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Ein klarer Sieger und zehn Erkenntnisse

Fünf Monate harter bis „schmutziger“ Wahlkampf liegen hinter Österreich. Zahlreiche Umfragen haben es prognostiziert und auch das Geschäft der Meinungsforschung gerettet. Mit Sonntag steht fest: Sebastian Kurz hat sein langfristig angelegtes Projekt für den Wechsel erfolgreich gekrönt. Er ist wohl auf dem Weg, Europas jüngster Regierungschef zu werden.

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Zumindest hat er zwei Optionen, eine Regierung zu formen, und wird dazu wohl auch in dieser Woche von Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragt werden. Kurz hat die ÖVP mit 31,4 Prozent klar auf den ersten Platz geführt und die SPÖ unter Christian Kern und die FPÖ unter Heinz-Christian Strache im Beinahe-ex-aequo-Bereich auf die Plätze verwiesen.

BBC-Aufmacher am Sonntagabend

Screenshot

Sonntagnacht schaffte es Sebastian Kurz mit seinem Abschneiden auf den Aufmacherplatz der BBC

Die plus 7,4 Prozent für die erneuerte Volkspartei lassen vergessen, dass die ÖVP bei der Übernahme durch Kurz im Mai in Umfragen teils unter der 20-Prozent-Marke lag. Dass Kurz die selbst ausgerufene „größte Erneuerungsbewegung, die Österreich je gesehen hat“, erfolgreich bewältigen konnte, mag nicht nur mit den durchgesetzten Gestaltungsrechten in der eigenen Partei begründet werden.

Sebastian Kurz (ÖVP)

ORF.at/Roland Winkler

Neue Farbe, neue Gefühle für die ÖVP-Anhänger 15 Jahre nach dem Wahlsieg unter Wolfgang Schüssel 2002

Der Unterschied zwischen Kernteam und Kern-Team

Egal ob man nun „geleakten“ Berichten im Wahlkampf zur lange geplanten „Machtübernahme“ Glauben schenken mag oder nicht: Kurz arbeitet seit Jahren mit einem eingeschworenen Kernteam an seinem politischen Aufstieg - ein klarer Unterschied zum Kern-Team des noch amtierenden Bundeskanzlers, das sich trotz ebenfalls lange geplanten Politeinstiegs immer schon deutlich inhomogener darstellte als das des innerkoalitionären Herausforderers (und das die „Causa Silberstein“ wie eine selbst verschuldete Pointe erntete).

„Historischer Wahlsieg“

Der Wahlsieg von Kurz ist aus einigen Gründen historisch. Einerseits, wie Martina Salomon vom „Kurier“ erinnerte, ist es erstmals einem kleineren Koalitionspartner gelungen, aus der Regierung heraus einen Kanzler zu stürzen. Andererseits falsifizierte der Sieg von Kurz ein anderes, beinahe als ehern gehandeltes innenpolitisches Gesetz: „Wer eine Wahl vom Zaun bricht, verliert.“

Oft hörte man in den vergangenen Monaten in Diskussionen zur Innenpolitik vom Versäumnis des Christian Kern, nach der Vorstellung des „Plans A“ und den innerkoalitionären Querelen eine Neuwahl angestoßen zu haben. Eine andere Koalitionsoption als ein neues Zusammengehen mit der Volkspartei wäre der SPÖ durch die nicht erfolgte und auch jetzt kaum durchsetzbare Koalitionsöffnung zur FPÖ kaum übrig geblieben (es sei denn, man glaubt an Fantastereien einer Koalition „gegen Rechts“).

Kurz in der Runde der Spitzenkandidaten

Kurz über den Wunsch, eine „stabile Regierung“ zu bilden - und sein Aufruf, gemeinsam für Österreich zu arbeiten.

Kurz nutzte die kurze Zeit bis zum Wahltag für die für ihn richtigen Schritte: Er baute seine Partei, inklusive Farbleitschema, so stark um, dass tatsächlich eine neue Bewegung sichtbar und erlebbar wurde und niemand die Liste Kurz mit der bis Reinhold Mitterlehner und Michael Spindelegger bekannten ÖVP in direkte Verbindung bringen musste. Alteingesessene Funktionäre, die möglicherweise nicht mit jedem Besetzungsschritt einverstanden waren, hatten die Gewissheit, mit dem Sieg von Kurz zumindest, wie man es am Sonntagabend hörte, „am Wahlabend endlich auf der Siegerseite“ zu stehen.

ORF-Reporter Geier zum ÖVP-Wahlsieg

In seiner Analyse vergleicht Wolfgang Geier die Stimmung im ÖVP-Partysaal mit der Atmosphäre vergangener Jahre, wo man sich spät immer dem Leiden an der Wahlniederlage fügen musste.

Zehn Erkenntnisse zum 15. Oktober 2017

Schaut man auf das vorläufige Gesamttableau des Wahlausgangs, so bleiben von dieser Wahl und dem Wahlkampf zehn zentrale Erkenntnisse:

  • Die lange geglaubte Losung „Wer eine Wahl vom Zaun bricht“ verliert, gilt nicht mehr.
  • Der Dreikampf der Großen stellte die Kleinen in den Schatten.
  • Die Causa Silberstein hatte weniger Effekt als medial berichtet und nutzte wenn eher der FPÖ.
  • Die Grünen zahlten, wie die Wählerstromanalyse belegt, quer durchs ganze Land den Preis für den Dreikampf und retteten Kern die Bilanz.
  • Die negative Stimmung gegen die Große Koalition färbte wenn auf die SPÖ ab, nicht auf die ÖVP - trotz zehn Jahren Koalition.
  • Kurz setzte nicht auf die Rückeroberung Wiens, sondern nutzte die Stimmung „Bundesländer versus Wien“ (Stichwort: Wegzug wegen Ausländern etc.) und konnte damit auch in der Bundeshauptstadt punkten.
  • Eine langfristige Positionierung brachte klare Konturen in einer Wahlauseinandersetzung.
  • Negative Campaigning gegen den in den Umfragen favorisierten Kandidaten kann nach hinten losgehen.
  • Es gibt keinen Kanzlerbonus für Kurzzeitkanzler.
  • Ein als schmutzig empfundener Wahlkampf muss nicht zu Wahlmüdigkeit und niedrigerer Wahlbeteiligung führen.

"Die Meinung hatte sich schon 2015 verschoben

„Wähler stimmen dafür, was sie implizit und unbewusst für richtig halten“, schreibt der US-Sprach- und -Wahlforscher George Lakoff in seinem zur Wahlkampfbibel gewordenen Werk „Don’t Think of an Elephant“. Wenn Kurz so etwas wie den „amerikanischsten“ Wahlkampf in Österreich geführt hat, dann hat er wohl - wie auch internationale Kommentatoren mit Verweis auf den Rechtsruck in Österreich schreiben - die Stimmung im Land getroffen.

So interpretiert es ein Kurz-Beobachter, der es wissen muss: „Bei den internationalen Medien dominiert am Abend des Wahlsiegs von Kurz die Rechtsruck-Thematik“, schreibt Rainer Nowak in seinem „Presse“-Leitartikel: „Tatsächlich rückt Österreich mit dem heutigen Tag politisch ein Stück weit nach rechts. Allerdings nur im Wahlergebnis: Die politische Landschaft stellt sich 2017 wohl so dar, wie sich die Meinung in Österreich 2015 auch tatsächlich verschoben hat.“ Denn deutlich dazugewonnen hat an diesem Abend ja auch die FPÖ mit mehr als fünf Prozent.

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