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Willenlos gegenüber Fett

Die Ausrede vieler Molliger, dass das Essen bei ihnen „gar so gut anschlägt“, ist keine Ausrede. Das belegt nun ein Team von Wissenschaftlern mit einer Studie im Fachjournal „Nature“. Wer Fettigem nicht widerstehen kann, darf sich im Gegenteil als evolutionäre Oberklasse sehen - zum Unterschied von allen anderen auf Überleben unter widrigsten Umständen programmiert.

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Die Forscher konnten auf dem Wissen aufbauen, dass Melanocortin-4-Rezeptoren (MC4R) bei Nagetieren das Nahrungsverhalten wesentlich beeinflussen. MC4R haben auch Menschen. Da wie dort sind die Rezeptoren im Hypothalamus angesiedelt, gewissermaßen der „Firmware“ aller Säugetiere für lebensnotwendige Grundfunktionen. Dass MC4R auch bei Menschen wichtig sein müssen, war damit naheliegend. Nun ist klar: Sie teilen sie in zwei gänzlich unterschiedliche Gruppen.

Chicken Korma tritt gegen „Eton Mess“ an

Die Forscher um Studienleiter Sadaf Farooqi von der Universität Cambridge stellten für ihre Untersuchung eine Gruppe aus Schlanken, Fettleibigen und solchen - meist molligen - Menschen zusammen, die genetisch bedingt über keine MC4R verfügten. Komplett wurde die Versuchsanordnung durch ein „All you can eat“-Buffet mit zwei Gerichten: indischem Huhn in Buttersauce und „Eton Mess“, einem absurd süßen, urbritischen Dessert aus Rahm, Baiser und Erdbeeren.

Das Hendl stand für Fett, das Dessert für Zucker. Die Gerichte wurden auf jeweils drei verschiedene Arten zubereitet - das Huhn mit hohem, mittlerem und geringem Fettanteil, die „Eton Mess“ mit hohem, mittlerem und geringem Zuckeranteil. Im Hinblick auf Aussehen und Geschmack waren die Varianten nicht voneinander zu unterscheiden. Trotzdem gab es bei den jeweiligen Versuchsgruppen auffällige Vorlieben.

„Nützlicher Schutz vor dem Verhungern“

Das Huhn schmeckte allen drei Versuchsgruppen laut eigenen Aussagen gleich gut. Bei der „Eton Mess“ war das anders: Sowohl die Gruppe der Schlanken als auch die Gruppe der Fettleibigen mochte die zuckrigste Variante am liebsten, während die MC4R-Testgruppe am liebsten nach der Variante mit dem geringsten Zuckeranteil griff. Außerdem griff die MC4R-Gruppe - obwohl auch sie keinen geschmacklichen Unterschied feststellen konnte - fast ausschließlich zum fettigsten Chicken Korma.

„Wenn Nahrungsmangel herrscht, brauchen wir Energie, die gespeichert und bei Bedarf abgerufen werden kann“, sagte Farooqi gegenüber der britischen Onlinezeitung Independent. Fett liefere doppelt so viele Kalorien wie Kohlehydrate und lasse sich bequem speichern. Die Annahme daher: „Dementsprechend wäre eine Leitung, die Dir sagt, Du sollst mehr Fett statt Zucker essen, ein sehr nützlicher Schutz vor dem Verhungern.“

Keine Ausrede bei Schmalzbrot und Zuckerwatte

Als die gesuchte „Leitung“ sind die MC4R durch die Studie nun identifiziert, sind Farooqi und seine Kollegen überzeugt. Für die Behandlung von Übergewicht könnte die Untersuchung nachhaltige neue Impulse bringen: Bisher galt der Kampf meist Zucker und Fett in einem, ohne einen Unterschied zu machen. Rund jeder hundertste Fettleibige hat einen genetisch bedingten MC4R-Mangel, der ihn damit quasi willenlos Fett konsumieren lässt.

Auch bei allen anderen Diätkandidaten könnte sich ab nun die Unterscheidung zwischen Fett- und Zuckerverzicht lohnen. Selbst bei der Nase nehmen müssen sich aber jene, die - abseits von Ausnahmezuständen wie Übermüdung - keinen Unterschied zwischen Zuckerwatte und Schmalzbrot machen: Ihre MC4R-Rezeptoren sind wie die aller anderen darauf ausgerichtet, Energie nur deshalb aufzunehmen, um sie möglichst gewinnbringend und bald wieder abzuarbeiten.

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