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Kleine Gärtnereien unter Druck

In Österreich mischen drei neue Produzenten den Paradeisermarkt auf. Binnen kurzer Zeit errichteten sie Riesenglashäuser vor allem im Osten des Landes. Mit teils exklusiven Lieferverträgen beliefern sie heimische Handelsketten das ganze Jahr über mit Paradeisern und bringen kleine Gärtnereibetriebe zunehmend unter Druck. Die Handelsketten rechtfertigen sich damit, weniger aus Spanien oder Italien zu importieren.

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Kleine Gärtnerbetriebe spüren das Mehrangebot auf dem Markt. Heuer gab es etwa rund ein Fünftel mehr Paradeiser aus österreichischer Produktion. Noch nie musste daher die LGV, eine Genossenschaft von rund 110 kleinen Gemüsebauern aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland, so viel Gemüse ins Ausland exportieren, das hierzulande keinen Absatz fand.

Gemüse-Glashaus

ORF/Raffaela Schaidreiter

Teilansicht des Riesenglashauses in Bad Blumau

Der Massenbau unter Glas gleiche einer Industrialisierung, kritisieren LGV-Mitglieder gegenüber dem Ö1-Wirtschaftsmagazin „Saldo“. Die Handelsketten begrüßen hingegen die neuen Riesenglashäuser. Sie müssten vor allem im Winter weniger Ware importieren. Bestehende Verträge mit kleinen Gärtnern seien keine gekündigt worden, so die Supermarktketten Spar und REWE zu Ö1.

Winterparadeiser dank Thermalwasser

„Wir sind froh um jede Tomate, die aus Österreich kommt“, sagt Nicole Berkmann von Spar. Heuer würden in den Spar-Regalen erstmals auch Winterparadeiser aus der Steiermark liegen. Diese produziert Manfred Hohensinner unter dem Namen Frutura in Riesenglashäusern in Bad Blumau (Steiermark). Im Endausbau plant der Unternehmer, auf 23 Hektar Gemüse zu produzieren. Seine Glashäuser beheizt Hohensinner mit der Wärme aus Thermalwasser. Er habe dafür 16 Millionen Euro in Bohrungen investiert.

Gemüse-Glashaus

ORF/Raffaela Schaidreiter

Großproduzent Manfred Hohensinner (l.) mit seinem niederländischen Gärtner

Hohensinner hält damit das ganze Jahr über die Glashäuser warm. Der Steirer wurde auf diesem Weg vom Gemüsehändler zum Gemüseproduzenten. Für das nötige Fachwissen holte er sich einen Profigärtner aus den Niederlanden. Hohensinner spricht von 200 Vollarbeitsplätzen, die sein Glashausprojekt in der Region garantiere. Der Unternehmer kennt die Kritik der kleineren Konkurrenten an der Größe seines Betriebs. Er sieht sich selbst aber als Vorreiter. Seiner Ansicht nach müsse jede Technik genutzt werden, die es erlaubt, Gemüse ganzjährig in Österreich zu produzieren.

Größe von 27 Fußballfeldern regt auf

Auch der burgenländische Gemüsehändler und -produzent Werner Perlinger betreibt ein Riesenglashaus in Wallern. In der Nachbargemeinde Frauenkirchen kaufte er 2015 ein Grundstück, um ein weiteres Glashaus für die Paradeiserproduktion zu errichten. Es soll eine Größe von 27 Fußballfeldern haben. Perlinger beliefert so gut wie alle großen Handelsketten. Der dritte Großproduzent ist Christian Zeiler aus Niederösterreich, dessen Paradeiser unter Glas in Enzersdorf an der Fischa wachsen und exklusiv an REWE verkauft werden.

Paradeiser vs. Tomate

Der Name Paradeiser leitet sich von Paradiesapfel ab und ist in Österreich sowie in Südtirol der amtliche Name für das rote Gemüse. In Deutschland und im Westen Österreichs ist hingegen der Name Tomate gängig. Dieser leitet sich von der Bezeichnung der Azteken „xitomatl“ ab.

Der Bau der Riesenglashäuser verlief nicht friktionsfrei. Hohensinner etwa musste sich einer Bürgerbewegung in Bad Blumau stellen. Und in Frauenkirchen macht derzeit eine Bürgerinitiative gegen das geplante Glashaus von Perlinger mobil. Das Glashaus verschandle die Landschaft, kritisiert die Bürgerinitiative. Sie befürchtet auch mehr Lkw-Fahrten direkt durch den Ort.

Die Gemeinde hat laut Bürgerinitiative außerdem zu spät über das Projekt informiert. Die Zuständigen in der Gemeinde dementieren das und rücken die Vorteile wie mehr Arbeitsplätze und Kommunalsteuer in den Vordergrund. Im Dezember soll entschieden werden, ob Perlingers neues Riesenglashaus gebaut wird.

