Notrufsäulen für die Umwelt
Die komplexen Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Tieren, Pflanzen und ihren Lebensräumen sind in den letzten Jahren unter dem Schlagwort Biodiversität verstärkt in den Fokus der Forschung gerückt. Eine Schau im Wiener Naturhistorischen Museum (NHM) macht die Erkenntnisse der Wissenschaftler nun für Besucher erlebbar.
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11,7 Millionen Tier- und Pflanzenarten gibt es weltweit, schätzen Wissenschaftler. Würde man ihre Namen in Telefonbücher eintragen, wie es das Gestalterteam der Schau „Vielfalt zählt – Eine Expedition durch die Biodiversität“ gemacht hat, die Telefonbücher würden sich mehr als zwei Meter hoch stapeln. Beschrieben ist nur ein Bruchteil dieser Arten. Und allein dieser Umstand macht es schon schwierig, die Wechselwirkungen zwischen den Lebewesen und ihren Lebensräumen zu verstehen.
Leistungsschau der Biodiversitätsforscher
Vom tropischen Regenwald Südamerikas bis zum Meeresgrund des Nordatlantiks sind zahlreiche Forschungsgruppen derzeit damit beschäftigt, die biologische Vielfalt zu verstehen. In Deutschland wurde die Arbeit der Wissenschaftler in den vergangenen Jahren mit viel Geld aus der Forschungsförderung vorangetrieben.

ORF.at/Carina Kainz
Der Telefonbuchstapel - in den blauen Büchern sind jene Arten verzeichnet, die bisher wissenschaftlich beschrieben sind
Die Ausstellung im NHM wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt und ist gewissermaßen auch eine Leistungsschau der deutschen Biodiversitätsforscher. Auf 300 Quadratmetern Ausstellungsfläche gibt es 50 interaktive Objekte zu sehen. Der Schwerpunkt liegt auf den Lebensräumen Wald, Wiese und Meer, denen jeweils ein Raum gewidmet ist.
Komplex wie eine Festplatte
Die Ausstellung beginnt aber mit einer Art allgemeiner Einführung. Die Ausstellungsgestalter rund um den deutschen Botaniker Erwin Beck haben sich einiges einfallen lassen, um den Besuchern die Komplexität der einzelnen Lebensräume näherzubringen. Im ersten Raum etwa hängen mehrere Fotos übereinander, auf denen ein einfaches Fahrrad zu sehen ist.

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Der Raum links ist dem Lebensraum Wiese gewidmet, jener rechts dem Wald
Auf dem ersten Bild ist das Fahrrad noch komplett, je weiter man blättert, desto mehr Teile fehlen - bis das Fahrrad nicht mehr fahrbar ist. Mit Ökosystemen verhalte es sich genauso, so Beck gegenüber ORF.at. „Wenn man mehr Teile wegnimmt, funktioniert es nicht mehr.“ Das könne man allerdings nur bei Ökosystemen einschätzen, deren Wechselwirkungen erforscht sind.
Ausstellungshinweis
„Vielfalt zählt – Eine Expedition durch die Biodiversität“, bis 17. April 2017, Naturhistorisches Museum Wien, donnerstags bis montags 9.00 bis 18.30 Uhr, mittwochs 9.00 bis 21.30 Uhr, dienstags geschlossen
Neben den Fahrradbildern ist eine Fotoserie mit einer Festplatte zu sehen. Für Laien ist schwer erkennbar, welcher Teil auf welchem Bild genau fehlt. Das aus einer Vielzahl von Komponenten gefertigte Objekte soll das Zusammenspiel der vielen Faktoren versinnbildlichen, von denen das Überleben eines komplexen Ökosystems abhängt. Das Fehlen eines Teils, dessen Bedeutung man nicht kennt, kann das System zum Kippen bringen.
Die Welt aus Hummelperspektive
Daneben werden dem Besucher eine Reihe von Mitmachmöglichkeiten geboten. Auf einem Bildschirm kann die Welt aus der Perspektive von Insekten wie Hummeln oder Schwebefliegen betrachtet werden. Mit Hilfe einer Keyboardklaviatur, deren schwarze und weiße Tasten mit Tier- und Umgebungsgeräuschen belegt sind, lässt sich die klassische Geräuschkulisse eines Stadtwaldes simulieren. Und auch für die Nase haben sich die Ausstellungsgestalter etwas einfallen lassen.

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„Wimmelbild“ mit Seestern und Ozeanbewohnern im Themenraum Meer
In den einzelnen Räumen, die den Lebensräumen Wiese, Wald und Meer gewidmet sind, geben „Wimmelbilder“ Einblicke in die jeweiligen Ökosysteme. Die Tiere sind zum Glück, wie am Fall der Riesenspinne im Wiesenzimmer, nicht maßstabsgetreu abgebildet. Mit einem Scanner können Besucher den Barcode unter den Abbildungen einscannen und erhalten Informationen zur jeweiligen Art. Zudem steht in jedem Raum eine SOS-Säule, die auf Knopfdruck darüber Auskunft gibt, was den jeweiligen Lebensraum bedroht.
Und so wird auch die Brücke zurück von Biodiversität zum Umweltschutz geschlagen. „Ich würde mir wünschen, dass die Besucher verstehen, wie wichtig die Gesamtheit der Lebewesen in unserem Lebensraum ist“, so Beck. „Wenn einzelne Säulen wegbrechen, kippt das ganze System.“
Philip Pfleger, ORF.at
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