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„Mainstream nur bedingt ausschöpfbar“

In „Wir töten Stella“ spielt die deutsche Charakterdarstellerin Martina Gedeck eine Ehefrau, deren Leben durch die Affäre ihres Ehemanns zerstört wird. ORF.at traf Gedeck sieben Tage vor der deutschen Bundestagswahl zu einem Gespräch über den Film, Lebensglück, Mobbing im Internet und ihre Sorge vor einem Rechtsruck.

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Gedeck, kürzlich 56 geworden, brillierte als Ulrike Meinhof im „Baader Meinhof Komplex“ ebenso wie im oscargekrönten Werk über Stasi-Methoden „Das Leben der Anderen“. In „Der gute Hirte“ war sie neben Hollywood-Granden wie Robert De Niro zu sehen. 2012 spielte sie die Hauptrolle in „Die Wand“ nach dem Roman der 1970 verstorbenen oberösterreichischen Autorin Marlen Haushofer.

ORF.at: Worin besteht die Aktualität von Marlen Haushofer?

Martina Gedeck: Was sie beschreibt, sind ganz elementare Dinge, die jeden Menschen beschäftigen. Sie berichtet immer vom Sterben. Es begleitet ihre Geschichten. Das Sterben ist für sie kein Endpunkt. Dadurch, dass sie der Natur so verbunden ist, der Natur so viel abgelauscht hat, weiß sie, dass das Leben permanent vom Sterben begleitet ist. Das ist etwas, das sie immer wieder evoziert beim Schreiben.

Schauspielerin Martina Gedeck

ORF.at/Christian Öser

Martina Gedeck im ORF.at Interview: „Glück bedeutet für mich Lebensfreude“

Diese Umschlingung von Leben und Sterben ist für uns vielleicht erschreckend, aber für sie etwas ganz Natürliches. Etwas, mit dem sie uns in aller Schonungslosigkeit konfrontiert. Das ist das Radikale ihres Werkes. Wenn sie von der Verlassenheit des Menschen spricht, aber nicht von der Hoffnungslosigkeit. Denn sie empfindet das durchaus auch als Stärke. Als dem Menschen mitgegebene Kraft. Verlassen sein ist für sie auch ein natürlicher Zustand, ebenso wie verlassen werden.

Da sitzt sie mit dem Kern ihres Schreibens im eigentlichen Lebenskern. Deswegen sind wir immer im tiefsten Kern angesprochen. Wir haben dann auch nicht mehr das Gefühl, dass Zeitläufte eine Rolle spielen. 60er, 90er oder Nuller-Jahre. Weil diese Lebensthemen immer eine Rolle spielen. Weil sie vom Leben und vom Sterben selbst spricht, und das ist zeitlos.

ORF.at: Ihren Werken wird Kritik am Patriarchat zugesprochen. Lernen wir mit Haushofer auch Geschichte – frauenpolitisch?

Gedeck: Ich persönlich lerne nicht die Geschichte der Frauenbewegung bei ihr. Was ich sehe in ihren Geschichten sind Gedanken, die Frauen immer haben werden. Ich glaube, dass es in der Natur der Sache liegt: Wenn man mit einem Menschen eng zusammenlebt und sich entfremdet, kommt es zu diesem Doppelleben. Das beide Ehepartner führen. Er ebenso wie sie. Das gibt es zu allen Zeiten.

Schauspielerin Martina Gedeck

ORF.at/Christian Öser

„Was ich sehe in ihren Geschichten sind Gedanken, die Frauen immer haben werden“, sagt Gedeck über Autorin Haushofer

Die Frage des selbstbestimmten Lebens, den Mut zu haben, ohne Netz und doppelten Boden zu leben, ist die Schwierigkeit auch heute, auch für Männer. Sie schreibt das vom weiblichen Standpunkt aus, da bleibt sie sich treu. Aber auch Männer treibt das um.

Haushofers Privatleben wird im Nachklang ausgeschlachtet, weil sie sich nicht nachhaltig aus ihrer Ehe gelöst hat. Anders als Ingeborg Bachmann hat sie nicht das Künstlerleben gewählt, sondern ist im bürgerlichen Leben geblieben.

