„Super-GAU für die Glaubwürdigkeit“
Ein Bericht des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ über mögliche illegale Absprachen setzt die deutschen Autohersteller immer stärker unter Druck. Laut „Spiegel“ haben sich die fünf führenden Marken - VW, Audi, Porsche, BMW und Mercedes-Benz - seit den 90er Jahren in geheimen Zirkeln über die Technik ihrer Fahrzeuge, über Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abgesprochen.
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Treffen die Vorwürfe zu, könnte es sich um eines der größten Kartelle der deutschen Wirtschaftsgeschichte handeln. Der „Spiegel“ beruft sich auf einen Schriftsatz, den VW bei den Wettbewerbsbehörden eingereicht haben soll. Auch Daimler hat dem Magazin zufolge eine Art Selbstanzeige eingereicht.
Europäische Kommission prüft Vorwürfe
Die EU-Kommission teilte mit, sie und das Bundeskartellamt hätten Informationen zu dem Fall erhalten und würden diesen nachgehen. Es sei aber noch zu früh, um weitere Angaben zu machen. Laut „Spiegel“ hat die Kommission bei den beteiligten Unternehmen bereits Unterlagen beschlagnahmt und erste Zeugen befragt.
Der VW-Betriebsrat will möglichst rasch die Mitglieder des Aufsichtsrats zusammenrufen. „Der Vorstand ist in der Pflicht, das Aufsichtsgremium umfassend zu informieren. Das ist bisher nicht geschehen.“ Auch gegenüber den Mitarbeitern sollten die Manager sich erklären, sagte ein Sprecher des Gremiums am Sonntag.
Rufe nach rascher Aufklärung
Die Grünen forderten eine Sondersitzung des Verkehrsausschusses im deutschen Bundestag. Das Gremium müsse noch vor dem „Nationalen Forum Diesel“ in Berlin am 2. August informiert werden, sagte Verkehrsexperte Oliver Krischer am Sonntag. Man wolle so Klarheit über die möglichen „Machenschaften des Autokartells“ bekommen, die - sollten sie sich bestätigen - „ungeheuerlich“ seien: „Das Ganze entwickelt sich zur Fortsetzung des Abgasskandals in neuer Dimension.“
Der deutsche Autofahrerclub ADAC forderte schnellstmögliche Aufklärung, ob Autofahrern durch Kartellabsprachen Nachteile entstanden sind. „Jetzt muss schnell aufgeklärt werden, ob und wie sehr die Verbraucher durch dieses Vorgehen in den letzten Jahren geschädigt worden sind“, sagte ADAC-Chef August Markl der „Bild am Sonntag“. „Danach müssen Behörden und Gerichte entscheiden, wie ein festgestellter Schaden erstattet werden kann.“
Auch Politik in der Kritik
Experten wie Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach sprachen von einem „Super-GAU für die Glaubwürdigkeit“ der Branche. Die Anschuldigungen kämen angesichts der Diskussion über Dieselfahrverbote in Städten, Nachrüstungen von Dieselfahrzeugen und rückläufigen Diesel-Neuzulassungen zur Unzeit.
Die deutsche Bundesregierung verlangte von den Firmen, für mehr Transparenz zu sorgen. Die Politik steht aber selbst in der Kritik, zu nachsichtig mit der Autobranche umzugehen. Bratzel warf ihr eine „Kultur des Wegschauens“ vor. Die Bevölkerung habe den Eindruck, Gesundheitsinteressen würden geringer bewertet als die Interessen der Industrie.
Ähnlich äußerte sich der deutsche Autobranchenexperte Ferdinand Dudenhöffer: Warnungen und Abmahnungen aus Brüssel über Stickoxide seien nicht ernst genommen worden. Es sei in Deutschland alles getan worden, um die Autobranche und die Schlüsseltechnik Diesel zu schützen. „Und erreicht hat man genau das Gegenteil“, sagte Dudenhöffer dem MDR.
Verkehrsminister: „Zusätzliche Belastung“
Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt sagte, Absprachen wären eine zusätzliche Belastung für die Branche. „Die Kartellbehörden müssen ermitteln, die Vorwürfe detailliert untersuchen und gegebenenfalls notwendige Konsequenzen ziehen“, so Dobrindt.
Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries forderte Aufklärung - „ohne Ansehen von Personen oder Unternehmen“. Es gehe um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit der deutschen Automobilindustrie. „Alle sind gut beraten, jetzt umfassend mit den staatlichen Stellen zu kooperieren und für Transparenz zu sorgen. Die Zeit der Salamitaktik muss endgültig vorbei sein. Ohne umfassende Aufklärung kann Vertrauen nicht wiederhergestellt werden.“
Autofirmen äußern sich nicht
Die Unternehmen mauerten allerdings. „Zu Spekulationen und Sachverhaltsvermutungen auf Grundlage der ‚Spiegel‘-Berichterstattung äußern wir uns nicht“, sagte etwa Volkswagen-Chef Matthias Müller in einem Interview der „Rheinischen Post“. BMW teilte dem „Spiegel“ mit, sich nicht an Spekulationen beteiligen zu wollen. Den Vorwurf von Absprachen bei der Dieselabgasreinigung wies BMW am Sonntag zurück: „Wir suchen auch in der Abgasreinigung den Wettbewerb.“
Diesel-Gipfel Anfang August
Am 2. August treffen sich Politik und Industrie zum Gipfel, um über konkrete Schritte gegen zu hohe Dieselabgaswerte zu beraten. VW-Chef Müller sagte, es sei bei angemessenen Vorlaufzeiten durchaus vorstellbar, dass es einen verbindlichen Termin für den Ausstieg aus dem Dieselantrieb geben könne, sollte die Branche im Gegenzug Unterstützung bei der Elektromobilität bekommen.
„Wir sind darüber im Gespräch mit der Politik“, so Müller. Es brauche ansonsten eine verbesserte Infrastruktur. „Jeder weiß, dass die Zukunft elektrisch fährt.“ Beim Diesel-Gipfel müsse es eine Lösung auf Bundesebene geben, die für alle Kunden verbindlich sei.
Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska schrieb in einem Brief an die Verkehrsminister der EU-Staaten, ein Zusammenbruch des Diesel-Marktes infolge von Fahrverboten der Kommunen müsse verhindert werden. Das würde nur die Möglichkeiten der Unternehmen schmälern, in saubere Technologien zu investieren. Sollte es dennoch zu Fahrverboten kommen, müssten überall gleiche Regeln gelten.
Nachdenken über Alternativen
Mittlerweile findet aber ein Umdenken statt. VW-Chef Müller sagte, der Konzern habe einen Plan aufgesetzt, um bis 2025 mehr als 30 neue, reine E-Autos anbieten zu können. „Warum soll ich krampfhaft an einem Diesel festhalten?“, fragte Porsche-Finanzchef Lutz Meschke in einem Gespräch mit der „Automobilwoche“. „Die Elektromobilität ist nicht aufzuhalten.“
Auch bei Seat - wie Porsche eine Marke aus dem VW-Konzern - wird ähnlich gedacht: „Wenn der Bürgermeister von Barcelona beschließt, das Stadtzentrum für Euro-6-Diesel zu schließen, werden die Leute kaum noch Dieselfahrzeuge kaufen“, sagte Seat-Chef Luca de Meo.
Laut Dobrindt wird es den Diesel als Übergangstechnologie aber noch viele Jahre geben. „Wir brauchen ihn auch, um die Klimaschutzziele bei der CO2-Einsparung zu erreichen“, sagte er dem „Focus“.
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