Belastungsprobe für Koalition
Die Neuregelung des Versammlungsgesetzes wird zum neuen Zankapfel der Koalition. Kanzleramtsminister Thomas Drozda (SPÖ) nannte den am Mittwoch vorgelegten Gesetzesentwurf von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) in der „Tiroler Tageszeitung“ „völlig untauglich“. Das betreffe das verschärfte Demonstrationsverbot ebenso wie das Auftrittsverbot ausländischer Politiker.
Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.
Drozda zeigte sich über den übermittelten Gesetzesentwurf „schwer verärgert“. „Der Innenminister hat zu 98 Prozent jenen Gesetzesentwurf zur Verschärfung des Demonstrationsverbots vorgelegt, den wir schon vor drei Wochen, weil klar verfassungswidrig, abgelehnt haben.“
Auch die Gesetzespassage zum Auftrittsverbot für ausländische Politiker zu Wahlkampfzwecken ist in der „Sache untauglich“. Die SPÖ werde deshalb nächste Woche ein Gespräch mit dem Innenminister führen, um eine adäquate Formulierung zu finden. Er verstehe nicht, wieso sich Sobotka nicht schlicht an die Formulierungsvorgabe des Artikels 16 Europäische Menschenrechtskonvention gehalten habe, so Drozda.
Doskozil und Kern schließen sich Kritik an
Ins gleiche Horn stieß SPÖ-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Er erwarte einen „tauglichen, verfassungskonformen Entwurf, keinen Vorschlag zur generellen Aushöhlung des Versammlungsrechts“, schrieb Doskozil in einer Stellungnahme. Zu einem konkreten Vorschlag sei die SPÖ im Sinne der öffentlichen Sicherheit gesprächsbereit: „Die Wahlkampfauftritte türkischer Politiker müssen jetzt unterbunden werden, da können wir nicht bis Sommer warten.“
„Das ist kein guter Entwurf“, sagte auch Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) auf eine entsprechende Frage beim EU-Gipfel in Brüssel. Kern will den Entwurf aber auch nicht überbewerten. Der Innenminister habe selbst gesagt, man diskutiere über ein Auftrittsverbot für den türkischen Ministerpräsidenten Reccep Tayyip Erdogan. Es gebe zwar jetzt viele Diskussionen, doch würden die Lebenswirklichkeiten der Österreicher dadurch nicht entscheidend verändert.
Sobotka „stört mit populistischen Ansagen“
Der neue Gesetzesentwurf ist aber nicht der einzige Kritikpunkt der SPÖ an Sobotka. „Egal ob Demonstrationsrecht, Fremdenrecht oder Auftrittsverbot für ausländische Politiker - der Innenminister ist nicht willens und nicht in der Lage, seine Arbeit zu machen, sondern stört mit populistischen Ansagen die Regierungsarbeit, statt sie zu unterstützen“, sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler.
Sobotka spiele „Opposition in der Regierung“ und falle allein durch „Störfeuer“ auf. „Während alle anderen guten Willens sind und an dem arbeiten, was wir im Regierungsprogramm vereinbart haben, glänzt der Innenminister darin, immer wieder neue Punkte aufs Tapet zu bringen“, so Niedermühlbichler. Der „Musiklehrer“ sorge für „schrille Töne und Missklang“ im Koalitionskonzert.
Niedermühlbichler fordert „brauchbaren Entwurf“
„Auch die SPÖ ist gegen einen türkischen Wahlkampf, ich frage mich nur, was tut der Innenminister dagegen, außer unbrauchbare Gesetzesentwürfe zu übermitteln“, so Niedermühlbichler. „Der Innenminister soll entweder umgehend einen präzisen und brauchbaren Gesetzesentwurf übermitteln oder seine Arbeit machen und das Versammlungsgesetz zur Anwendung bringen.“
Sobotka habe schon jetzt die Möglichkeit, nach Paragraf sechs im Versammlungsgesetz solche Veranstaltungen und Auftritte zu untersagen. Ein Auftritt des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan könne damit verhindert werden, wenn die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl in Österreich gefährdet werden. „Und ich würde sagen, wenn ausländischer oder türkischer Wahlkampf nach Österreich gebracht wird, wird das öffentliche Wohl dadurch gefährdet.“
Ebenso kann der Innenminister klarstellen, dass es keine Einreiseerlaubnis für türkische Politiker geben wird, solange nicht die Garantie vorliegt, dass es zu keinem Wahlkampfauftritt kommt. Der SPÖ-Bundesgeschäftsführer hält den ÖVP-Minister für „überfordert“. Statt vorhandene Möglichkeiten auszuschöpfen, lege er ständig untaugliche Gesetzesentwürfe vor.
Auch Uneinigkeit bei Fremdenrecht und EU-Politik
Ein weiterer aktueller Anlassfall für die Vorwürfe ist das Fremdenrecht. Sobotka verweise nur auf das Streichen der Grundversorgung, statt die Rückführung von abgelehnten Asylwerbern zu forcieren. „Da hat er sich jetzt auch nicht mit Ruhm bekleckert. Wir wissen, dass die Rückführungen nicht wirklich funktionieren.“ Die SPÖ unterstütze das Fremdenrechtspaket, der Innenminister sollte aber auch einmal seine Aufgaben erledigen, statt ständig Verschärfungen zu fordern.
