Unabhängiger kostete Le Pen Stimmen
Überraschend ist die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahl nicht ausgegangen. Nur wurden die etablierten Parteien noch stärker abgestraft als erwartet. Überraschend ist aber der Faktor Jean-Luc Melenchon, der mit seinen 19,6 Prozent sein letztes Wahlergebnis verdoppeln konnte. Mit seiner Positionierung hat er möglicherweise auch verhindert, dass Marine Le Pen Erste wird.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Es war klar, dass die beiden Großparteien, die das politische Leben Frankreichs seit dem Zweiten Weltkrieg bestimmen, eine außerordentliche Niederlage erleben würden. Das erinnert an die Bundespräsidentschaftswahl in Österreich, bei der den zwei Regierungsparteien SPÖ und ÖVP mit je knapp elf Prozent ebenfalls eine Abfuhr erteilt wurde, und reiht sich in eine wohl größere Tendenz in Europa ein.
Am Sonntag erhielt der Kandidat der Sozialisten, Benoit Hamon, nur 6,4 Prozent der Stimmen, noch weniger als in Umfragen prognostiziert. Der konservative Kandidat Francois Fillon galt anfangs als unbesiegbar. Die Ursache für die Niederlage der konservativen Republikaner ist nicht, dass sie schlecht regiert hätten, denn sie sind seit 2007 in der Opposition. Vielmehr störte es die Franzosen, dass Fillon mit seiner Affäre um Scheinbeschäftigung und der Veruntreuung öffentlicher Gelder überhaupt für die Konservativen ins Rennen ging.
Der andere Advokat der Globalisierungsverlierer
Le Pen vom rechtsextremen Front National (FN) hat zwar mit 21,3 Prozent viele Stimmen erhalten, 1,3 Million mehr als noch vor fünf Jahren, doch nicht so viele, wie manche erwartet hätten. Das ist vor allem dem Ex-Sozialisten Melenchon und seinen Anhängern des selbst deklarierten „unbeugsamen Frankreich“ zu verdanken. Mit 19,6 Prozent hat er sein letztes Wahlergebnis fast verdoppelt und bewiesen, dass er eine richtige Alternative für Protestwähler darstellt. Er zog vor über einem Jahr als Erster in den Wahlkampf und folgte immer einer klaren Linie gegen Sozialisten und Konservative.
Die Wahlgewinner auf Gemeindeebene
Da der sozialliberale Emmanuel Macron - der Sieger des ersten Duchgangs - von sich behauptete, „das Beste“ beider Parteien zu verkörpern, stellte sich Melenchon naturgemäß auch dezidiert gegen ihn. Damit gewann er einen Gutteil jener Globalisierungsverlierer, deren Lebensrealität oftmals von Arbeitslosigkeit und Armut geprägt ist.
Kein Wunder, dass sich beispielsweise im ärmsten Departement Frankreichs, Seine Saint-Denis (mit über 30 Prozent Arbeitslosigkeit), knapp 34 Prozent für Melenchon und nur 13,6 Prozent für Le Pen entschieden. Melenchon steht für mehr soziale Gerechtigkeit. Sein Programm, das mit seinen Anhängern beschlossen wurde, enthält die Forderung nach einem Mindestlohn von 1.300 Euro netto, mehr Einkommensteuern ab 4.000 Euro Nettogehalt und eine Deckelung der Höchstgehälter im privaten Sektor mit einem Verhältnis von eins zu 20 zwischen dem niedrigsten und höchsten Lohn. Damit bot er sich als Alternative für all jene an, die im Angebot der Globalisierungsgegnerschaft sonst nur die rechtsextreme Kandidatin Le Pen zur Auswahl hatten.
Melenchon und die Idee eines anderen Europa
Von seinen Gegnern wurde Melenchon als Antieuropäer stilisiert. Er und seine Anhänger sehnen sich aber faktisch nach einem anderen Europa, einem der Freizügigkeit, etwa wenn es um Studenten geht, die dafür oft einen Lohnnachweis erbringen müssen.
Sie wollen ein Europa, das die Familienbeihilfen für tschechische Krankenschwestern und polnische Arbeiter, die in österreichischen Pflegeheimen und auf österreichischen Baustellen arbeiten, nicht kürzt. Und er bemüht Vorbilder aus Lateinamerika, etwa die „Bolivarische Allianz“, die von seinen Kritikern als „Quatsch“ bezeichnet wird. De facto hat Frankreich aber Probleme mit seinen Überseegebieten, etwa Französisch-Guyana, das in der französischen Politik komplett vernachlässigt wird.
Gewählt haben die Franzosen im Ausland mit über 40 Prozent Macron. In seinem Programm steht möglicherweise öfter das Wort „Revolution“ als bei Melenchon. Dass er sehr oft „Start-up“ damit meint, könnte gerade die Anhänger Melenchons auch in der Stichwahl skeptisch stimmen.
Über 40 Prozent der Franzosen im Ausland, die zum Großteil wohlhabend und gut ausgebildet sind, gaben Macron ihre Stimme. Bei Melenchon waren es 16, bei Le Pen sechs Prozent. Die Auslandswähler erwarten von Macron vermutlich nur kleine Veränderungen bei ähnlichen Machtverhältnissen. Ihnen gefällt, wenn Macron das Wort „Start-up“ benutzt. Das Programm des ehemaligen Investmentbankers Macron nennt sich „Revolution“. Damit vermittelt er auch den Eindruck, die politische Lage wirklich verändern zu wollen. Doch „Revolution“ kann auch eine andere Bedeutung haben, und das wissen Melenchons „unbeugsame“ Französinnen und Franzosen besser als alle anderen.
Links:
Gastanalyse des französischen Historikers und Journalisten Jerome Segal, Wien, Paris