Sie sind das erste Zusammentreffen zwischen Kindern und dem Medium Buch und im besten Fall Quelle für viele gute Erinnerungen und gemeinsames Geschichtenerzählen. Aber viele der Bilderbücher, an die sich Erwachsene gern zurückerinnern, sind heute nicht mehr verfügbar – und dafür gibt es ganz unterschiedliche Gründe.
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„Der kleine Drache Fridolin“ ist eine Kostbarkeit. Das Buch, das 1969 als Zusammenarbeit zwischen Mira Lobe und ihrer Illustratorin Susi Weigel erschienen war, wird heute in Onlineantiquariaten für ein Vielfaches seines Originalpreises gehandelt, gut erhaltene Ausgaben erzielen bis zu hundert Euro.
Magdalena Miedl
Katrin Feiner vom Tyrolia-Verlag
Unter Bilderbuchsammlern ist die Erstausgabe, die von den Abenteuern eines frechen Flugdrachen handelt, hoch begehrt. Für klebrige Kinderhände ist die Ausgabe aber so gut wie verloren. Ein solches Schicksal ereilt heißgeliebte Bilderbücher immer wieder – und das kann viele unterschiedliche Gründe haben.
Katrin Feiner, die das Kinderbuchprogramm beim Tyrolia-Verlag leitet, hat einen Überblick über die Branche: „Es gibt inzwischen an die 8.000 Neuerscheinungen im Jahr, allein bei Kinder- und Jugendbüchern“, sagt sie, „der Markt wird immer schnelllebiger.“ Feiner und ihre Kollegin Inge Cevela bemühen sich um besondere Kinderbücher, ihre Arbeit wird immer wieder ausgezeichnet, doch echten Klassikerstatus schafft kaum ein Buch mehr.
Der Hunger nach immer Neuem
Zu groß ist der Hunger der Branche nach immer mehr neuen Büchern – auch, wenn sich Buchhandlungen wie die Fabelwelt in der Wiener Schleifmühlgasse um qualitätsvolle Kinderliteratur bemühen. In der Fabelwelt gibt es Kinderbücher in 30 Sprachen, doch auch hier kann nur angeboten werden, was lieferbar ist.
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„Oft kommt ein Buch nach eineinhalb Jahren erst so richtig an – und wenn dann danach gefragt wird, ist es bereits vergriffen“, sagt Feiner. Erst vor wenigen Jahren haben sich Feiner und Cevela um eine Neuauflage von Käthe Recheis’ und Georg Bydlinskis Buch „Das kleine Entchen und der großen Gungatz“ bemüht, mit neuen Illustrationen von Alicia Sancha, doch es gab darauf wenig Resonanz: „Bei einer Neuauflage können wir für keine Preise einreichen, und ohne Preis gibt es kaum Berichterstattung.“ Dabei sind die Reime aus dem „Gungatz“ bei jenen, die ihn aus ihrer Kindheit kennen, unvergesslich.
Tyrolia Verlag
Der legendäre „Gungatz“: Kindheitserinnerungen einer ganzen Generation
Größere Aufmerksamkeit bekommen Bücher auch, wenn sie sich mit bestimmten Problemen auseinandersetzen, sagt Feiner: „Da kommen Leute in die Buchhandlung und sagen, ‚Mein Kind hat dieses und jenes Problem – gibt’s da was?’“ Von Töpfchengehen bis Kindesmissbrauch sind Kinderbücher immer wieder Erziehungsinstrument, die Freude am Buch spielt da kaum noch eine Rolle. Dazu schreibt auch Hildegard Gärtner, Leiterin des Jungbrunnen-Verlags: „Mich ärgert die anhaltende Pädagogisierung der Kinderliteratur. Alles, was Kinder in die Hand bekommen, soll auch lehrreich sein.“
Politik zwischen den Bildern
Dass Kinderbücher zum Transport von Erziehung oder Ideologie benutzt werden, ist nicht neu – und kann ein Grund sein, weshalb manche Bücher nicht wieder aufgelegt werden. In Mira Lobes „Komm, sagte der Esel“ etwa überzeugt ein freier Esel einen andern, der sich von einem Kaufmann turmhoch bepacken lässt, die Last abzuwerfen und mit ihm davonzurennen. Lobe war Anfang der 1950er Jahre eine der Autorinnen, die sich in der Debatte gegen amerikanischen „Schmutz und Schund“ für qualitätsvolle Kinderliteratur bemühten, im Auftrag der KPÖ-nahen „Unsere Zeitung“, und viele ihrer späteren Bilderbücher sind davon geprägt.