Auch des Innenministers Auftritt rund um die Präsentation der jüngsten Anzeigenstatistik stößt Niedermühlbichler sauer auf. „Man hat das Gefühl, dass er klammheimliche Freude verspürt, dass die Kriminalität und die Anzeigen steigen. Die ÖVP stellt seit 17 Jahren den Innenminister. Wer hat da versagt, wenn das alles so furchtbar ist?“, so der SPÖ-Bundesgeschäftsführer.
„Der Innenminister sollte ein Gefühl der Sicherheit vermitteln und nicht ein Klima der Angst schaffen. Fühlt er sich als Innen- und Sicherheitsminister oder geriert er sich nicht als Unsicherheitsminister?“ Sobotka desavouiere dadurch auch die hervorragende Arbeit der Polizei.
„Mit wem übt Sobotka Solidarität?“
Sobotkas Kritik an Bundeskanzler Christian Kerns (SPÖ) Vorschlag, mittel- und osteuropäischen Ländern die EU-Gelder zu kürzen, solange sich diese der Aufnahme von Flüchtlingen widersetzen, nannte Niedermühlbichler mangelnde Solidarität. „Mit wem übt Sobotka Solidarität? Übt er Solidarität mit Österreich oder mit (Ungarns Regierungschef Viktor, Anm.) Orban oder (Polens Regierungschefin Beata, Anm.) Szydlo? Wenn Sobotka das kritisiert, macht er sich zum Handlanger dieser Politik. Das ist letztklassig, aber wir können ihm gerne einen Flug nach Budapest oder Warschau zahlen, damit er sich mit seinen Parteifreunden zusammensetzt.“
Sobotka wollte „halbe SPÖ“ nicht nervös machen
Es sei nicht seine Absicht gewesen, „die halbe SPÖ nervös zu machen“, konterte Sobotka am Nachmittag in einer Aussendung. „Mir geht es schlicht und ergreifend um eine rasche und praktikable Lösung.“ Es gäbe einen breiten Konsens in der österreichischen Bevölkerung, ausländische Konflikte nicht auf österreichischem Boden auszutragen, so Sobotka.
Sein Entwurf basiere auf der Europäischen Menschenrechtskonvention, der von Drozda genannte Artikel 16 sei „entsprechend berücksichtigt“. Die derzeitige Rechtslage sei aber „leider wenig konkret“. „Wir brauchen daher eine Konkretisierung für eine klare Rechtslage, um rasch und zweifelsfrei reagieren zu können. Es sollte eigentlich klar sein, dass die Verfassung Regelungen ermöglicht, diese aber durch ein einfaches Gesetz zu präzisieren sind.“
Die Alternativvorschläge der SPÖ, dann ein Verbot auszusprechen, wenn im Rahmen von Veranstaltungen das öffentliche Wohl gefährdet ist, könne den bestehenden Gesetzesvorschlag nicht ersetzen. „Es würde sich hier maximal um eine Überbrückungsvariante handeln, bis der vorliegende Gesetzesentwurf beschlossen ist - und selbst das wäre fragwürdig,“ so der Innenminister.
ÖVP ortet Ablenkungsmanöver
Die ÖVP wies die SPÖ-Kritik an Sobotka zurück und stellte sich hinter ihr Regierungsmitglied. ÖVP-Generalsekretär Werner Amon bezeichnete die Angriffe Niedermühlbichlers am Donnerstag als „verzweifelten Versuch, vom Zickzackkurs des Kanzlers in der Frage der Wahlkampfauftritte ausländischer Politiker in Österreich abzulenken“.
Amon vermisste seit Beginn der Diskussion eine klare Linie bei Bundeskanzler Kern. Zuerst habe Kern Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kritisiert, der zu Recht davor gewarnt habe, dass ausländische Politiker ihren Wahlkampf nach Österreich tragen, wenige Tage später habe Kern selbst eine europäische Lösung in der Frage gefordert. Dann habe die SPÖ im Ministerrat dem ÖVP-Vorschlag einer Novellierung des Gesetzestextes zugestimmt und den Innenminister unterstützt, im EU-Hauptausschuss habe Kern dann wieder alles offengelassen.
„Dass die SPÖ jetzt wieder ihre Meinung geändert hat, ist bedauerlicherweise kein Einzelfall“, so Amon. „Ich schätze, diese Unsicherheit und uneinheitliche Linie ist die Folge eines mangelnden Leaderships des Kanzlers, der jetzt seinen Bundesgeschäftsführer vorschickt, um davon abzulenken. Würde die SPÖ sich sofort auf die ÖVP-Vorschläge einlassen, bekäme sie sicher wieder eine Linie in ihre Politik“, meinte der ÖVP-Generalsekretär.
Links: