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Kein Entkommen aus dem Hexenwald

Adam Wingards Horrorsequel „Blair Witch“ will dem Publikum mit „echt dokumentarischen“ Videobildern Angst einjagen. Vier Jugendliche treten in diesem handwerklich solide gemachten Schocker den Beweis an, dass die gute alte „Hänsel und Gretel“-Story auch im Zeitalter von Smartphones, Kameradrohnen und GPS furchterregend wirkt.

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„Hänsel und Gretel verliefen sich im Wald. Es war so finster und auch so bitter kalt.“ Jedes Kind kennt wohl das Märchen der Brüder Grimm, in dem ein Geschwisterpaar durch den Wald irrt und von einer Hexe in die Falle gelockt wird. Sein Erfolg besteht darin, dass es an eine unserer Urängste appelliert: die Angst, dass das Vertraute - Eltern, Gesellschaft, Natur - auf einmal fremd und bedrohlich werden könnte. Ganz ähnlich operieren die „Blair Witch“-Filme im Kino.

In der aktuellen Neuauflage des Erfolgsfilms „The Blair Witch Project“ (1999), die unter dem knapperen Titel „Blair Witch“ an den Start geht, tappt erneut eine Handvoll Jugendlicher durch einen finsteren Wald, in dem angeblich eine Hexe haust. Statt mit Brotkrumen wie die Grimm’schen Geschwister sind sie mit Kameradrohnen (für den Überblick), Walkie-Talkies und GPS ausgestattet - und gehen dennoch verloren.

YouTube-Video aus dem verwunschenen Wald

James (James Allen McCune) ist der Bruder des in Teil eins verschwundenen Mädchens Heather. Auf YouTube hat er ein Video gefunden, das vielleicht seine Schwester zeigt. Es stammt von einer Videokassette, die angeblich im verwunschenen Wald von Burkittsville gefunden wurde. Darauf zu hören sind tierhafte Schreie und Gepolter, zu sehen ist eine verwackelte Fluchtbewegung in einem maroden, alten Haus.

Filmszene aus "Blair Witch"

Studiocanal GmbH/Chris Helcermanas-Benge

Auf der Suche nach der verschwundenen Heather wagen sich die Freunde in den verwunschenen Wald

Gemeinsam mit Freunden macht sich James auf, um seine Schwester zu suchen. Eine davon ist Filmstudentin und stattet alle mit Minikopfkameras aus. So erklären sich die extrem subjektiven, wackeligen Perspektiven: Diese Bilder behaupten, im Wald aufgefundenes, dokumentarisches Material zu sein.

Verloren in Zeit und Raum

So weit das Setup. Was folgt, sind archetypische Situationen, wie man sie aus Schauermärchen und Alpträumen kennt: Ein Bursche steht allein im finsteren Wald. Um ihn herum beginnt es zu knacken, zu wispern, zu poltern. Dann geht die Taschenlampe aus. Oder: Ein Mädchen kriecht durch einen Erdtunnel, der sich zunehmend verengt. Irgendwann bleibt sie mit der Hüfte stecken. Die Lampe rutscht ihr aus der Hand. Sie ist allein. Es ist finster. Von hinten hört sie Atmen.

Filmszene aus "Blair Witch"

Studiocanal GmbH/Chris Helcermanas-Benge

Im Wald scheinen die Gesetze der Physik außer Kraft gesetzt

Das alles ist gruselig genug. Die größte Angst in „Blair Witch“ ist aber auch diesmal wieder die vor dem eigenen Verschwinden. Da helfen kein GPS und keine Kameradrohne. In diesem Wald scheinen die Naturgesetze ausgehebelt zu sein. Eine tiefe Nacht beginnt, sobald die Jugendlichen die Zivilisation hinter sich gelassen haben, und dauert an, wenn es längst schon wieder Tag sein sollte. Das Verschwinden ist hier ein totales: Verloren in Zeit und Raum.

Ein Aus-der-Welt-gefallen-Sein, wie es wohl all jene befürchten, die ihre Präsenz ständig mit Selfies und Facebook-Videos dokumentieren müssen: Ich bin eh da! Schaut mich an! Das Unheimliche ist: Im Wald der Blair Witch funktioniert zwar die digitale Selbstbespiegelung, doch die Bilder dieses Camping-Horrortrips werden die Daheimgebliebenen erst post mortem erreichen. Der Körper geht zugrunde. Die Pixel bleiben.

Die Blair Witch als finstere Anti-Mutter

Gegenspielerin der verlorenen Teenager ist eine Hexe, die legendäre Blair Witch, von der es im Film heißt, sie sei im 19. Jahrhundert im Wald von Burkittsville von aufgebrachten Eltern zu Tode gefoltert worden. Ein paar Kinder hatten sie denunziert. In der psychoanalytischen Lesart ist die Hexe eine Art Gegen-Mutter. Das unheimlich gewordene Altvertraute. Die Frau, die die Kinder nicht schützt, sondern sie quält und tötet.

Die Blair Witch ist im Film selbst nie zu sehen: Als Zeichen ihrer malignen Anwesenheit hinterlässt sie (wie schon in Teil eins) kleine Figuren aus Ästen. Das böse Kinderspielzeug einer bösen Mutter - so wie die Pfefferkuchen, mit denen die Märchenhexe lockt. Hier wie dort sollte man nicht zugreifen, das Angebot der Hexe ist tödlich.

Handwerklich gut gemachter Teenager-Horror

Bleibt die Frage: Ist „Blair Witch“ gruselig oder fad? Oder, wie amerikanische Filmkritiker es gern formulieren, ist der Film sein Eintrittsgeld wert? Die Antwort lautet: Na ja. Vor allem für Teenager, die das Original von 1999 nicht kennen, könnte das Konzept aufgehen. „Blair Witch“ ist halbwegs gut gemacht und hält sein gefinkeltes Kamerakonzept (man sieht nur, was die Kopfkameras der Protagonisten aufnehmen) konsequent durch. Bloß schwindelfrei sollte man für all das Geschwenke im finsteren Walde sein - und die erste Sitzreihe im Kino tunlichst meiden.

Filmszene aus "Blair Witch"

Studiocanal GmbH/Chris Helcermanas-Benge

Die Flucht vor der Blair Witch ist zwecklos

Der wahre Triumph des Films liegt allerdings im Sounddesign: So wenig das Auge sieht, so viel ahnen die Ohren. Eine Armee von Monstern tappt, knarzt und grollt hier durchs Gestrüpp. Mit welchen Mikrofonen dieses grandiose Dolby-Surround-Feuerwerk aufgenommen sein soll, das versäumt die Dokumentarfilmlogik des Films leider zu erklären.

Maya McKechneay, für ORF.at

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