Kinderbuchhaus
Das Kinderbuchhaus im Schneiderhäusl, eine Institution im niederösterreichischen Mostviertel
„Komm, sagte der Esel“ ist längst vergriffen, nur in der Sammelausgabe „Das große Mira Lobe Vorlesebuch“ ist es noch zu finden. Andere Mira-Lobe-Bilderbücher wie „Komm, sagte die Katze“ und „Dann rufen alle Hoppelpopp!“ haben Neuillustrationen auf Basis der alten Bilder bekommen, der Grund dafür ist technisch: „Viele Bilderbücher wurden noch in den Siebziger Jahren nicht durchgehend farbig gedruckt, aus Kostengründen“, erläutert Inge Cevela. Dabei haben gerade die schwarz-weißen Radierungen der Illustratorin Angelika Kaufmann besonderen Reiz.
Manuela Larisegger
Die Buchhandlung Fabelwelt in der Wiener Schleifmühlgasse
Sprache verändert sich
Manchmal ist es auch der Text, der aufgrund eines heute sensibleren Sprachgebrauchs nicht mehr unkommentiert übernommen werden kann, wie das etwa bei „Pippi Langstrumpf“ war, wo Pippis Vater zum „Südseekönig“ wurde, um das N-Wort zu vermeiden. Bei Mira Lobes Geschichte um „Lollo“, die schwarze Puppe, wurde aus demselben Grund der Neuauflage ein Text vorangestellt, der Kindern und vorlesenden Erwachsenen erläutert, warum Mira Lobe so formuliert hat – und der verdeutlicht, aus welchem Grund bestimmte Worte zu einer Kränkung geworden sind.
Jungbrunnen Verlag
Mira Lobe und Susi Weigels „Lollo“
Ein Ort, wo Kinderbücher für verschiedene Generationen zugänglich gemacht werden, ist das Kinderbuchhaus im Schneiderhäusl, eine Institution im niederösterreichischen Mostviertel: Familien mit Kindern können jeden Samstag vorbeikommen zum Schmökern, Spielen und Basteln, Schulklassen lernen hier eine Vielfalt von Kinderbüchern kennen, die anderswo kaum zu finden ist, und Illustratorinnen und Autorinnen treffen in berufsbegleitenden Fortbildungen und Workshops aufeinander.
„Der Mensch braucht Geschichten“
Geführt wird das Kinderbuchhaus von der Illustratorin Renate Habinger: „Unsere Besucherinnen und Besucher kommen von weit her, bis aus Spanien, Georgien, und aus dem gesamten deutschsprachigen Raum“, sagt Habinger. Auch in der umfangreichen Kinderbuchhaus-Bibliothek finden sich viele inzwischen vergriffene Bücher, die für Habinger nach wie vor unentbehrlich sind.
„Der Mensch ist ein Wesen, das Geschichten braucht, auch für seine Entwicklung“, sagt sie. Es braucht sorgfältige Vermittlerinnen, um diese Schätze nicht verloren gehen zu lassen: aufmerksame Verleger, engagierte Buchhändlerinnen und Eltern, die für ihre Kinder vielleicht auch die eigenen Lieblingsbilderbücher wieder hervorkramen.