Italien bestellt Botschafter ein
Vor dem Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag verschärft Österreich den Druck in der Flüchtlingsfrage: Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) rechnet mit einem zeitnahen Beginn von Grenzkontrollen auf dem Brenner, und Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat ebenfalls in Richtung EU klargestellt, dass man im Bedarfsfall den Brenner „schützen“ werde.
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Bei der EU-Kommission zeigte man sich überrascht über diese Aussagen - nach Schengen-Regeln müssten derartige Pläne nach Brüssel gemeldet werden, sagte der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, am Dienstag. „Wenn Österreich etwas tun will, muss es die Kommission verständigen. Dann werden wir reagieren. Wir können nicht auf Kommentare in der Presse reagieren, ohne dass es zu einer Notifizierung gekommen ist“, so Timmermans.
„Keinerlei Notstand“ an der Grenze
Vor allem in Italien sorgten die Brenner-Pläne für Aufregung. Italiens Außenminister Angelino Alfano nannte Österreichs Vorgehen „ungerechtfertigt“. Es gebe keine Probleme auf dem Brenner, so der italienische Außenminister. Österreich verhalte sich wie schon im Vorjahr. „Damals war von einer Brenner-Mauer die Rede. Danach haben wir festgestellt, dass kein einziger Migrant die Brenner-Grenze überschritten hat“, sagte Alfano nach Angaben italienischer Medien.
Der italienische Innenminister Marco Minniti sagte, er sei über die Aussagen Doskozils „zutiefst überrascht“. Die Initiative sei „ungerechtfertigt und präzedenzlos“. Sie werde unvermeidbare negative Auswirkungen bei der Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zwischen zwei befreundeten Ländern haben, für die grenzüberschreitende Kooperation besonders wichtig sei. Auf dem Brenner gebe es keinerlei Notstand, betonte der Innenminister. Die Zusammenarbeit zwischen der italienischen und der österreichischen Polizei funktioniere bestens, so Minniti. Er bestellte am Nachmittag den österreichischen Botschafter in Rom ein.
Italiens Regierungspartei fordert EU-Verfahren
Auch die in Rom regierende Demokratische Partei (PD) von Ex-Premier Matteo Renzi reagierte mit Kritik auf die vom Verteidigungsministerium eingeleiteten Vorbereitungen für Grenzkontrollen und forderte die Einleitung eines EU-Verfahrens gegen Österreich. „Die EU-Kommission soll sich sofort melden“, verlangte auf Facebook die für EU-Fragen verantwortliche PD-Abgeordnete Marina Berlinghieri.
„Österreich hat noch keinen einzigen Flüchtling im Rahmen des Relocation-Programms aufgenommen, genau wie Polen, Ungarn und die Tschechische Republik, gegen die bereits ein EU-Verfahren läuft. Das Land verletzt jegliche europäische Solidaritätsregel und schließt seine Grenzen“, so Berlinghieri.
Südtirol: Österreichs Ankündigung „nichts Neues“
Der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher sagte zur Ankündigung Doskozils: „Diese Meldung ist nichts Neues.“ Österreich habe bereits mehrmals mitgeteilt, „dass man alle Vorbereitungen trifft, um ein rigides Grenzmanagement zur Anwendung bringen zu können“, so Kompatscher in einer Presseaussendung. Dass das Thema nun wieder aktuell ist, habe sicher mit dem gestiegenen Flüchtlingszustrom aus dem Mittelmeer und der vehementen Aufforderung Italiens zu europäischer Solidarität zu tun.
Die Lage auf dem Brenner ist laut dem Landeshauptmann nach wie vor ruhig und stabil. Zudem habe die EU Kontrollen auf dem Brenner, die über das Schengen-Regime hinausgehen, bisher nicht zugestimmt. Die sich ständig wiederholenden Ankündigungen solcher Maßnahmen hätten wohl auch damit zu tun, dass in Österreich im Herbst gewählt wird, so Kompatscher.
Für Kurz kein Wahlkampfmanöver
Diesen Vorwurf wies Kurz am Dienstag bei einem Termin in Innsbruck zurück. Er lobte ausdrücklich die gute Zusammenarbeit von Innen- und Verteidigungsminister in der Angelegenheit. „Ich halte es für höchst verantwortungsvoll, wenn man sich vorbereitet“, meinte der ÖVP-Obmann.
Das Thema sei zu ernst, um es als Wahlkampfthema zu sehen, stieß auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) ins selbe Horn wie der Außenminister. In Tirol sei man sehr verunsichert, was die Anlandungen in Italien betreffe. Obwohl die Situation derzeit noch „überschaubar“ sei, dürfe es auf keinen Fall ein Durchwinken geben. „Wenn die EU-Außengrenzen nicht gesichert werden, wird das Fass überlaufen“, meinte Platter.
Platter (ÖVP): „Vorsorge für alle Eventualitäten“
Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter rechtfertigt im ZIB2-Interview die Maßnahmen. Ein Wahlkampfthema seien sie aber nicht.
Keine vermehrten Aufgriffe in Kärnten und Tirol
Anders sieht das der Tiroler Landespolizeidirektor Helmut Tomac. Für ihn sind Grenzkontrollen auf dem Brenner derzeit „kein Thema“. Die Vorbereitungen des Verteidigungsministeriums seien „aufgrund der Entwicklung auf der Brenner-Route in keiner Weise nachvollziehbar“, sagte Tomac - mehr dazu in tirol.ORF.at.
Die Zahlen der Flüchtlinge an den Übergängen bezeichnete auch Gerald Tatzgern, Leiter der Zentralstelle zur Bekämpfung der Schlepperei und des Menschenhandels, im Ö1-Morgenjournal als stabil. Vermehrte Aufgriffe in Kärnten und Tirol gebe es nicht. Auch nannte Tatzgern Österreich nicht als eines der Zielländer der großteils aus Afrika stammenden Flüchtlinge.
Hauptzielländer seien Deutschland, Schweden und Norwegen. Jene, die aus französischsprachigen Staaten kommen, peilten Frankreich, aber auch Teile der Schweiz an. In Österreich waren in den ersten fünf Monaten 10.520 Asylansuchen gestellt worden. Das ist nicht einmal die Hälfte des Vorjahrswerts, als bis Ende Mai 22.419 Anträge eingereicht wurden.
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