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Ein Paradies hinter hohen Zäunen

Die noch bis Sonntag laufende Diagonale hat auch heuer wieder mit einem sorgsam kuratierten Programm aufwarten können: Levin Peter befragt in „Hinter dem Schneesturm“, was sein Opa im Krieg eigentlich in der Ukraine gemacht hat, Gerald Igor Hauzenbergers „Hypotopia - Die Suche nach Verantwortung“ zeichnet den Hypo-Alpe-Adria-Skandal nach, und „Die Liebhaberin“ zeigt das freie Leben in Buenos Aires.

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Davon träumt wohl jeder Regisseur: Ein Festival ruft an. Ob man nicht eine Filmidee habe. Klar doch. Man schlägt etwas vor, das Festival gibt sein Okay, und eine Woche später steht das Budget. Dem aus Salzburg stammenden Filmemacher Lukas Valenta Rinner ist das genau so passiert, wie er nach der österreichischen Erstaufführung seiner lakonischen schwarzen Komödie „Die Liebhaberin“ erzählt. Bei dem Festival handelt es sich um das Jeonju Digital Cinema Project aus Südkorea, und die Bedingung für die Geldspritze war, dass Rinner in acht Monaten mit seinem Film premierenfertig sein musste.

„Die Liebhaberin“ ist ein genau so eigenwilliges Stück Kino wie sein Vorgänger „Parabellum“. „Parabellum“ spielte auch schon in Argentinien, wo Rinner nicht nur die Filmhochschule in Buenos Aires besuchte, sondern auch gleich die österreichisch-argentinische Produktionsfirma Nabis Filmgroup gründete. Rinner stellt auch in seinem zweiten Langfilm seine eigenwillige Handschrift unter Beweis. Wie er mit Bild, Ton und Soundtrack umgeht, zeugt von großer Souveränität.

Wildnis und Gruppensex

Das Dienstmädchen Belen tritt seinen neuen Job bei einer reichen Familie an, die in einer Gated Community vor den Toren Buenos Aires’ lebt. Hinter dem hohen Elektrozaun, der die Bewohner vor der Realität der Hauptstadt schützen soll, beginnt eine atemberaubende Wildnis, wie die geheimnisvolle Belen entdeckt. Zwischen römischen Bädern, Tantrakursen, Gruppensex- und Tanzabenden feiert eine Nudistensekte hier die Ursprünglichkeit.

Das wollen die Wohlanständigen im Reichenghetto nicht hinnehmen. Der Konflikt zwischen ihnen und den nackten Sonnenanbetern nebenan eskaliert, befeuert ausgerechnet von der so wortkargen und passiven Belen. Rinner entwickelt seine lakonische Romanze in eine vollkommen ungeahnte Richtung, schrammt am Surrealen vorbei ins Groteske, ohne je ins Lächerliche abzurutschen.

Was hat Opa in der Ukraine gemacht?

Im Bereich Dokumentarfilm fällt die konzentrierte Abschlussarbeit Levin Peters an der Filmakademie Baden-Württemberg auf, „Hinter dem Schneesturm“. Peter (sein Lebensmittelpunkt liegt laut Festivalleitung in Wien, daher darf der Film, wiewohl mit deutschem Geld finanziert, als österreichischer gelten), befragt seinen Großvater freundlich, aber unerbittlich danach, was er als Besatzungssoldat im Zweiten Weltkrieg in der Ukraine gemacht hat.

Und der alte Mann erinnert sich, während der Enkel genau an den Ort fährt, an dem der Großvater einst stationiert und dann in Gefangenschaft war. Erst misstrauisch gegenüber den vielen Fragen des Jungen, dann geradezu dankbar dafür, was er über die Menschen in der heutigen Ukraine zu hören bekommt. „Hinter dem Schneesturm“ ist ein stiller, ergreifender, sehr menschlicher Film.

