Weg bis ins Jahr 2029 vorgezeichnet
Die türkische Regierung hat die geplante Einführung eines Präsidialsystems wie von ihr gewünscht ins Parlament eingebracht. Der Entwurf zur Verfassungsänderung wurde Mitte Dezember Parlamentspräsident Ismail Kahraman übermittelt. Das Gesetz würde die Machtbefugnisse von Präsident Recep Tayyip Erdogan massiv ausweiten und ihm das Amt wohl bis zum Jahr 2029 sichern.
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Die Reform umfasst rund 20 Artikel und sieht die Übertragung eines Großteils der Befugnisse, die jetzt dem Ministerpräsidenten obliegen, auf den Staatspräsidenten vor. „Wenn Gott will, wird dies der Beginn einer neuen Ära für die Türkei“, hatte Erdogan schon vor der Einbringung des Gesetzes gemeint und: „Mein Wunsch ist, dass der Text mit Erfolg die Etappe des Parlaments nimmt.“ Er verfolgt die Einführung des Präsidialsystems mit großer Beharrlichkeit, seit er im August 2014 zum Präsidenten gewählt wurde.
Erdogan offiziell bisher machtlos
Der gescheiterte Putschversuch befeuerte Erdogans Pläne nur, trotz des Widerstands der meisten Oppositionsparteien und der Skepsis großer Teile der Bevölkerung. Erdogans Gegner befürchten, dass die Reform vor allem der Stärkung seiner persönlichen Macht dient. Dagegen argumentiert Erdogans AKP, die Aufwertung des Präsidenten sei notwendig, um dem Land in einer Zeit der Unsicherheit eine starke Führung zu geben, und verweist auf die USA und Frankreich als Beispiele.

APA/AFP/Adem Altan
Die Generalsekretäre von MHP und AKP, Afyonkarahisar Mehmet Parsak und Abdulhamit Gul, geben den gemeinsamen Gesetzesvorstoß bekannt
Der Staatschef in der Türkei hatte bisher offiziell eine vorwiegend repräsentative Funktion. Erdogan änderte das einerseits durch die Auswahl hundertprozentig loyaler Regierungsmitglieder und andererseits durch Sonderdekrete und die Befugnisse, die ihm der verhängte Ausnahmezustand verleiht. Dennoch kann die AKP das Gesetz nicht einfach so beschließen, sondern braucht dazu eine positive Volksabstimmung.
Neue Verhältnisse vielleicht schon ab März
Mit der Unterstützung der ultrarechten MHP hat die AKP mehr als 60 Prozent der Stimmen, womit sie nach türkischem Recht eine bindende Volksabstimmung über einen Gesetzesvorschlag verlangen kann. Nach Angaben von Vizeregierungschef Nurettin Canikli könnte die Volksbefragung bereits im März stattfinden, spätestens aber im Mai. An deren Ausgang zweifelt er offenbar nicht, denn er kündigte die ersten Wahlen gemäß der neuen Verfassung bereits für 2019 an.
2019 sollen laut Canikli Parlament und Präsident gemeinsam gewählt werden. Schon ab der Billigung der Verfassungsänderung durch die Bevölkerung wäre Erdogan jedoch interimistischer Präsident gemäß den neuen Bestimmungen. Das Recht auf zwei Amtsperioden pro Präsident würde erst ab der Wahl gezählt, Erdogan damit gemäß seinen Hoffnungen bis ins Jahr 2029 Präsident der Türkei.
Künftig „starke Exekutive“
Ministerpräsident Binali Yildirim sagte, das Präsidialsystem werde der Zeit der instabilen Regierungskoalitionen ein Ende setzen und eine „starke Exekutive“ schaffen. Nach langen Verhandlungen war es ihm davor gelungen, die Unterstützung des MHP-Vorsitzenden Devlet Bahceli zu gewinnen. Mögliche Gegenleistungen sind die Wiedereinführung der Todesstrafe, die Bahceli noch mehr als Erdogan befürwortet, und ein harter Kurs gegenüber der kurdischen Minderheit.
Statt des Regierungschefs soll es zwei Vizepräsidenten geben. Es wird vermutet, dass MHP-Chef Bahceli der AKP die nötigen Stimmen verschafft, damit er selbst einer der beiden Vizepräsidenten wird. Im Hinblick auf die Kritik an der Staatsreform verweist die AKP darauf, dass der Präsident künftig - zum Unterschied von der derzeitigen Rechtslage - strafrechtlich verfolgt werden darf. Er darf allerdings auch persönlich die Höchstrichter bestimmen.
Opposition sieht Ende des Parlamentarismus
Sowohl die kemalistische Republikanische Volkspartei (CHP) als auch die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) lehnen die Pläne für das Präsidialsystem vehement ab. Die HDP-Abgeordnete Meral Danis Bestas warnte, das Präsidialsystem würde das Land „dem Willen einer einzigen Person ausliefern“. CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu warnte, das Projekt gefährde die „140 Jahre alte parlamentarische Tradition“ in der Türkei.
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