf Gemeindeebene aufzubauen, und hätten dadurch auch nicht genug Kontakt zu den Menschen gehabt. Stattdessen hätten sich die Grünen zu sehr auf die Arbeit im Bund konzentriert. Das Profil der Grünen sei zu verschwommen.

Lunacek: Es braucht einen Neustart

Am Dienstag hatten sich die Ereignisse überschlagen und die Grünen personelle Konsequenzen aus der Nationalratswahl gezogen. Sowohl Lunacek als auch Felipe gaben ihren Rücktritt bekannt. Betroffen ist bei Lunacek nicht nur ihr Sitz im EU-Parlament. „Ich lege auch meine Funktionen im Bundesvorstand der Grünen zurück und lege eine Pause ein“, sagte Lunacek dazu. „Es braucht einen Neustart.“

Offen ließ Lunacek, ob zu einem späteren Zeitpunkt wieder eine Rückkehr auf das politische Parkett denkbar wäre. Die Pause sei keine leichte Entscheidung, aber notwendig, führte sie aus. Bereits im November soll der steirische Grünen-Politiker Thomas Waitz den Sitz von Lunacek im EU-Parlament übernehmen.

„Schlimmste Krise“ in 31 Jahren

Ungeachtet des noch ausstehenden Endergebnisses glaubt Lunacek nicht mehr an ein Wahlkartenwunder. Der „Rauswurf ist schon fix“, so Lunacek, der zufolge es nun darum gehe, Verantwortung zu übernehmen. Sie sprach von der schlimmsten Parteikrise seit 31 Jahren - Österreich habe so etwas „noch nicht erlebt“. Gleichzeitig zeigte sich Lunacek aber auch davon überzeugt, dass es den Grünen gelingen werde, „wieder in den Nationalrat einzuziehen“. In der ZIB2 verteidigte Lunacek die Doppelspitze: Felipe habe viel Arbeit nach innen geleistet. Man müsse nun die Fehler analysieren, die bereits lange vor dem Abgang von Peter Pilz passiert seien. Man werde wohl auch die Strukturen anschauen müssen.

Ulrike Lunacek und Ingrid Felipe

APA/Robert Jäger

Lunacek und Felipe waren bei der Pressekonferenz sichtlich bewegt

„Tirol ist nächste wichtige Wahl“

Felipe will sich ganz auf ihre Arbeit als Tiroler Parteichefin konzentrieren, um die „Trendwende“ zu schaffen. Dort findet nächstes Jahr eine Landtagswahl statt. Was die Zukunft der Bundesgrünen betrifft, gebe es derzeit „keine einfachen Antworten“, die Lage sei zu ernst. Sie und Lunacek würden aber jetzt die Verantwortung dafür übernehmen, „dass die Mission nicht gelungen ist“, die Grünen im Nationalrat zu halten. Es habe viele Fehler gegeben, das müsse man sich genau anschauen.

„Tirol ist die nächste wichtige Wahl und Tirol braucht meine volle Energie“, hatte Felipe bereits zuvor gegenüber der „Tiroler Tageszeitung“ („TT") ihren Rückzug begründet. Sie helfe den Grünen sicher am allermeisten, „wenn wir in Tirol gut abschneiden“, so Felipe, die erst vor rund vier Monaten als Ersatz für Eva Glawischnig die Führung der Bundesgrünen übernahm.

„Wenn man als grüne Partei nicht mehr dem Nationalrat angehört, kann man nur sagen, die schwierige Mission ist gescheitert“, wird die scheidende Kurzzeit-Grünen-Chefin von der „TT“ zitiert. Auf die Frage, ob es ein Fehler war, die Grünen von Tirol aus zu führen, sagte Felipe: „Mittlerweile teile ich diese Einschätzung.“ Sie sei aber auch als Bundessprecherin nur eingesprungen, nachdem niemand diese Verantwortung übernehmen wollte. „Ich war sozusagen die Feuerwehr“, so Felipe, die den Grünen das Problem einer „Besserwisserei“ attestierte.

110 Mitarbeiter vor Kündigung

Laut APA-Informationen haben die Grünen unterdessen bereits mit der Abwicklung der Bundespartei begonnen. Am Montag wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass ihnen mit Ende der am 8. November endenden Gesetzgebungsperiode die Kündigung droht.

Insgesamt sind rund 110 Mitarbeiter betroffen. Rund 90 dürfte es den Angaben zufolge im Parlamentsklub der Grünen treffen, knapp 20 in der Bundespartei. Die Grünen müssen in den nächsten Wochen bis zur konstituierenden Sitzung des Parlaments auch ihre Klubbüros rund um das Parlament räumen. 31 Jahre waren die Grünen seit ihrem Einzug 1986 im Nationalrat vertreten.

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