ORF.at: Mangelt es an Wissen um Frauengeschichte? Wie haben Sie Ihren eigenen Karriereweg in die Selbstbestimmung gestaltet? Stimmt es, dass Sie schon als Kind in der „Sendung mit der Maus“ zu sehen waren?

Gedeck: Nein, das war nur eine schulische Veranstaltung, bei der aufgezeichnet wurde. Ich habe eine Zeit gebraucht, bis ich mich für den Beruf entschieden habe. Ich habe erst mal ein geisteswissenschaftliches Studium begonnen. Ich wusste schon immer, dass ich mit Leidenschaft an die Dinge herangehe. Das ist ein Wesenszug von mir, dass ich mich sehr gerne intensiv mit Dingen beschäftige. Das ist mir in die Wiege gelegt.

Schauspielerin Martina Gedeck

ORF.at/Christian Öser

Nadja Sarwat traf die vielbeschäftigte Schauspielerin zum Interview für ORF.at in Wien

Als ich zum Schauspiel kam, habe ich nicht lockergelassen, bis es so war, dass es mir gefallen hat. Am Anfang versucht man, es ja allen recht zu machen. Man versucht, gut zu sein, erst für die Lehrer, später - um Arbeit zu bekommen, Erfolg zu haben - für die Regisseure. Es gibt immer den Vorgesetzten, der urteilt: Das war richtig, das war zu laut, das war zu leise. Da ist dem Beruf die Vaterfigur implizit.

Ich habe dann damit aufgehört, mich daran zu orientieren. Ich habe angefangen, mich zu fragen, was will ich erzählen? Was interessiert mich an dieser Figur? Was will ich eigentlich transportieren? Da fing es an, interessant zu werden, auch für die Regisseure. Mit jemandem zu arbeiten, der selber etwas zu sagen hat. Auch etwas Neues hinzufügt. In unserem Beruf ist es ja immer eine Zusammenarbeit.

ORF.at: Sind Sie eine Teamplayerin?

Gedeck: Ja, in gewisser Weise bin ich das. Ich bin dankbar und froh, wenn Leute ihre Arbeit lieben und gut machen und verlasse mich dann auch darauf. Ich mag, wenn ich z. B. mit einer Kostümbildnerin arbeiten kann, die tolle Kostüme macht, mit einem Kameramann, der ein Gefühl dafür hat, was das Menschsein ausmacht, nicht nur schöne Bilder fotografieren will. Dann bin ich sehr glücklich. Da gebe ich gern die Verantwortung ab oder frage nach der Meinung der anderen.

Es gibt aber andererseits auch Situationen, wo man schauen muss, dass man selber nicht verloren geht. Etwa wenn zu viele Menschen mitbestimmen, dann bleibt von einem selber nichts mehr übrig. Das ist das andere Extrem.

ORF.at: Ist das Ihr Erfolgsrezept? 

Gedeck: Wenn man das, was einen interessiert, ausleben kann in der Arbeit, dann wird sie zur Lust und zur Freude, und in dem Moment trägt es auch Früchte. Dann interessiert es auch andere Leute. Im Kern muss ich etwas haben, das mir Spaß macht, das mich begeistert und positiv beschäftigt. Dann schwappt das auf die anderen über.

ORF.at: Was bedeutet Glück für Sie?

Gedeck: Glück bedeutet für mich Lebensfreude.

ORF.at: Sie arbeiten ja viel international. Wie beurteilen Sie die Österreichische Filmszene? Wollten Sie auch mal mit Michael Haneke drehen?

Gedeck: Ich würde mit einigen österreichischen Regisseuren gerne drehen, ich hoffe, dass das noch auf mich zukommen wird. Ich habe ja schon viel hier gemacht. Einmal im Jahr bin ich in Österreich und erlebe das als großes Glück. Die Szene, soweit ich es beurteilen kann, erlebe ich als sehr kreativ und auch sehr eigen. Man reicht sich die Hand hier. Gerade das künstlerische Element, das Eigenwillige, findet hier seine Plattform, wird unterstützt und fällt nicht dem Mainstream zum Opfer.

