Schäden an Kuverts zu spät sichtbar
Kurz nach Bekanntwerden der fehlerhaften Briefwahlkarten am Wochenende haben Innenministerium und Wiener Wahlbehörde versucht zu beruhigen. Es seien nach genauer Überprüfung nur 500 Wahlkarten nicht in Ordnung. Nun melden sich aber immer mehr Wählerinnen und Wähler, deren Wahlkarten auf den ersten Blick in Ordnung waren, sich dann aber zeitverzögert an allen Ecken und Enden auflösten.
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Eine 25-jährige Studentin aus Wien-Leopoldstadt traute ihren Augen nicht. Sie hatte bei der Wiener Wahlbehörde eine Wahlkarte bestellt, weil sie am Bezirkswahltag - dem 18. September - möglicherweise arbeiten muss und so keine Zeit hat, zur Wahl zu gehen.
Durch Medienberichte bereits vorgewarnt überprüfte sie die Wahlkarte sehr genau, konnte jedoch keinen Fehler erkennen. Sie entschloss sich, die Wahlkarte auszufüllen und die eidesstattliche Erklärung zu unterzeichnen. Weil sie nicht sofort Zeit hatte, zur Post zu gehen, blieb das Kuvert einige Tage liegen. Als die junge Frau es dann aufgeben wollte, entdeckte sie, dass sich die Seitenverklebungen des Briefkuverts völlig gelöst hatten.

ORF
Klebemängel auch an den Seitenrändern der Wahlkartenkuverts
Wählerstimme ungültig
Dasselbe war einer 32-jährigen Vorarlbergerin mit ihrer Wahlkarte für die Bundespräsidentschaftswahl am 2. Oktober passiert. Auch ihr Wahlkartenkuvert löste sich wenige Tage nach dem Ausfüllen an der Lasche und an beiden Seiten. Auch bei anderen österreichischen Medien meldeten sich immer mehr aufgeregte Wahlkartenwähler.
In Zell am See in Salzburg wurden offenbar zumindest drei Kuverts für Wahlkarten mit Mängeln ausgegeben. Eines wurde bereits zurückgegeben, die beiden anderen wurden Auslandsösterreichern zugestellt und seien bereits auf dem Postweg zurück in den Pinzgau, heißt es vonseiten der Stadtgemeinde.
Wem sein Wahlrecht wichtig ist, der hat jedenfalls Grund zur Empörung. Denn wenn die Wahlkarten zur Gänze ausgefüllt sind, die eidesstattliche Erklärung vom Wähler unterschrieben ist, dann ist die Wahl vollzogen, und es kann auch bei einem Schaden kein Duplikat mehr bei der Wahlbehörde angefordert werden. Die Stimme ist somit ungültig.
Wahlbehörde hat wenig Spielraum
Alle Briefwahlkuverts werden von der Wahlbehörde geprüft, und es wird entschieden, ob der sichtbare Schaden so groß ist, dass eine Manipulation der Wählerstimme hätte vorgenommen werden können. Wenn ein Kuvert nur leicht an einer Stelle offen ist, könnte die Wahlbehörde entscheiden, dass die Stimme dennoch gültig ist. Sind aber auf beiden Seiten grobe Versiegelungsmängel sichtbar, muss die Wahlbehörde die Briefwahlstimme für ungültig erklären.
Robert Stein, der Leiter der Bundeswahlbehörde im Innenministerium, sagt auf die Frage, ob es nicht möglich wäre, alle Wahlkarten einzuziehen und neue auszuschicken, dass das aus rechtlicher und zeitlicher Sicht nicht möglich sei. Es würde zu lange dauern, und es gebe auch keine gesetzliche Grundlage für so eine Vorgangsweise. Dennoch hält Stein eine Wahlanfechtung für nicht wahrscheinlich. Das Innenministerium fordert nun von der Herstellerfirmen bis Freitag Aufklärung über die Ursachen bei den Klebemängeln der Briefwahlkuverts.
Nach Lösungen wird gesucht
Im zweiten Wiener Gemeindebezirk, wo bereits in zehn Tagen wieder gewählt wird, hofft die grüne Kandidatin Ursula Lichtenegger, dass es für die schadhaften Kuverts eine Lösung geben werde. Die Grünen profitieren tendenziell am meisten von den Briefwählern. Sie kämpfen im zweiten Bezirk um Platz zwei gegen die Freiheitlichen, die bei der Gemeinderatswahl im vergangenen Oktober mit nur 21 Stimmen Unterschied auf Platz drei landeten. Die FPÖ focht die Wahl an, und der Verfassungsgerichtshof (VfGH) entschied für eine Wiederholung der Wahl in der Leopoldstadt.
Die Leiterin der zuständigen Wahlbehörde in Wien, Christine Bachofner, sagte gegenüber ORF.at, es würden bis morgen alle rechtlichen Möglichkeiten geprüft, und danach werde entschieden, was zu tun sei, um eine gesicherte Wahl im zweiten Bezirk durchführen zu können.
Verfassungsrechtler Heinz Mayer fordert unterdessen eine Verschiebung der Bundespräsidentenwahl. Diese sei aufgrund des Chaos um die schadhaften Wahlkarten anzuraten. „Es handelt sich ja offenbar nicht nur um Einzelfälle“, sagt Mayer. Er sieht rechtlich überhaupt kein Problem. Die Bundesregierung müsse nur die Verordnung ändern.
Brigitte Handlos, für ORF.at
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