Kritik an Industrialisierung

Unter völlig anderen Bedingungen als die drei großen Unternehmer arbeiten Österreichs Kleinbetriebe wie jener von Alfred Wallner in Wien-Simmering. Dieser zieht auf 0,8 Hektar Paradeiser der Sorte Capricia, die er über die LGV vertreibt. Neben seiner Familie arbeiten nur vier Saisonarbeiter mit. Im November holt Wallner die letzte Ernte des Jahres ein. In den frostigen Wochen rund um Neujahr sei es zu teuer, das Glashaus zu heizen.

Gemüse-Glashaus

ORF/Raffaela Schaidreiter

Steirische Glashausparadeiser auch für die Wintermonate

Riesenglashäuser sieht Wallner skeptisch. Der Gemüseanbau werde damit industrialisiert. Dank der finanziellen Mittel würden sich Gemüsehändler wie Hohensinner als Gemüsebauern versuchen und in den Markt eingreifen. Kleine Familienbetriebe hätten solche finanzielle Mittel nicht, so Wallner, und würden den Druck nicht mehr lange aushalten. Seit Jahren bekomme er für ein Kilo Paradeiser rund 80 Cent, die Kosten vor allem für Energie würden aber ständig steigen.

Lieblingsgemüse

Jeder Österreicher isst jährlich 28 Kilo Paradeiser, vor zehn Jahren waren es noch sieben Kilo weniger. Der Handel setzte im Vorjahr 110 Mio. Euro mit Paradeisern um. Auf den Plätzen zwei und drei liegen Paprika mit einem Jahresumsatz von 70 Mio. Euro und Gurken mit 36 Mio. Euro.

Der Kampf ums Supermarktregal

LGV-Vertriebschef Michael Wehofer rechnet vor, dass der Handel der LGV heuer sechs Prozent weniger Paradeiser abgenommen habe als im Vorjahr. Als einen Grund nennt er, dass das Wetter nicht optimal mitgespielt habe. Regentage hätten die Lust auf Salat und die Nachfrage nach Paradeisern gemindert.

Andererseits spürten die kleinen Betriebe das Mehrangebot auf dem Markt wegen der Paradeiser aus den neuen Riesenglashäusern. Sie befürchten, dass sie zunehmend um ihren Platz im Supermarktregal kämpfen müssen. Den Trend bestätigen auch die Landwirtschaftskammer und die Agrar Markt Austria (AMA). Aus Sicht der kleinen Gärtner ist unklar, wie sich die Riesenglashäuser langfristig auf den Absatzmarkt auswirken.

Italiener und Spanier als größte Verlierer

Berkmann kann diese Ängste nicht nachvollziehen. Trotz des exklusiven Liefervertrags mit Frutura habe Spar keinem einzigen kleinen Lieferanten gekündigt. Sollte es zu einem Überangebot kommen, würden zuerst die ausländischen Paradeiser aus dem Regal fliegen, sagt die Spar-Sprecherin. Ähnlich äußert sich ein Sprecher des REWE-Konzerns, der über einen Exklusivvertrag Paradeiser von Zeiler bezieht und heuer erstmals auch im Winter dessen Glashausparadeiser im Sortiment hat. Als Folge importiere REWE in der Wintersaison 8.000 Tonnen weniger Paradeiser aus dem Ausland.

Radiohinweis

Ein Beitrag zum Thema ist im Ö1-Wirtschaftsmagazin „Saldo“ von Freitag nachzuhören - Audio dazu in oe1.ORF.at.

Der spanische Paradeiser gilt schon lange als Feindbild der heimischen Bauern. Zunehmend würden auch Kunden auf importiertes Gemüse verzichten und Paradeiser aus Österreich bevorzugen, sagt der Handel. Umweltorganisationen wie Global 2000 berechnen jedoch, dass österreichische Glashausparadeiser ökologisch gesehen teils schlechter abschneiden würden - etwa wenn sie mit Strom aus fossilen Rohstoffen wie Erdöl oder Erdgas beheizt werden.

Mit „grüner Energie“ gegen Ökokritik

Mit „grüner Energie“ wollen die neuen heimischen Großproduzenten der Kritik entgegenwirken. Hohensinner versucht mit seinem Thermalwasser, Zeiler mit Biogas und Perlinger mit Windenergie zu punkten. Das sei auch der Grund, warum er das Grundstück in Frauenkirchen gekauft habe, sagt Perlinger gegenüber Ö1. Gleich daneben stehe das Umspannwerk, von dem er Strom aus Windkraft beziehen und ganzjährig sein Glashaus beheizen könne. Ob das Glashaus letztlich gebaut wird, ist aufgrund der hitzigen Debatten aber noch offen.

Raffaela Schaidreiter, Ö1

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