Einwanderung war „nie populär“
Der republikanische Kandidat Donald Trump hat die frustrierten, vom Abstieg bedrohten weißen Arbeiter mobilisiert wie kein Republikaner vor ihm. Dabei seien die Weißen viel weniger von Armut betroffen als Schwarze und Hispanics, sagt der US-Soziologe Herbert Gans.
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Trotzdem widmeten sowohl Trump als auch die demokratische Kandidatin Hillary Clinton dem Thema Armut vor allem Stehsätze und verwiesen bei ihren Investitionsplänen für die Wirtschaft auf die damit verbundenen positiven Folgen für die Armutsbekämpfung. Das hat laut Gans, der als Jugendlicher mit seiner Familie vor den Nazis in die USA flüchtete, zum einen historische Gründe: Die Armutsfrage ist eng mit dem Konflikt über gleiche Rechte für Afroamerikaner und auch Hispanics verknüpft - genau dieser Zusammenhang wird aber in der Regel nie ausgesprochen.
Wahlrecht statt Wahlsteuer
1965 wurde nach blutigen Angriffen des Ku-Klux-Klans - der zuletzt eine Wahlempfehlung für Trump aussprach - ein neues Wahlgesetz (Voting Rights Act) beschlossen, das es unmöglich machte, Schwarze am Ausüben ihres Wahlrechts in den Südstaaten zu behindern. In mehreren Bundesstaaten gab es damals eine „Wahlsteuer“, Lesetests und andere Prüfungen, um sich überhaupt registrieren lassen zu können. Trumps Warnung vor Wahlbetrug spielt unterschwellig auch auf die Bemühungen der Bürgerrechtsbewegung an, die in den 1960er Jahren Schwarzen bei der Registrierung half.
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ORF.at/Guido Tiefenthaler
Gans räumte mit falschen gesellschaftspolitischen Vorstellungen von Slums auf und analysierte die US-Medienbranche
Mit dem neuen Gesetz erhielt die Bundesbehörde die Aufsicht über die Wählerregistrierung. Da der damalige Präsident Lyndon B. Johnson Demokrat war, führte das, so Gans gegenüber ORF.at, dazu, dass viele weiße Arbeiter im Süden der USA der Demokratischen Partei den Rücken kehrten.
Bedrohung für „Working Poor“
Gleichzeitig seien 1965 auch die Einwanderungsregeln gelockert worden. Das habe zu spürbar mehr Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und einem Sinken des Lohnniveaus geführt. Damit sei eigentlich erst die Gruppe der weißen Arbeiter geschaffen worden, so Gans.
Einwanderung - das Thema, das laut Gans Trump zu seinem Sieg in den Vorwahlen verhalf - müsse in dem Zusammenhang immer berücksichtigt werden. Australien, das vergleichsweise wenige Migranten habe, habe Gesetze verabschiedet, „die selbst Mississippi oder Louisiana nicht haben würden“. Einwanderer seien entgegen dem US-Mythos vom Schmelztiegel der Nationen „nie populär“ gewesen. Auch dann nicht, wenn sie dringend gebraucht wurden. Der Grund, dass Migration für Populisten wie Trump so ein wichtiges Thema ist, ist laut Gans klar: Zuwanderer seien etwa genau für die „Working Poor“ eine Bedrohung - jene Leute also, die trotz Arbeit unterhalb der Armutsgrenze liegen.
„Nie Arbeiterpartei gehabt“
Ein weiterer Grund sei aber, dass „wir in den USA nie eine Arbeiterpartei hatten“. Das ist laut dem Soziologen das „grundsätzliche Problem“. Die Menschen hier hätten nie eine positive Identität als Arbeiter entwickelt. „Niemand will länger als eine Generation arm sein“, bringt Gans das Selbstverständnis der meisten „Working Poor“ auf den Punkt. Lieber definiere man sich als Mittelklasse.
Und schließlich sieht Gans hinter dem weitgehenden Verdrängen des Themas Armut aus dem Wahlkampf auch wahltaktische Gründe: Gerade die armen Schwarzen und Hispanics würden kaum wählen und würden daher nicht als wahlentscheidend gelten.
Für Reform der Vorwahlen
Generell betont Gans, das Wahlsystem gehöre an wichtigen Stellen geändert: Die Vorwahlen müssten wieder offener werden, sodass auch gemäßigte Kandidaten eine Chance hätten. Trump repräsentiere ja eigentlich nur eine Fraktion innerhalb der Republikanischen Partei. Generell ist Gans überzeugt, dass die Polarisierung während des Wahlkampfs deutlich zunimmt. Nachher werde viel davon wieder verschwinden. Es sei sogar möglich, dass die Republikaner dazu zurückkehren würden, überparteiliche Kompromisse zu schließen. Das wäre dann eine Rückkehr in die Zeit vor 2000, so Gans.
Guido Tiefenthaler, ORF.at, aus New York
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