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Mehr als eine Million Motoren manipuliert?

Die Daimler AG gerät immer stärker unter Verdacht, auch ihre Dieselabgaswerte manipuliert zu haben. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft bestätigte am Donnerstag, dass die deutschen Behörden zwei konkrete Beschuldigte im Visier haben - zudem weitere bisher unbekannte. Der deutsche Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) soll Medienberichten zufolge zudem nun Dieselfahrzeuge von Daimler untersuchen lassen.

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Die Staatsanwaltschaft reagierte damit auf Berichte von „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR. Diese hatten am Mittwoch gemeldet, dass Daimler tiefer in die Abgasaffäre bei Dieselfahrzeugen verstrickt sein soll als bisher bekannt. Die deutschen Medien beriefen sich dabei auf einen Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Stuttgart. Dieser Beschluss soll auch die Grundlage für die Razzia im Mai bei verschiedenen Standorten von Daimler gewesen sein.

Laut den Medienberichten soll der in Stuttgart ansässige Konzern von 2008 bis 2016 in Europa und den USA Fahrzeuge mit einem unzulässig hohen Schadstoffausstoß verkauft haben. Bei mehr als einer Million Fahrzeugen könnten den Berichten zufolge Motoren eingebaut sein, bei denen Abgasmessungen manipuliert wurden.

Sondersitzung im Verkehrsministerium

Daimler selbst wollte die Vorwürfe mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen am Donnerstag nicht kommentieren. Das Unternehmen kooperiere jedoch „vollumfänglich mit den Behörden“. Auch die Staatsanwaltschaft äußerte sich nicht zu diesen Details.

Nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen bestellte Verkehrsminister Dobrindt Verantwortliche des Autoherstellers ein. Die Vertreter wurden laut Dobrindt in die Untersuchungskommission zur Aufarbeitung des Abgasskandals geladen. Medienberichten zufolge soll Dobrindt nun Dieselfahrzeuge von Daimler auf Abgasmanipulationen untersuchen.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) werde Daimler-Modelle überprüfen, die mit einer illegalen Software programmiert sein sollen, berichteten „Süddeutsche Zeitung“, WDR und NDR am Donnerstag vorab unter Berufung auf Ministeriumskreise. Die Behörde war zunächst nicht für eine Bestätigung zu erreichen.

Daimler: Haben uns an geltendes Recht gehalten

Der Fall beschäftigt Daimler schon seit einiger Zeit - anfangs nur in den USA, seit Ende März dieses Jahres ermittelt aber die deutsche Justiz wegen des Verdachts des Betrugs und der strafbaren Werbung gegen Mitarbeiter von Daimler. Dabei handelt es sich laut der Staatsanwaltschaft aber nicht um Vorstandsmitglieder.

Daimler hat immer betont, sich an geltendes Recht gehalten zu haben. Der Streitpunkt ist - wie bei den anderen Herstellern - ein Thermofenster, das die Abgasnachbereitung in bestimmten Temperaturbereichen herunterregelt, um Bauteile im Motor zu schützen, wie die Hersteller argumentieren. Organisationen wie die Deutsche Umwelthilfe hingegen kritisieren, dass die entsprechende EU-Verordnung zu weit ausgelegt werde.

Alarmstimmung in deutscher Regierung?

Einem Zeitungsbericht zufolge sorgt der Verdacht gegen Daimler für Alarmstimmung innerhalb der deutschen Regierung. „Wenn sich herausstellen sollte, dass ein weiterer deutscher Weltkonzern seine Kunden und Behörden betrogen hat, dann wäre das ein deutlicher Schaden für den gesamten Industriestandort Deutschland“, sagte der Verbraucherschutz-Staatssekretär im Justizministerium, Ulrich Kelber, dem „Handelsblatt“ (Freitag-Ausgabe).

Es sollte daher im Interesse der Branche liegen, ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. „Wenn die Technologien, die verbaut werden, nicht dem Stand der Technik entsprechen und dann die Luftreinhaltung torpediert wird, dann muss der Druck deutlich erhöht werden“, sagte Kelber. Er kündigte Maßnahmen an, die auch international Wirkung zeigen würden. Neben Sanktionsmöglichkeiten solle es in Zukunft unabhängige Tests geben.

Abgastests nach VW-Skandal

Unter den Autoherstellern ist seit langer Zeit vor allem Volkswagen im Fokus des Abgasskandals. Der Konzern hatte im September 2015 eingeräumt, bei weltweit elf Millionen Dieselautos Abgastests manipuliert zu haben. Das hatte den Konzern in eine schwere Krise gestürzt und Milliarden gekostet. Nach Bekanntwerden des VW-Skandals vor knapp zwei Jahren hatte Dobrindt Tests an weiteren Dieselfahrzeugen verschiedener Hersteller angeordnet.

Porsche, Volkswagen, Audi, Opel und die Daimler-Tochter Mercedes sagten nach der Veröffentlichung der Ergebnisse im April zu, bei insgesamt 630.000 Fahrzeugen die Abgasreinigung nachzubessern. Sie betonten dabei stets, es handle sich um eine „freiwillige Serviceaktion“. Das Image von Diesel hat seitdem generell schwer gelitten - gerade auch in der Daimler-Heimat Stuttgart, wo wegen der schlechten Luft Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge im Raum stehen.

Sammelklage gegen Daimler in den USA

Daimler wurden bisher keine Abgasmanipulationen nachgewiesen, auch wenn Umweltorganisationen sowie US-Anwälte diesen Vorwurf erheben. Autobesitzer haben in den USA eine Sammelklage angestrengt und dem Hersteller manipulierte Werte des Schadstoffs Stickoxid sowie irreführende Werbung vorgeworfen.

Das zuständige Gericht in Newark im US-Bundesstaat New Jersey wies die Klage zunächst ab. Darüber hinaus leitete die Umweltbehörde EPA im Zuge der Klage eine Untersuchung ein. Das Justizministerium in Washington hatte den Hersteller aufgefordert, das Zustandekommen der offiziellen Werte in den USA selbst und unter Einbeziehung der Aufseher zu prüfen. Diese Untersuchung läuft allerdings noch.

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