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Festhalten an Unwissenheit

Der SPÖ stehen zwei schwere letzte Wahlkampfwochen bevor. Nach Bekanntwerden der Facebook-Affäre um Ex-Berater Tal Silberstein Samstagfrüh ist die Partei um Schadensbegrenzung bemüht. Am Montag versprach der interimistische Geschäftsführer Christoph Matznetter im Ö1-Morgenjournal einmal mehr Aufklärung.

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„Wir werden unser Rechnungswesen lückenlos kontrollieren lassen“, sagte Matznetter. Er soll die Causa parteiintern aufarbeiten. Zudem kündigte er an, externe Personen beizuziehen. Hinsichtlich einer möglichen Kenntnis der Vorgänge um die beiden Facebook-Seiten blieb Matznetter ganz auf der bisherigen Linie der SPÖ: „Wir sind, wenn man so will, mitten in einem Tsunami aufgewacht“, sagte Matznetter.

Wie „Presse“ und „profil“ am Samstag berichteten, stand Silberstein hinter zwei Facebook-Seiten. Die eine gab sich als radikale Fanseite von ÖVP-Chef Sebastian Kurz aus, die andere schoss mit teils rassistischen, teils antisemtischen Postings gegen den ÖVP-Obmann. Laut dem interimistischen Geschäftsführer ist das nicht der Stil der SPÖ. „Wir wollen daher völlige Aufklärung und Transparenz herstellen“, sagte Matznetter. Die Öffentlichkeit soll über das Ergebnis informiert werden. Matznetter sagte, dass keinerlei Finanzierung der Facebook-Seiten vonseiten der SPÖ durchgeführt worden sei.

„Mehr als beklemmend“

Matznetter, der nach dem Rücktritt von Georg Niedermühlbichler mit Andrea Brunner die SPÖ-Bundesgeschäftsführung übernommen hatte, versicherte, alles zu tun, um erste Antworten noch vor der Wahl am 15. Oktober zu liefern. Die roten Wahlkämpfer seien in einem Argumentationsnotstand. Daher brauche es Antworten auf die Fragen. „Ich darf mich an der Stelle auch bei den vielen Menschen, denen die Demokratie ein Anliegen ist und die sowas nicht wollen, entschuldigen“, sagte Matznetter.

„Die SPÖ steht 14 Tage vor der Wahl vor einer Situation, die mehr als beklemmend ist“, den Nutzen habe der politische Mitbewerb, so Matznetter. Ähnlich wie SPÖ-Obmann und Kanzler Christian Kern Sonntagabend auf ATV fand Matznetter es mehr als sonderbar, wie die Sache abgelaufen sei. Silberstein habe jemanden beauftragt, der schon einschlägig mit Dirty Campaigning für die ÖVP aufgefallen sei. Man müsse sich fragen, wem das nütze.

Köstinger sieht „Opfer-Täter-Umkehr“

„Ich glaube nicht immer an Zufälle“, gerade „wenn dann auch noch ein Spitzenkandidat einer anderen Partei gestern in der Fernsehdiskussion genau wusste, wie viele Mitarbeiter hier für Silberstein tätig waren.“ Das sei nirgends gestanden. „Das macht uns schon sehr nachdenklich.“

ÖVP-Generalsekretärin Elisabeth Köstinger verlangte „echte Aufklärung statt Vertuschung“ und eine Entschuldigung von Kern. Matznetter warf sie vor, „Opfer-Täter-Umkehr“ zu betreiben. „Bedauerlicherweise hat Bundeskanzler Christian Kern nicht die Größe, sich bei uns zu entschuldigen. Er sollte es aber jedenfalls bei allen Menschen tun, die getäuscht wurden, und allen, die rassistisch und antisemitisch diffamiert wurden, allen voran die Israelitische Kultusgemeinde“, so Köstinger.

