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Finale um Einzug in Palais Bourbon

Zum vierten Mal innerhalb von wenigen Wochen wird in Frankreich am Sonntag seit den Morgenstunden gewählt. In der zweiten Runde der Wahl zur Nationalversammlung wird Präsident Emmanuel Macron allen Prognosen zufolge jene starke Mehrheit im Parlament erhalten, die ihm vor einem Monat noch kaum jemand zugetraut hätte - die Absolute scheint sicher.

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Unter besonderer Beobachtung steht bei diesem Durchgang die Wahlbeteiligung. Nicht nur, dass die Franzosen nach dem monatelangen Wahlkampf und der Präsidentschaftswahl unbestreitbar von akuter Wahlmüdigkeit geplagt werden und zu dem an einem heißen Sommersonntag gewählt wird.

Deutliche Prognosen senken Wahlbeteiligung

Viele Anhänger Macrons könnten sich auf der sicheren Seite fühlen, heißt es aus dem Team von La Republique en Marche (REM) gegenüber ORF.at - schließlich legte die Partei in den Umfragen der letzten Tage noch einmal zu. REM könnte zusammen mit der verbündeten Zentrumspartei MoDem zwischen 440 und 470 der 577 Abgeordnetenmandate gewinnen.

Grafik zeigt die Prognostizierte Wahlbeteiligung in Frankreich

Grafik: ORF.at; Quelle: Odoxa/France Info

Umgekehrt könnte eine große Zahl potenzieller Wähler der oppositionellen Kandidaten das Handtuch werfen, weil sie sich ohnehin schon als Verlierer sehen. In den Prognosen liegt das konservative Lager nach der zweiten Wahlrunde bei 60 bis 90 Sitzen, die Sozialisten mit verbündeten linken Parteien bei 20 bis 35 Sitzen. Linkspartei und Kommunisten kämen auf fünf bis 25 Sitze, der rechtspopulistische Front National auf bis zu sechs Sitze.

Niedrige Wahlbeteiligung für alle schlecht

Auch wenn die Beteiligung bei den Parlamentswahlen traditionell in Frankreich weit niedriger liegt als bei jenen um das Präsidentschaftsamt, sind 48,7 Prozent trotzdem historisch niedrig - und könnten im zweiten Wahldurchgang noch einmal unterboten werden. Das sei, und da sind sich Vertreter aller Parteien Frankreichs einig, katastrophal. Selbst für Macron, der seine erwartete Machtfülle zu einem Teil der Enthaltung von frustrierten Wählern von Sozialisten, Konservativen und dem rechtsextremen Front National verdanken wird.

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ORF.at/Sophia Felbermair

Politische Bildung für die Kleinsten: An der Wahlmüdigkeit Frankreichs scheint das bisher wenig geändert zu haben

Schon jetzt wird von allen Seiten gewarnt. Selbst Macron selbst habe, berichtet das Magazin „Le Canard Enchaine“, nach dem ersten Durchgang gegenüber seinem Team gesagt, über 400 REM-Abgeordnete seien „fast zu viele“. Er soll das jedoch darauf bezogen haben, dass die große Zahl der von anderen Fraktionen zur REM gewechselten Kandidaten und die vielen Politneulinge möglicherweise schwer unter Kontrolle zu halten seien.

Kein Abbild der politischen Kräfteverhältnisse

Dass die Hälfte der Wähler nicht an die Urnen gegangen sei, bedeute, dass es für die Reformagenda von Macron keine Mehrheit gebe, sagte Linkspolitiker Jean-Luc Melenchon. Ähnlich formulierten es die rechtsextreme Front-National-Kandidatin Marine Le Pen sowie die konservative Kandidatin Nathalie Kosciusko-Morizet - alle drei müssen in der Stichwahl noch um ihren Platz kämpfen.

Ergebnisse des ersten Durchgangs der französichen Parlamentswahl

Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA

Rechnet man aber rein die Stimmanteile ihrer Parteien im ersten Wahlgang zusammen, wird deutlich, dass die erwartete überwältigende REM-Mehrheit im Parlament kein Abbild der im Land bestehenden politischen Kräfteverhältnisse sein wird. Macron bleibt den Prognosen zufolge eine Opposition im Parlament erspart, die ihn blockieren könnte. Jener auf der Straße wird er sich schon demnächst stellen müssen, wenn es um die Umsetzung seiner geplanten Arbeitsmarktreform geht - erste Protestaktionen sind schon angekündigt.

Die ewige Debatte über das Mehrheitswahlrecht

Grund für die Sitzverteilung im Parlament ist das in Frankreich geltende Mehrheitswahlrecht in zwei Runden, das letztlich pro Wahlkreis nur einen Kandidaten für das Parlament hervorbringt. Allgemein erleichtert dieses System stabile Regierungsmehrheiten ohne mühsame Koalitionsbildung, wird gerne argumentiert.

Gegner halten das Mehrheitswahlrecht hingegen für nicht repräsentativ und damit undemokratisch. Nicht nur, weil kleine Parteien geringere Chancen haben, sondern auch, weil die Stimmen für die unterlegenen Kandidaten in jedem Wahlkreis unter den Tisch fallen - auch wenn sie in Summe eine deutlich größere Opposition abbilden.

In der Vergangenheit haben sowohl der konservative Staatschef Nicolas Sarkozy als auch sein sozialistischer Nachfolger Francois Hollande versprochen, zumindest einen Teil der Abgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht wählen zu lassen. Geschehen ist das aber nicht - mutmaßlich nicht zuletzt deshalb, weil die beiden großen Traditionsparteien bisher vom reinen Mehrheitswahlrecht profitierten und der Front National (FN) damit im Parlament klein gehalten wurde.

Bleibt abzuwarten, ob Macron sein Versprechen, zumindest eine „Dosis“ Verhältniswahlrecht einzuführen, hält - auch nachdem es ihm dermaßen in die Hände gespielt hat.

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