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Literaturverfilmung als Dolmetscherjob

Zwei Außenseiter, ein blauer Lada Niva und der Soundtrack von Richard Clayderman: So bringt Fatih Akin den Kultroman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf auf die Leinwand. Für den Kenner des Buches könnte diese Beschreibung vielleicht wie eine einfallslose Bebilderung einer grandiosen Geschichte klingen. Die erzählerische Leichtigkeit und schauspielerische Leistung reißen das Ruder jedoch herum.

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„Tschiiiick!“ brüllt ein junger Teenager panisch mitten auf der Autobahn, während blutverschmierte Schweine laut quiekend an ihm vorbeitrennen. Er heißt Maik Klingenberg (Tristan Göbel) und sehnt sich nicht nach einer Zigarette, sondern sucht seinen besten Freund Andrej Tschichatschow (Anand Batbileg) alias „Tschick“. Der Zuschauer spürt sofort, dass etwas Schlimmes passiert ist.

Der Anfang vom Ende

Wie auch in Herrndorfs Roman eröffnet Regisseur Fatih Akin die Geschichte mit ihrem Ende. Aber der Schluss kann ruhig schon vorweggenommen werden, denn wichtig ist nicht, wie alles ausgeht, sondern was bis dahin passiert. Und das lässt den Zuschauer schmunzeln, überrascht ihn und macht zwischendurch auch ein wenig trübselig.

Kameramann Rainer Klausmann und Regisseur Fatih Akin am Set von "Tschick"

Constantinfilm

Kameramann Rainer Klausmann (r.) mit Regisseur Akin (l.) am Set von „Tschick“

So abenteuerlich wie die Geschichte war auch die Produktion des Films. Denn Akin war nicht die erste Wahl. Herrndorf selbst gab die Verfilmung seines Romans in Auftrag und engagierte „Feuchtgebiete“-Regisseur David Wnendt - bevor sich der Autor mit 48 Jahren, an einem unheilbaren Gehirntumor leidend, vor drei Jahren das Leben nahm. Aufgrund „kreativer Differenzen“ wurde Wnendt von Produzent Marco Mehlitz vom Projekt jedoch wieder abgezogen und durch Akin ersetzt.

Hohe Ansprüche an Kultroman

Über eine Million Mal verkauft, in 24 Sprachen übersetzt und 2011 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet feierte Herrendorfs Roman auch im Theater große Erfolge: In der Saison 2012/2013 war „Tschick“ mit 764 Aufführungen das meistgespielte Stück an allen deutschen Bühnen.

Keine leichte Aufgabe also, an jene Bilanz anzuknüpfen. Die Geschichte von Maik und Tschick hat Kultstatus. Zwei Charaktere aus ganz unterschiedlichen Welten erleben den besten Sommer ihres Lebens, während sie dabei wichtige Phasen des Erwachsenwerdens durchleben - verkörpert von Tristan Göbel und Anand Batbileg, mühelos und unverkrampft.

Szene aus dem Film "Tschick"

Constantinfilm

Maik (Göbel) und Tschick (Batbileg) auf Zerstörungsfahrt durchs Maisfeld

Maik ist Sohn eines vielbeschäftigten Immobilienmaklers und einer Alkoholikerin, Tschick ist Waise. Weil Maiks Mutter in der „Beautyfarm“ wieder einmal auf Entzug ist und der Vater sich währenddessen mit seiner Sekretärin vergnügt, soll der Teenager die ersten Wochen des Sommers allein am Pool des Einfamilienhauses verbringen.

Romantik trifft The White Stripes

Doch es kommt anders. An Liebeskummer leidend beschließt Maik schließlich, sich mit Tschick und seinem gestohlenen Lada auf den Weg in die Walachei zu machen. Sie begegnen „Adel auf dem Radel“, einer hilfsbereiten Familie, rauben einem Polizisten den letzten Nerv und lernen die burschikose Isa (Mercedes Müller) kennen, die sie ein Stück begleitet, bevor sie ihre Reise nach Prag aufnimmt.

Szene aus dem Film "Tschick"

Constantinfilm

Der hellblaue Lada Niva spielt ebenfalls eine Hauptrolle im Film

Obwohl viele Szenen aus dem Roman ausgelassen wurden, wirkt Akins Version vollständig und die Dramaturgie des Filmes stimmig. Die Bilder sind schön, wirken fast gemalt und sind begleitet vom kitschigen Geklimpere der „Ballade pour Adeline“ von Richard Clayderman. Für Auflockerung sorgen Seeeds „Goosebumps“, The White Stripes und Royal Blood.

Tarantino lässt grüßen

So sehr das Drehbuch auch den Roman mit Samthandschuhen angreift und dabei die Sprache Herrndorfs oft gehorsam übernimmt, so unübersehbar ist die Handschrift des Regisseurs. Wie etwa bei der Verabschiedung von Maiks Vater. Bevor sich dieser mit seiner Sekretärin für einen zweiwöchigen Liebesurlaub davonmacht, „erschießt“ der Sohnemann die beiden in einer Fantasiesequenz auf brutalste Weise. Tarantino lässt grüßen - oder eben Akin.

Gefühlvolle Übersetzungsarbeit

Es ist Akins erste Literaturverfilmung, aber nicht seine erste Komödie. Bereits mit „Soul Kitchen“ bewies der deutsche Regisseur mit türkischen Wurzeln ein Gefühl für Witz und Absurdes, mit „Gegen die Wand“ einen Sinn für Schwere und Drama. Das Engagement für „Tschick“ habe Akin „in jeder Hinsicht gerettet“, so der Regisseur im Interview mit dem Filmverleih. Für ihn sei die Verfilmung eine Art Dolmetscherjob gewesen, bei dem er seine Gefühle beim Lesen des Romans in Bilder umsetzte. Und das macht er ausgezeichnet.

Ein Coming-of-Age-Film, der die Balance zwischen Kinder- und Erwachsenenfilm findet. Er ist nicht „zerdacht“ und bringt – bis auf ein paar überspitzte Nebenfiguren - die Komik, Einfühlsamkeit und Melancholie Herrndorfs auf den Punkt.

Yasmin Szaraniec, für ORF.at

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