Auch Kurz fordert Entschuldigung

Auch Kurz drängte am Montag auf eine Entschuldigung Kerns. „Wenn schon nicht bei mir, dann zumindest bei den Menschen, die getäuscht wurden oder durch radikale Postings verletzt wurden“, so Kurz. Nun müsse von der SPÖ geklärt werden, wer diese Machenschaften und den mittlerweile gefeuerten Berater Silberstein beauftragt habe, Dirty Campaigning zu machen. Den Vorwurf, er würde über Insiderwissen in der Causa verfügen, wies der ÖVP-Chef zurück: „Das wird immer absurder.“

Kern sieht sich als Opfer

„Wir haben nicht gerade einen Lauf gehabt“, hatte Kern in der TV-Diskussion den bisherigen SPÖ-Wahlkampf kommentiert. Gleichzeitig warnte er erneut vor einer möglichen schwarz-blauen Regierung nach der Wahl. Für das am Wochenende aufgedeckte Dirty Campaigning habe er überhaupt kein Verständnis, das müsse „konsequent aufgeklärt“ werden. Kern sah sich und die SPÖ aber auch als Opfer: „Wir sind die wesentlich Geschädigten.“ So sei er auf der Facebook-Seite „Die Wahrheit über Christian Kern“ verunglimpft worden, 80 Prozent der Inhalte seien gegen die SPÖ gerichtet gewesen, das sei „einigermaßen skurril“.

Kern meinte auch, die Seiten seien erst mit der Auflösung des Vertrages mit Silberstein vermehrt rassistisch und antisemitisch geworden. „Das ist nicht in unserer Küche gekocht“, sagte Kern. Er sehe auch Querverweise zu anderen Parteien. Dass die Geschichte 14 Tage vor der Wahl publik werde, „das sind schon sehr viele Zufälle“.

„Ärgert mich auch für Sebastian Kurz“

Die Vorfälle würden ihn wegen der SPÖ-Basis ärgern, die den Wahlkampf betreibe - und es „ärgert mich auch für Sebastian Kurz“. Kern kritisierte aber auch - in Anspielung auf Berichte über Korruptionsvorwürfe bezüglich Firmenbeteiligungen seiner Frau und seiner selbst - Medien, die „völligen Unsinn“ über ihn verbreiten würden. Das sei „erstunken und erlogen“, würde aber von ÖVP- und FPÖ-Accounts weiterverbreitet. „Die beiden Kollegen“ - gemeint waren ÖVP-Chef Kurz und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache - würden nun so tun, „als ob sie ihre Hände in Unschuld waschen.“

So wunderte sich Kern auch, dass Kurz in der Diskussion gesagt hatte, Silberstein habe zwölf Mitarbeiter und ein Büro gehabt. Das „Insiderwissen“ sei in keiner Zeitung gestanden. Der ÖVP-Chef gab an, das aus Gesprächen mit Journalisten erfahren zu haben. Kern verwies dagegen darauf, dass Silberstein ja einen ehemaligen ÖVP-Mitarbeiter mit der Leitung der verdeckten Facebook-Aktion betraut habe.

Kurz: „Wer hat es finanziert?“

Kurz verwies zu Beginn der Diskussion darauf, dass seine Partei immer wieder gegen die Seiten protestiert und auch bei Facebook vergeblich die Einstellung beantragt habe. Zudem habe man schon vor einem halben Jahr gesagt, dass mit Silberstein Wahlkampfmethoden importiert werden, „die wir in Österreich nicht wollen“. Vonseiten der SPÖ sei gesagt worden, Silberstein würde nur Daten analysieren.

Kurz sah eine „Grenzüberschreitung“, es sei versucht worden, die Menschen zu täuschen. Mit der Seite „Wir für Sebastian Kurz“ sei versucht worden, ihm die Schuld zu geben. Dass Niedermühlbichler mit seinem Rücktritt politische Verantwortung übernommen hat, nahm Kurz mit „Hochachtung“ zur Kenntnis. Es würden aber entscheidende Fragen bleiben: „Wer hat es beauftragt und wer hat es finanziert?“

Strache: „Das ist eine Kern-Affäre“

Strache sah einen „Tiefpunkt der politischen Kultur“. Die Facebook-Seite mit antisemitischen Postings habe man der FPÖ unterjubeln wollen. Strache sagte, er glaube überhaupt, dass auf unterschiedlichen Facebook-Seiten seit Jahren „Agents Provocateurs“ unterwegs seien. Solche Methoden hätten in der politischen Landschaft nichts verloren.

