Ölgeld für Bildung
Katar will sich wirtschaftlich erneuern. Im Mittelpunkt steht nicht mehr nur das Öl, sondern zunehmend eine wohlhabende Wissensgesellschaft. Bei einer Rede in London stellte die 33-jährige Hind bint Hamad bin Chalifa Al Thani, eine der mächtigsten Frauen im Nahen Osten, kürzlich die Bildungspolitik ihres Landes in Zeiten der politischen Krise vor, berichtete die BBC. Doch ausgespart wurde dabei die Situation Tausender wirtschaftlich benachteiligter Gastarbeiter in Katar.
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Hind ist auf einer Mission, Katar als offenes und modernes Land in der Welt zu präsentieren. Ihre Worte sind von großem Einfluss - über die arabische Halbinsel hinaus. Die gebildete Aristokratin gilt als wichtige Beraterin ihres Bruders Scheich Tamim, des aktuellen Herrschers von Katar.

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Scheicha Hind bei einer Veranstaltung in Zagreb 2009
„Ultrakonservatives“ Image als Herausforderung
Eine große Herausforderung junger arabischer Frauen in der westlichen Welt sei das Image, das sie verkörpern: „Als ich in den USA studiert habe, hat jemand zu mir gesagt, er habe gedacht, wir lebten in Zelten“, so Hind in ihrer Rede. Sie wolle diesem Bild entgegenwirken, denn Katar sei nicht „ultrakonservativ“ und mehr als bloß ein islamischer Staat. Als Mitglied der nächsten regierenden Generation an Herrschern in Katar spielt die junge Scheicha auch eine wichtige Rolle in der Entwicklungspolitik ihres Landes.
Öl und Gas reichen nicht ewig
Hind studierte Menschenrechte am University College in London sowie an der Duke University in den USA und trägt jetzt dazu bei, eine Wissensgesellschaft in Katar aufzubauen. Als Generaldirektorin der laut eigenen Angaben unabhängigen Qatar Foundation will sie enorme Summen in die Bildungslandschaft Katars investieren - und damit baut sie auf einer Tradition auf: Katar steckte in den letzten Jahren bereits Millionen in den Bau von insgesamt zehn Universitäten.

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Skyline von Doha, Katar
Das Land müsse sich darauf gefasst machen, dass Öl und Gas nicht ewig vorhanden sein werden, so Hind. Für diese Zeit brauche Katar eine solide Basis an gebildeten Menschen, die Probleme lösen können. Die geringe Bevölkerungszahl komme dem kleinen Staat dabei entgegen: Es sei leichter als in anderen Ländern, den Großteil der Bevölkerung gut auszubilden.
Spannungen durch politische Krise
Hind nutzt ihr Aufgabengebiet Bildung regelmäßig für diplomatische Zwecke und erfüllt somit einen Part, der in Zeiten der politischen Krise in den Hintergrund gedrängt wurde. So sprach sie in London nicht nur über die Wichtigkeit von Bildung in Katar, sondern auch in den ärmsten Ländern der Welt. In ihrer Rede bezog sie sich zudem auf das heikle Thema der Boykotte und Blockaden durch Katars Nachbarländer sowie einige weitere Staaten Nord- und Ostafrikas. „Als die Blockaden eingeführt wurden, waren wir alle schockiert. Das haben wir nicht kommen sehen“, sagte sie gegenüber der BBC.
Denn seit Saudi-Arabien Katar vorwarf, radikalislamische Gruppen in der Region zu unterstützen, schlossen sämtliche umliegende Länder als Verbündete Saudi-Arabiens die Grenzen zu Katar und setzten die diplomatischen Verbindungen zum Emirat aus. Katar selbst sieht sich seinen Boykotteuren eindeutig überlegen, das zeigt nicht nur die fortgesetzte wirtschaftliche Unterstützung aus dem Iran und der Türkei, sondern auch kleine diplomatische Gesten wie Hinds Rede in London.
Keine Pause für Diplomatie
Denn anstatt sich auf politisches Kräftemessen einzulassen, lobte sie Saudi-Arabiens erste Schritte zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau: Dass das konservativ-islamische Land nun das Autofahren für Frauen erlaube, sei „eine großartige Entscheidung“ des Nachbarlandes, sagte Hind. Es gehe vor allem um Selbstbestimmtheit, wenn arabische Frauen sich nicht in jeder Lebenslage auf ihre Männer verlassen müssen. Im Vergleich dazu dürfen Frauen in Katar zwar Auto fahren, sie tun es allerdings meistens nicht, da wohlhabende Familien häufig eigene Fahrer haben.
65 Prozent der Studierenden weiblich
Menschenrechtsorganisationen zufolge sind katarische Frauen Männern im Alltag jedoch alles andere als gleichgestellt. Sie erhalten nicht genügend Schutz im Falle von häuslicher Gewalt, und Scheidungen sind von der Seite der Ehefrau nur äußerst schwer geltend zu machen. Geht es allerdings nur um Bildung, könnte man meinen, es wäre anders: Denn 65 Prozent der Studierenden in Katar sind Frauen.
Anders als in den meisten Ländern der Welt liege die Herausforderung also nicht darin, mehr Frauen an die Universitäten zu bekommen, sondern mehr Männer, so Hind. Und deshalb soll noch mehr Geld in Bildung investiert werden: Es gehe vor allem darum, junge Wohlhabende zum Lernen zu motivieren - jene, denen Bildung durch finanzielle Privilegien in die Wiege gelegt wurde.

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Rund 2,2 Millionen Ausländer
Diese von Hind erwähnte, wohlhabende Bevölkerungsgruppe sind einheimische Familienclans, die durch Erdöl reich geworden sind. Das BIP pro Kopf ist eines der höchsten der Welt und beträgt rund 50.000 Euro. Doch hat Katar laut Angaben der UNO die höchste Quote an Arbeitsmigranten der Welt. 88 Prozent der rund 2,6 Millionen Einwohner sind ausländischer Herkunft.
Da praktische Arbeit in der Tradition des Emirats verpönt ist, sind Gastarbeiter - vor allem Nepalesen, Pakistaner, Inder und Menschen aus Nord- und Ostafrika - unentbehrlich für die Megabauprojekte in dem Land - darunter auch die Errichtung von einem Dutzend WM-Stadien für die Fußballweltmeisterschaft 2022.
Bildung nur für reiche Einheimische?
Wohlstand und der Zugang zu höherer Bildung und Tätigkeiten jenseits von handwerklicher Arbeit bleiben also nahezu ausschließlich den reichen, gebürtigen Katarern vorbehalten - Aspekte, die sich in den Reden Hinds bisher nicht finden lassen. Denn wenn sie in London auch den Bedarf an Bildung in armen Ländern der Welt ansprach, so fehlte bisher der Blick auf die Situation der Tausenden Gastarbeiter im eigenen Land.
So ist fraglich, ob die diplomatischen Bemühungen der Scheicha zur Gleichstellung in der Gesellschaft auch ärmeren Bevölkerungsgruppen in Katar zugutekommen - oder ob die Früchte dessen nur von der royalen Wissensgesellschaft geerntet werden können.
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