Interviews zeichnen Bild des Schreckens
Ein Bericht von Hilfsorganisationen zeichnet ein dramatisches Bild der Lage afrikanischer Flüchtlinge in Libyen. Folter, Vergewaltigung und Zwangsarbeit gehörten zum Alltag vieler afrikanischer Flüchtlinge in Libyen, heißt es etwa in einem Anfang August veröffentlichten Bericht der Hilfsorganisation Oxfam in Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen Medu und Borderline Sicilia.
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Der Bericht stützt sich auf die Aussagen von 158 Flüchtlingen, die von Libyen aus Sizilien erreichten. Libyen ist eines der Haupttransitländer für Flüchtlinge aus Afrika auf ihrem Weg nach Europa. Das Land wird in weiten Teilen von bewaffneten Milizen kontrolliert, obwohl im vergangenen Jahr ein Versuch gestartet wurde, eine Einheitsregierung zu bilden.

APA/AP/Emilio Morenatti
Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa
An staatlichen Strukturen mangelt es. Die Verhältnisse für Migranten, die in libyschen Flüchtlingslagern leben, unterliegen auch keiner Kontrolle. Forderungen nach der Einrichtung von Auffanglagern bzw. Registrierungszentren für Flüchtlinge in Libyen stoßen daher auf heftige Kritik.
Folter, Mord, Vergewaltigung und Nahrungsentzug
Von 31 befragten Frauen in dem Oxfam-Bericht gaben demnach alle bis auf eine an, Opfer sexueller Gewalt geworden zu sein. 74 Prozent aller befragten Flüchtlinge sagten, sie hätten Folter oder Mord an anderen Geflüchteten beobachtet, und 84 Prozent wurden nach eigener Aussage selbst Opfer körperlicher Gewalt oder Folter. Zudem gaben 80 Prozent an, ihnen sei in Libyen regelmäßig Nahrung und Wasser verweigert worden.
„Diese Aussagen zeichnen ein Bild der erschreckenden Umstände, denen Flüchtlinge und andere Migranten in Libyen ausgesetzt sind“, erklärte der Geschäftsführer von Oxfam Italien, Roberto Barbieri. Die Aussagen seien „eine bittere Anklage gegen die Versuche der EU, Menschen von der Flucht vor Gewalt, Sklaverei und Tod abzuhalten“. Die Bedingungen für die betroffenen Menschen in Libyen seien „unzumutbar“. Barbieri forderte die EU auf, „sichere Korridore“ zu schaffen, über welche die Flüchtlinge nach Europa kommen und „ein faires und transparentes Asylverfahren“ erhalten könnten.
EU-interner Bericht sieht Erwartungen bestätigt
Auch Diplomaten der Europäischen Union beklagten laut einem Bericht des deutschen Nachrichtenmagazins „Spiegel“ die Verhältnisse in den libyschen Flüchtlingslagern. „Der Zustand bestätigt die Erwartungen - schlechte sanitäre Verhältnisse, vom Platz her und der Hygiene ungeeignet, über tausend Flüchtlinge in Haft zu halten“, zitierte das Magazin in einer Vorabmeldung vom Samstag einen vertraulichen Bericht der Delegation.

Reuters/Ismail Zetouni
Afrikanische Migranten in Libyen: Die Zustände sind laut EU-Delegation völlig ungeeignet
Die Gesandten waren im April ins Flüchtlingslager Tarek al-Sika gereist. Zuvor hatten Experten und Hilfsorganisationen mehrmals auf die Lebensbedingungen in den libyschen Camps aufmerksam gemacht.
„Zwischen Lagern hin und her verkauft“
Die Lebensbedingungen in den Lagern seien äußerst karg - „und die kleine Stelle zur Arzneimittelausgabe ist ein trauriger Anblick“, heißt es weiter. Die EU-Diplomaten protokollierten auch Gespräche mit Flüchtlingen, von denen viele seit Monaten oder sogar länger als ein Jahr dort eingesperrt seien. Die Migranten berichteten über Misshandlungen während ihrer Reise nach Nordafrika. Viele hätten ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Weg nach Libyen verloren.
In inoffiziellen Lagern würden manche Flüchtlinge oft so lange festgehalten, bis sie Lösegeld zahlten. „Migranten werden offenbar manchmal sogar zwischen den Lagern hin und her verkauft“, heißt es laut „Spiegel“ in dem EU-Bericht. Zuvor hatten bereits deutsche Diplomaten Anfang des Jahres laut „Welt am Sonntag“ von „KZ-ähnlichen“ Verhältnissen in libyschen Lagern berichtet, in denen Schlepper ausreisewillige Migranten häufig gefangen halten.
Einheitsregierung ohne Macht
Libyen wird in weiten Teilen von bewaffneten Milizen kontrolliert, drei rivalisierende Regierungen ringen um die Macht. Fajis al-Sarradsch steht der von der UNO unterstützten Einheitsregierung vor. Das Parlament unterstützt hingegen General Chalifa Haftar, einen Widersacher der Regierung in Tripolis.
Sarradsch hatte gegenüber Italien eine Anfrage gestellt, der libyschen Küstenwache Unterstützung im Kampf gegen Menschenschmuggel zu leisten. Italien beschloss daraufhin einen Militäreinsatz vor der libyschen Küste. Italien erhofft sich davon eine Stabilisierung des vom Krieg zerrütteten Landes und eine bessere Kontrolle der Flüchtlingsströme. Von Libyen aus starten die meisten Migranten die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer in Richtung Europa. In diesem Jahr kamen in Italien bereits mehr als 95.000 Flüchtlinge an.
Warnung vor Festsitzen in der Wüste
Die Organisation Ärzte für Menschenrechte warnte in einem Bericht, dass das Abkommen zwischen Italien und der libyschen Regierung von Sarradsch dazu führe, dass Zehntausende Migranten aus Subsahara-Staaten in Libyen festsitzen. „Das bezeugt, auch der drastische Rückgang bei den Flüchtlingsankünften in Italien im Juli und im August“, hieß es von der Organisation.
Die EU unterstützt Libyen mit Millionenspritzen, erst Ende Juli wurden 46 Millionen Euro für eine Stärkung der Küstenwache und des Grenzschutzes bereitgestellt. Das Ziel: „verstärktes Grenzmanagement“ und Initiativen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Kommunen und zur Rückführung von Flüchtlingen in ihre Heimatländer.
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