Strache sagte, er wundere sich, wieso die Facebook-Seiten nach den Enthüllungen in kürzester Zeit abgedreht wurden, wo doch die SPÖ nichts damit zu haben wolle. Natürlich trage Kern als Parteichef Verantwortung: „Das ist eine Kern-Affäre.“ Er lasse nicht zu, dass sich Kern nun als „Unschuldslamm“ präsentiere. Dass dieser von „Hetze und Hass“ im Netz nichts gewusst haben soll, „das kauft niemand dem Herrn Kern ab“. Strache schlug vor, statt einer internen „Taskforce“ Peter Pilz mit der Untersuchung zu beauftragen. Nachsatz: Der werde nach dem 15. Oktober auch Zeit haben.

Pilz: „Absolute Schande“

Pilz, der mit seiner Liste bei der Nationalratswahl antritt, sprach von einer „absoluten Schande“, holte aber gleich zum Rundumschlag aus und kritisierte die ÖVP etwa in Sachen Islamstudie. Österreich habe derzeit viele und ganz andere Probleme. Er verwies auf die Einigung zum Thema Mindestunterhalt für Alleinerziehende, die man in einer anderen Diskussionsrunde erzielt hatte: „Je schneller wir zu den wesentlichen Themen dieser Republik kommen, desto besser ist es für uns.“

Lunacek vermisst Entschuldigung

Grünen-Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek sagte, sie hätte sich eine Entschuldigung von Kern erhofft. Sie pochte darauf, dass noch vor der Wahl bekanntgemacht werden müsse, woher das Geld für die Facebook-Seiten kam. Lunacek wies auch darauf hin, dass Kurz eine Moderatorenfrage nicht beantwortet hatte, nämlich ob ein „Maulwurf“, den Silberstein laut einem Interview in der SPÖ vermutete und der die Aufdeckung ins Rollen gebracht hatte, aus der ÖVP gekommen sei.

NEOS-Chef Matthias Strolz wiederum sah sich in der Affäre in seiner Parteigründung bestätigt: „Wir halten das alte Politsystem nicht aus.“ Er räumte erneut ein, dass Silberstein zwar vor einiger Zeit für NEOS Wien gearbeitet habe, auf Bundesebene aber nicht: „Tal Silberstein hat bei mir auf Bundesebene keinen Fuß über die Tür bekommen, weil ich habe eine bestimmte Menschenkenntnis.“

Doskozil drängt auf rasche Aufklärung

Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) drängte indes auf rasche Aufklärung der Affäre. Noch vor der Wahl am 15. Oktober müsse die SPÖ auf den Tisch legen, wer die Verantwortung trägt. Er gehe davon aus, dass man „relativ rasch“ klären kann, wer die Facebook-Seiten in Auftrag gegeben und wer sie finanziert hat, sagte Doskozil in der ORF-Sendung „im Zentrum“.

Doskozil sagte, er habe von „diesen Vorgängen“ selbst erst aus den Medien erfahren. Für ihn sei klar, dass „das eine Art und Weise ist, wie die SPÖ keinen Wahlkampf führen darf“. Mit einem Bekenntnis zum Zusammenhalten und Zusammenarbeiten „auch in einer schwierigen Phase“ konterte Doskozil den Einwurf von FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl, er freue sich - als „Erbschleicher“ - vielleicht sogar „ein bissl“ über diese Kern betreffende Affäre. Kern sei der SPÖ-Vorsitzende und er werde diese Wahl auch bestreiten, so der burgenländische SPÖ-Spitzenkandidat.

Eine Klarstellung gab ÖVP-Kandidat Efgani Dönmez ab - und zwar zu seiner Zusammenarbeit mit dem früheren ÖVP-Pressesprecher, der als PR-Berater von Silberstein für die Umsetzung der Facebook-Kampagne engagiert war. Er kenne „diese Person“ natürlich, habe sie für seine europäische Bürgerinitiative gegen Extremismus im Sommer engagiert, die Zusammenarbeit „wurde aber selbstverständlich eingestellt“. Über dessen Engagement für Silberstein habe er nichts gewusst, so Dönmez, das habe ihm der PR-Berater auch nie erzählt.

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