Ausschnitt aus dem Film "Hinter dem Schneesturm"

Yunus Roy Imer

Szene aus „Hinter dem Schneesturm“: Besuch bei ukrainischen Weltkriegsveteranen

U-Ausschuss eine „Arena der Empörung“

Auch Gerald Igor Hauzenbergers Aufarbeitung des Hypo-Alpe-Adria-Skandals, „Hypotopia – Die Suche nach Verantwortung“ ist auf der Diagonale zu sehen. Hauzenberger nennt im Gespräch mit ORF.at den zugehörigen Untersuchungsausschuss eine „Arena der Empörung“. Zugang zu Akten hatte er keinen; er war darauf angewiesen, von Parlamentariern versorgt zu werden. Auch die Anhörungen im U-Ausschuss durften nicht mitgeschnitten werden. Im Film lässt Hauzenberger sie nachsprechen, um einen Eindruck von der Qualität der Befragungen zu geben.

Ausschnitt aus dem Film "Hypotopia"

Markus Szyszkowitz

So lustig ging es in „Hypotopia“ zu

Ein halbes Jahr dauerte es auch, die Genehmigung für ein Interview mit dem früheren Hypo-Alpe-Adria-Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Kulterer zu bekommen, das letztlich erst während eines Freigangs stattfinden durfte und nicht im Gefängnis selbst. Kulterer sei verantwortlich, aber nicht nur er, sagt Hauzenberger über die Rolle des Managers in diesem Skandal, der die Steuerzahler mindestens zehn Milliarden Euro kostete.

Wo sind die Milliarden hin?

So genau weiß das keiner – auch nicht die Fachleute der jeweiligen Parteien, die der Regisseur am Schluss des Films überrascht. Nämlich mit der Aufgabe, mit Hilfe von mit Zahlen bedruckten Bauklötzen zu visualisieren, an welchen Stellen wie viel Geld verschwunden ist. Gerne hat das kein Parlamentarier gemacht, erinnert sich Hauzenberger schmunzelnd.

Unbedingt zu nennen ist jedenfalls der kroatische Investigativjournalist Domagoj Margetic, der in „Hypotopia“ eine wichtige Rolle spielt. Margetic schickte schon vor Jahren belastende Dokumente an diverse österreichische Behörden. Und viele Jahre reagierte keine von ihnen, heißt es im Film. Der Aufklärer Margetic wurde und wird wegen seiner Arbeit in Kroatien immer wieder bedroht, sagt Hauzenberger. Sein einziger Schutz ist, dass er immer wieder an die Öffentlichkeit geht.

Emotionale Laudatio auf Franz Grabner

Noch vor der abschließenden Diagonale-Preisverleihung wurde am Donnerstag der neu geschaffene Franz-Grabner-Preis verliehen. Jeweils 5.000 Euro gingen an die beste TV- und die beste Kinodokumentation. Prämiert wird ein „im ethischen und moralischen Sinne verantwortungsvoller und glaubwürdiger Umgang der Filmschaffenden mit ihrem Medium“ in Erinnerung an den ORF-Redakteur Franz Grabner, der 2015 verstorben ist.

In seiner Laudatio erinnerte Paul Pauwels, Direktor des European Documentary Networks in Kopenhagen, in einer berührenden Rede an Grabner, der für ihn auch ein „Mentor fürs Leben“ war. Mit den Tränen kämpfend erhob er sein Glas, denn, so Pauwels, Grabner habe ihm auch die Güte des österreichischen Weins nahegebracht - mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Ausgezeichnet wurde im Bereich TV-Dokumentation „Flucht in die Freiheit“ von Andreas Pfeifer und Andreas Novak aus der ORF2-Reihe „Menschen und Mächte“. Als beste Kinodokumentation erhielt „Unten“ von Djordje Cenic und Hermann Peseckas den Preis. Cenic porträtiert in „Unten“ seine eigene Kindheit und Jugend als Spross serbischer Gastarbeiter in Linz und lernt im Laufe des Films (und seines Lebens), einen neuen Blick auf die Heimat seiner Eltern zu werfen, die für ihn stets Tito-Jugoslawien war.

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