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Technik noch in Kinderschuhen

Kürzlich hat Netflix seine erste interaktive Serienfolge ins Netz gestellt. „Der gestiefelte Kater und das magische Buch“ zeigt allerdings vor allem, dass die Technik noch in den Kinderschuhen steckt und der Weg zu einer wirklich kreativen Zuschauerbeteiligung weit ist.

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Einmal in die Rolle der Lieblingsserienfigur schlüpfen und an ihrer Stelle entscheiden. Klingt verführerisch. Bei Netflix ist dieses Szenario ab sofort Wirklichkeit, wenn es sich auch noch nicht um eines der Serienflaggschiffe wie „Orange is the New Black“ oder „House of Cards“ handelt, sondern um eine Folge der Animationsserie „Der gestiefelte Kater“, die die Streamingplattform am Dienstag online stellte.

Screenshot netflix.com

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Linke oder rechte Seite? Jetzt muss der Kater sich entscheiden - und das Kind hilft

„Der gestiefelte Kater“ als Versuchsballon

In der interaktiven Pilotfolge „Der gestiefelte Kater und das magische Buch“ (Originaltitel: „Puss in Book: Trapped in an Epic Tale“), die Dreamworks, American Greetings Entertainment und Stoopid Buddy Stoodios​ im Auftrag von Netflix produziert haben, sollen die jungen Zuschauer mitbestimmen, wie sich die Handlung entwickelt.

Das zugehörige Story-Gerüst ist allerdings eher grob gezimmert: Die Titelfigur findet sich durch einen Zauber in einem Buch gefangen, in dem ihre eigene Geschichte aufgeschrieben steht. Aus dem Off meldet sich ein gottgleicher Geschichtenerzähler, der dem Kater Anweisungen gibt. Das Kind kann nun dem Kater zu Hilfe kommen und aus zwei Angeboten auswählen, indem es die linke oder rechte Seite des aufgeschlagenen Buches markiert.

Überkomplexes Szenario

Für kleinere Kinder scheint das Erzählszenario allerdings überkomplex und zumindest in der deutschen Version sprachlich überfordernd: „Ich werde von übernatürlichen, mir unbekannten Kräften dazu gezwungen, dir Alternativen anzubieten“, erklärt etwa der Geschichtenerzähler seine Mission. Aber welcher Sechsjährige weiß schon, was „Alternativen“ sind?

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Die Dreamworks-Serie „Der gestiefelte Kater“ startete 2015. Season 4 ist mittlerweile abgeschlossen.

Michael Ende vermittelte seinen Lesern vor rund 40 Jahren jedenfalls besser, wie sein Held, Bastian alias Atreju, zwischen die Seiten und in die Handlung der „Unendlichen Geschichte“ hineingeriet - denn dieses Setting dürfte Pate bei der Netflix-Situation gestanden haben.

Hauptfigur kämpft um eigene Souveränität

Mitunter legt der Geschichtenerzähler sogar eine sadistische Ader an den Tag, wenn er sich freut, dass der Kater seinen „Launen wehrlos ausgeliefert ist“. Immerhin kämpft das Kind nicht aufseiten des unsichtbaren Versuchsleiters, sondern soll dem Tier dabei helfen, aus dem Buch herauszufinden, um seine Unabhängigkeit wieder zu gewinnen.

„Mit Interaktivität alles ausprobieren“

„Wenn es einmal mit der Interaktivität klappt, kann man praktisch alles ausprobieren“, wird Netflix-Mitgründer und Geschäftsführer Reed Hastings in der „Daily Mail“ zitiert, die noch vor Netflix selbst die interaktiven Folgen mit konkretem Termin ankündigte. Es handle sich um ein Experiment, heißt es weiter, man müsse sehen, ob es erfolgreich sei.

Netflix CEO Reed Hastings

APA/AFP/Lluis Gene

Netflix-CEO Reed Hastings setzt auf Interaktivität

Sollte sich die Serienproduktion allerdings tatsächlich weiter in Richtung Interaktivität entwickeln, stellen sich viele Fragen: Durch die individuellen Entscheidungen hätten einzelne Serienfolgen zum Beispiel keine fixe Dauer mehr und wären mit herkömmlichen Digitalrekordern nicht zu programmieren. Für Netflix, das seine Inhalte ohnehin nur online anbietet, ein Startvorteil.

Geschwisterstreit programmiert?

Eine weitere Herausforderung: Schaut mehr als eine Person, stellt sich die Frage, wer an Handlungskreuzungen entscheidet. Gerade bei (Geschwister-)Kindern scheint Streit programmiert. Aber auch Erwachsene werden bei ihren Lieblingsserien gern emotional.

Erfahrungswerte gibt es in dieser Hinsicht kaum. Die interaktiven TV-Experimente der Vergangenheit verliefen wieder im Sand. Das vielleicht spektakulärste österreichische Projekt in Sachen interaktives Fernsehen wagte der ORF 1985: Unter der Federführung von Programmintendant Ernst Wolfram Marboe wurde mit „Simsalabim Bam Bum oder Der Barometermacher auf der Zauberinsel“ das erste interaktive Fernsehspiel der Geschichte produziert - mit gewaltigem Aufwand.

Zum nachhaltigen Erfolg wurde das ambitionierte Projekt, das „eine Million“ Möglichkeiten im Ablauf haben sollte, allerdings nicht. 1985 war die Technik noch nicht reif für interaktive Mitbestimmung.

Weitere interaktive Formate geplant

Vielleicht ist das 2017 anders. Netflix setzt jedenfalls mit Nachdruck auf das interaktive Feld. Nächsten Monat entlässt die Streamingplattform einen weiteren interaktiven Piloten. Die Serienfolge „Buddy Thunderstruck: Die einzig wahre Idee“ wird am 14. Juli veröffentlicht. Ein dritter interaktiver Titel, „Stretch Armstrong: The Breakout“, ist in Arbeit und soll nächstes Jahr erscheinen.

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