Eklat vorerst abgewendet
Die Topwirtschaftsmächte haben sich bei ihrem G-20-Gipfel in Hamburg auf einen Kompromiss im Handelsstreit geeinigt. Laut EU-Vertretern bekennen sich die führenden Industrie- und Schwellenländer zum freien Handel und gegen Protektionismus - allerdings wird „die Rolle legitimer Verteidigungsinstrumente im Handel“ anerkannt.
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Mit dem Kompromiss konnte ein Eklat verhindert werden. US-Präsident Donald Trump hatte im Zuge seiner „Amerika zuerst“-Politik mehrfach mit protektionistischen Maßnahmen gedroht. Wegen der Abschottungspolitik war ein klares Bekenntnis der US-Amerikaner gegen Protektionismus lange fraglich. Am Samstag hieß es laut einem EU-Vertreter, es werde nun jedenfalls eine gemeinsame Erklärung geben. „Wir haben eine Erklärung - nicht 19 zu eins, sondern mit allen 20“, sagte er.
Formulierung für USA aufgenommen
Nach dem Dokument, auf das sich Unterhändler in der Nacht einigten, spricht sich die G-20 für einen „wechselseitigen und gegenseitig vorteilhaften Rahmen für Handel und Investitionen aus“ und den Grundsatz der Nichtdiskriminierung.
Damit Trump die Formulierung zum Kampf gegen Protektionismus akzeptiert, dürfte eine andere Formulierung in die Abschlusserklärung aufgenommen werden: Darin billigt die G-20 „legitime“ Maßnahmen zur Verteidigung des Handels, wie der EU-Vertreter weiter sagte. Zudem soll verstärkt gegen Überkapazitäten beim Stahl vorgegangen werden. „Es ist wichtig, dass die Gegenseitigkeit beim Marktzugang unterstrichen wird“, sagte der Offizielle.
Verabschiedet wurde zudem einen Aktionsplan zum Wirtschaftswachstum. Laut dem Papier, das der dpa vorlag, sollen die USA bei der Regulierung der Finanzmärkte mit im Boot bleiben. Als langfristige Herausforderungen werden ein schwaches Produktivitätswachstum, Einkommensungleichheit und die Alterung der Gesellschaft genannt. Die G-20-Staaten räumen ein, dass sie ihr 2014 vereinbartes Ziel, bis 2018 die Wirtschaftsleistung um zusätzlich zwei Prozent zu erhöhen, wohl nicht erreichen werden.
Trump lobt Merkel - und viele andere
Gleich zu Beginn des am Freitag angelaufenen Gipfeltreffens rief die deutsche Kanzlerin Merkel (CDU) ihre Gäste zu Kompromissbereitschaft auf. Lösungen könnten nur gefunden werden, „wenn wir aufeinander zugehen“, sagte sie. Unterschiedliche Haltungen könnten aber zugleich benannt werden, niemand müsse sich verbiegen. Zum Ende des ersten Gipfeltages sagte die Kanzlerin, dass die Abschlusserklärung noch harte Arbeit werde.

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Bei den gewalttätigen Protesten in der Nacht auf Samstag wurden auch Geschäfte geplündert
Trump fand jedenfalls viele lobende Worte. „Es ist unglaublich, wie die Dinge hier angegangen wurden“, sagte er. „Nichts davon war einfach.“ Merkel habe einen hervorragenden Job gemacht, obwohl sie von „einer ganzen Menge Leute“ gestört worden sei, sagte Trump mit Blick auf die gewalttätigen Proteste. Trump und Merkel traten gemeinsam bei einer Veranstaltung der Weltbank auf. Sie stellten einen inzwischen mit 285 Mio. Euro gefüllten Fonds zur Förderung von Frauen in Entwicklungsländern vor.
