Die Essenz einer Filmszene
Es ist noch nicht lange her, da haben sie als Ausschussware gegolten: Filmstills – Bilder von Filmen, die extra zu Werbezwecken hergestellt wurden und in Magazinen und Kinofoyers die Neugier wecken sollten. Nach getaner Arbeit warf man sie weg. Erst jetzt beginnt man, die Setfotos, Porträtfotos und Szenenbilder als eigene Kunstform zu entdecken.
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Gleich zwei Wiener Ausstellungen widmen sich den Filmverwertungsfotografien, die die Inhalte von Alfred Hitchcock, Billy Wilder und Co. oft drastischer präsentieren als die Filme selbst. Die von Roland Fischer-Briand kuratierte, kleine, aber feine Ausstellung „Farbiges Leuchten: Transparente Filmstandfotos der 1920er- 30er-Jahre“ konzentriert sich im Photoinstitut Bonartes auf die spezielle Form des hinterleuchteten Filmstills. Im abgedunkelten Raum der Galerie gegenüber dem Etablissement Ronacher schimmern die Filmszenen wie Wunderkästen.
Märchenhafte Landschaften
In manche der märchenhaften Landschaften würde man am liebsten hineinsteigen. In den 1920er und 1930er Jahren ließen die Verleihfirmen solche Leuchtkästen in ausgewählten Premierenkinos aufstellen. Szenen der ursprünglich in Schwarz-Weiß gedrehten Filme sind hier detailgenau von Hand koloriert: eine Vision von Farbfilmen, die es in dieser Form nie gab.
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ORF.at/Maya McKechneay
Auch unter den Filmstills gibt es „Prominente“: Die Albertina stellt sie aus
Die Ausstellung „Film-Stills. Fotografien zwischen Werbung, Kunst & Kino“ (kuratiert von Walter Moser) in der Albertina bietet dagegen einen Best-of-Parcours durch die berühmtesten Filmstills der Welt: Unter den 130 ausgestellten Stills findet sich Marilyn Monroes hochwehendes Kleid aus „Das verflixte 7. Jahr“ („The Seven Year Itch“, Regie Billy Wilder, 1955) ebenso wie Cary Grant, der in Hitchcocks „Der unsichtbare Dritte“ („North by Northwest“, 1959) vor dem Flugzeug flieht.
Schwer zu findende Fehler
Nur wer die entsprechenden Kinofilme genau kennt, entdeckt, dass diese Bilder eben genau keine dem Film entnommenen Vergrößerungen sind. Kleine Variationen verraten, dass sie von eigenen Setfotografen angefertigt wurden. Hier blickt ein Schauspieler direkt in die Kamera - ein No-Go im Erzählkino -, dort sind Stars gemeinsam im Bild zu sehen, die im fertigen Film niemals zur gleichen Zeit vor der Kamera stehen. Cineasten bietet sich die Ausstellung in der Albertina als lustiges „Finde den Fehler“-Suchspiel an.
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Paramount Pictures/Deutsche Kinemathek/Bud Fraker; The John Kobal Foundation/Karl Struss
Der „Psycho“-Schaukelstuhl im Starporträt (l.) und Gloria Swanson, 1919
Oft enthalten die Filmstills dem Betrachter aber auch wesentliche Elemente des Films vor, um ihn neugierig zu machen. In einem Filmstill aus Hitchcocks „Psycho“ ragt vor den drei Hauptdarstellern bedrohlich ein leerer Schaukelstuhl auf. Wer mag darin wohl sitzen?
Marlon Brandos zerrissenes Leiberl
Andere Filmstills zeigen Szenen, die im fertigen Film so gar nicht existieren. Eine Serie hochformatiger Fotos dokumentiert, wie Vivien Leigh ihrem Filmpartner Marlon Brando in „Endstation Sehnsucht“ („A Streetcar Named Desire“, Regie Elia Kazan, 1951) das Rippshirt vom Oberkörper reißt. Lustvoll krallen sich ihre Fingernägel in Brandos Rücken. Die Filmzensur sorgte dafür, dass diese Szene im fertigen Film fehlt. In den Aushangkästen der Kinos prahlten die Fotos nichtsdestotrotz mit der Leidenschaftlichkeit des Films.
Ausstellungshinweise
- „Film-Stills. Fotografien zwischen Werbung, Kunst & Kino“, bis 26. Februar 2017, Albertina Wien, täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch 10.00 bis 21.00 Uhr
- „Farbiges Leuchten: Transparente Filmstandfotos der 1920er- 30er-Jahre“, bis 24. Februar 2017, Photoinstitut Bonartes, Mittwoch bis Freitag 10.00 bis 18.00 Uhr
Auch in Erich von Stroheims „Foolish Wives“ (1921) schlug die Filmzensur zu. Erst im Standfoto darf die sexuelle Konnotation einer Szene wirklich deutlich werden: Regisseur und Hauptdarsteller Stroheim ist darin als Heiratsschwindler Graf Karamzin zu sehen.
Mit lüstern verdrehten Augen beugt er sich über eine schlafende Schönheit, seine Hand umklammert ihren Schenkel, sein Mund bedeckt ihn mit Küssen. Gleich neben dem Filmstill ist in der Albertina auf einem kleinen Monitor die entsprechende bewegte Szene zu sehen. Wer mag, kann vergleichen - zwischen dem fotografischen Lockmittel und dem wesentlich braver zurechtgestutzten Film.
Vom Nischendasein zum Sammlerobjekt
Viele Filmstills-Fotografen kamen ursprünglich vom Metier der Fotoreportage, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts boomte. Sie waren es gewohnt, die Essenz einer Szene in einem fotografischen Moment einzufangen - so wie Georges Pierre, von dem das berühmte Foto von Anna Karina aus Jean Luc Godards „Elf Uhr nachts“ („Pierrot le fou“, 1965) stammt. Die Schauspielerin streckt darin die Hand mit einer aufgespreizten Schere direkt in die Kamera, ein unvermittelt plastischer fast körperlich spürbarer Moment - wild und spontan wie die Nouvelle Vague selbst.
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ORF.at/Maya McKechneay
Beide Ausstellungen sind sorgsam kuratiert - und machen Lust auf mehr
Die in der Albertina-Ausstellung gezeigten Filmstills speisen sich übrigens zum Großteil aus der Sammlung des im Untergeschoss des Gebäudes beheimateten Filmmuseums. „Die Entscheidung, diese Sammlung an Fotografien zu pflegen, war nicht immer selbstverständlich“, sagte Filmmuseum-Direktor Alexander Horwath bei der gemeinsamen Eröffnung der Ausstellung mit Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder.
Mittlerweile zahlt sich die Investition in diesen Bestand aber wohl auch finanziell aus. Denn jetzt, wo sie als Originalabzüge nicht mehr produziert werden, avancieren Filmstills zu beliebten Sammlerobjekten.
Maya McKechneay, für ORF.at
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