Da gibt es besondere, kreative Köpfe, die die Möglichkeit bekommen, Spannendes zu machen. Wenn man immer alles nach Schema F macht, nur Glattgebügeltes zulässt, kommt das raus, was gerade in Hollywood gar nicht mehr so gut funktioniert. Der Mainstream ist nur bedingt ausschöpfbar, irgendwann läuft sich das tot. Da hat keiner mehr Lust drauf. Hier denkt man sich immer Neues aus.

ORF.at: Trotz Geldmangels.

Gedeck: Das finde ich happig, den Geldmangel. Auch mit mehr Geld könnte man Kreatives machen.

ORF.at: Sie waren Delegierte im Landtag für die Grünen?

Gedeck: Das war eine einmalige Einladung, das sagt nichts aus über meine politische Richtung. In Deutschland gibt es die Möglichkeit, wenn es um die Bundespräsidentenwahl geht, Personen des öffentlichen Lebens einzuladen, die als Obmann oder -frau eine Stimme bekommen. Ich bin als Gast von den Grünen eingeladen worden, an diesem Tag mitzuwählen. Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung gewählt, ich war als Gast dabei. Ich hatte für Gauck gestimmt. Ich wäre der Einladung auch anderer Parteien gefolgt, allerdings nicht jeder.

ORF.at: Einladungen rechter Gruppierungen wie AfD wären Sie nicht nachgekommen?

Gedeck: Sicher nicht!

ORF.at: Als wie gefährlich schätzen Sie den Rechtsruck ein?

Gedeck: In Deutschland ist es nicht anders als in Österreich oder der Schweiz. Dadurch, dass sich diese Partei sehr geschickt als Volkspartei geriert, hat sich das zu einer großen Kraft entwickelt. Mal sehen, wie viele Stimmen sie bekommen. Wir befürchten, mehr, als man denkt. (Das Gespräch wurde kurz vor der Wahl geführt, Anm.)

ORF.at: Neu sind auch der Hass und das Mobbing im Netz. Wie beurteilen Sie das Phänomen, das oft gerade Frauen sehr belastet.

Gedeck: Ja, das befördert natürlich die Dinge, wenn man Gleichgesinnte auf einer Plattform findet, und diese Art von Gedankengut als salonfähig erklärt wird. Wenn es vielleicht in der arabischen Welt positive Auswirkungen hat, im Sinne dessen, dass sich Frauen zusammenfinden, oder in Osteuropa sich Widerstand formieren kann, hat es bei uns die Folge, dass sich auch Hass verbreitet. Das ist eine Gefahr.

Das Mobbing auch innerhalb von Institutionen finde ich bedenklich. Dass sich keiner mehr traut, was zu sagen, aus Angst, was Falsches zu sagen. Da sehe ich viel Unterdrückung von Menschen, die nicht mehr aufbegehren gegen Ungerechtigkeiten und Missstände. Das ist ein bisschen wie in einer Diktatur. Man sagt lieber nichts.

ORF.at: Eine Schweigespirale. Wie in „Wir töten Stella“?

Gedeck: Ja, das hat viel mit dem Film zu tun. Ich bin in einem Beruf, wo ich mich rausnehmen kann, und nicht wissen muss, was andere reden, nicht über mich oder meinen Film. Ich halte mich auch nicht in Sozialen Netzwerken auf. Aber ich weiß es von Freunden und Bekannten, die in anderen Strukturen arbeiten müssen als ich. Und die sehr darunter leiden. Da gibt es viel Burn-out, dass man nicht mehr zur Arbeit gehen kann oder will. Oder dass man weggemobbt wird. Das nimmt überhand: Und man kriegt es nicht mit, kann es nicht festmachen, kann es niemandem erklären. Aber es wird extrem gemobbt und auf eine perfide Art.

Das ist wie früher bei Hofe. Da hat man hinter vorgehaltener Hand geredet. Die Menschen sind nicht besser geworden. Ich hoffe, dass wir die Brisanz dieser Missstände erkennen und Mittel finden, wie man sich davor schützt und dagegen zur Wehr setzt. Ich habe schon noch Vertrauen in die Menschheit.

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