Auch für den kanadischen Premier Justin Trudeau war Trump voll des Lobes: „Wir haben einen großartigen Nachbarn in Kanada, und Justin macht einen spektakulären Job. Alle lieben ihn, und alle lieben ihn nicht ohne Grund.“ Auch dankte der US-Präsident seinem „Freund“, Weltbank-Präsident Jim Yong Kim: „Großartiger Typ. Wirklich großartiger Typ.“ Schließlich schlug Trump auch noch den Bogen zu Polen, das er vor dem G-20-Gipfel besucht hatte: „Polen war so wunderbar zu mir und so tolle Leute.“
USA wollen schnellen Deal mit Briten
Indes kündigte Trump am Samstag an, möglichst schnell mit dem vor dem EU-Austritt stehenden Großbritannien über ein bilaterales Handelsabkommen zu verhandeln. Die beiden Länder wollten „sehr schnell einen sehr kraftvollen Deal“ aushandeln, sagte Trump am Samstag in Hamburg. Der US-Präsident hatte sich in der Früh am Rande des G-20-Gipfels mit Großbritanniens Premierministerin Theresa May getroffen.
Großbritannien steht nach dem „Brexit“-Votum vor dem Verlassen der EU und damit des EU-Binnenmarktes. Ein Handelsabkommen mit den USA ist für May von entscheidender Bedeutung, um ihr Land wirtschaftlich abzusichern. Das einst geplante Handelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA liegt dagegen auf Eis.
Putin auch abseits beschäftigt
Der russische Präsident Wladimir Putin kam indes am Rande des Gipfels mit seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zusammen. Das meldete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu. Erwartet wurde, dass Putin und Erdogan über den Bürgerkrieg in Syrien sprechen. Ebenfalls am Rande traf sich Putin mit Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron.

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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und sein Amtskollege Wladimir Putin
Dabei ging es um den Bürgerkrieg in der Ukraine und die Umsetzung des Waffenstillstandes. „Es herrschte Einigkeit darüber, dass der in den Minsker Vereinbarungen angestrebte Waffenstillstand umfassend umzusetzen sei“, sagte der Sprecher weiter. Das Gespräch fand im Normandie-Format statt - allerdings ohne den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko, dessen Land nicht Teil der G-20 ist. „Wir hatten ein gutes Gespräch, aber das ist ein laufender Prozess“, sagte Macron nach dem Treffen.
Warnung von Papst Franziskus
Papst Franziskus hat vor „sehr gefährlichen Allianzen“ zwischen den Großmächten der G-20-Staaten gewarnt, die sich gegen die Flüchtlinge weltweit richten könnten. „Ich fürchte die Bildung sehr gefährlicher Allianzen zwischen Mächten, die ein verzerrtes Weltbild haben: die USA und Russland, China und Nordkorea, Putin und Assad im Syrien-Krieg“, sagte der Papst in einem am Samstag veröffentlichten Interview mit der italienischen Zeitung „La Repubblica“.
Das Hauptproblem in der heutigen Welt sehe er im Schicksal „der Armen, Schwachen, Ausgegrenzten, zu denen die Migranten gehören“, sagte Franziskus. „Deshalb beunruhigt mich G-20: Das trifft vor allem die Migranten.“ Mit Blick auf Europa, „den reichsten Kontinent der Welt“, mahnte der Papst, kein europäischer Staats- oder Regierungschef dürfe sich der Illusion hingeben, dass eine Schließung der Grenzen das Problem beseitige.
Ein europäischer Vorschlag für UNO-Sanktionen gegen Menschenschmuggler scheiterte indes am Widerstand Russlands und Chinas. Gründe für die Ablehnung blieben zunächst unklar. EU-Ratspräsident Donald Tusk hatte zum Auftakt des G-20-Gipfels gesagt, das Einfrieren von im Ausland gehorteten Vermögen und Einreiseverbote seien „das Allermindeste“, was im Kampf gegen Schlepperbanden auf globaler Ebene getan werden müsse.
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