„Zahlen belegen sehr viele Rückschritte“
Um die Gleichberechtigung von Frauen in Europa ist es sehr unterschiedlich bestellt, wie eine aktuelle Studie einer EU-Agentur festhält. Der Index für 2017, den das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) Anfang Oktober in Brüssel präsentierte, zeigt: Manche Länder machen Fortschritte, vielerorts gibt es aber auch Verschlechterungen. Andere Länder wiederum treten auf der Stelle - wie etwa Österreich.
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Die Studie analysiert offizielle Angaben von 2015 und vergleicht sie mit Zahlen aus den Jahren 2012, 2010 und 2005 - am Ende entsteht daraus ein Index. Schweden belegt seit Beginn der Erhebungen unangefochten den Spitzenplatz, dahinter rangiert stets Dänemark. Schlusslichter in Sachen Gleichstellung sind Griechenland, Ungarn und die Slowakei. Überdurchschnittlichen Fortschritt in der Gleichstellungspolitik bescheinigt die neue Studie Zypern und besonders Italien - der südliche Nachbar machte seit 2005 ganze zwölf Plätze gut.
Weit von der Spitze entfernt
Fast überholt hat Italien damit Österreich: wie schon bei den Indizes seit 2005 schneidet das Land hier im Vergleich mit den EU-28 unterdurchschnittlich ab. Mit einem Wert von 63,3 von 100 liegt Österreich bei einem ähnlichen Ergebnis wie Italien und Deutschland weit von der Spitze entfernt. Vergleichsweise gut schneidet Österreich im Bereich Jobzugang und Arbeitsbedingungen ab, allerdings bei einem sehr langsamen Gesamtfortschritt in der EU binnen der letzten zehn Jahre.

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: European Institute for Gender Equality
Mehr hat sich getan, was das Durchschnittseinkommen im Vergleich zwischen Frauen und Männern betrifft. Auch hier landet Österreich über dem Schnitt, viele Länder verzeichnen allerdings weit mehr Zuwächse im Index - etwa die Schlusslichter aus dem Baltikum, Bulgarien und Rumänien. Sehr enttäuschend ist das Resultat aus österreichischer Sicht bei Fragen zu Zeitaufwand für Familie und Pflege. Auch hier ist das Land weiter hinter dem Durchschnitt, im Gegensatz zu vielen anderen EU-Staaten gibt es immerhin keine Verschlechterung der Lage.
Bei Bildung und Jobs „große Segregation“
In Fragen zu Bildung und Jobs gibt es neben einigen Überraschungen altbekannte Trends. „Bei Bildung und Arbeitsmarkt ist die Segregation groß“, meint Virginija Langbak, die Direktorin des Instituts für Gleichstellungsfragen. Nach wie vor würden Männer in viel höherem Ausmaß als Frauen naturwissenschaftliche Fächer studieren und in der Folge entsprechende Berufe wählen. Frauen hingegen wendeten sich eher Geisteswissenschaften, Kunst und Erziehungsberufen zu. Das wirke sich auf die spätere Berufswahl und die damit verbundene Bezahlung aus.
Bemerkenswerte Fortschritte auf diesem Gebiet hat dem Index zufolge Italien gemacht, das bei der Geschlechtergerechtigkeit in Bildungsfragen auf Rang zwölf vorrückte. Auch Zypern, Luxemburg und Griechenland - das im Gesamtranking den letzten Platz belegt - verzeichnen signifikante Verbesserungen. Österreich ist auch in diesem Bereich nur Durchschnitt und hat viel Aufholbedarf zu Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden. Generell komme man in dieser Frage nur im „Schneckentempo“ voran, so EIGE-Direktorin Langbak.
Zuständige EU-Kommissarin „enttäuscht“
Die für Gleichstellungsfragen zuständige EU-Kommissarin Vera Jourova zeigte sich bei der Präsentation der Berichts über den neuen Index „enttäuscht“: „Die neuen Zahlen belegen sehr viele Rückschritte“, erklärte die Tschechin. Fast die Hälfte der EU-Länder habe sich in einem oder mehreren Gebieten verschlechtert. Bei der Präsentation des Berichts ebenfalls anwesend war die schwedische Ministerin für Gleichstellung. Asa Regner sprach vom „nötigen Druck vonseiten der Kommission“, weil Chancengleichheit kein Selbstläufer sei.
In einigen Ländern müsse man die „politische Arroganz“ hinsichtlich dieses Themas überwinden, meinte die schwedische Ministerin. Ihr Land habe bereits in den 1970er Jahren wichtige Schritte zur Gleichstellung von Männern und Frauen unternommen. Heute seien dort beispielsweise eingewanderte Frauen ebenso sehr in den Arbeitsmarkt integriert wie Schwedinnen. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, der Grieche Dimitrios Papadimoulis, kündigte für 2018 ein umfassendes Hearing im Parlament mit Experten und Vertretern aus den nationalen Parlamenten an.
„Ungleichheiten in allen Lebensbereichen“
Die Studienergebnisse zeigen, dass in allen Lebensbereichen „nach wie vor Ungleichheiten bestehen“, Kommissarin Jourova. Europa sei zum Handeln verpflichtet. Gleichstellung bedeute nicht, dass Frauen mehr wie Männer werden sollen - es gehe um die Schaffung eines Umfelds, in dem beide Geschlechter gleiche Wahlmöglichkeiten haben und uneingeschränkt am sozialen, Arbeits- und Familienleben teilhaben können.
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Valentin Simettinger, ORF.at, aus Brüssel