Das Geschäft des Balkans mit dem Krieg
Während Hunderttausende Menschen aus südlich gelegenen Kriegsgebieten über die Balkan-Route Richtung Norden geflohen sind, sind in den vergangenen vier Jahren Berichten zufolge Millionen Tonnen an Kriegsmaterial vom Balkan in den Nahen Osten geschickt worden. Die Flüchtlingsroute ist mittlerweile geschlossen, die „Waffenpipeline“ Richtung Nahost aber offener denn je. Und das Geschäft boomt.
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„Was nach dem Verkauf passiert, geht mich nichts an“, sagte Zoran Damjanovic, Direktor der Montenegrinischen Verteidigungsindustrie, im Interview zu Journalisten des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN). Die Fragen drehten sich um eines von vielen Waffengeschäften mit Saudi-Arabien, einem der größten Importeure von altem und neuem Kriegsmaterial vom Balkan.
BIRN und OCCRP
Das Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) ist ein Zusammenschluss unabhängiger Journalisten, die investigative Analysen wirtschaftlicher und politischer Themen verfassen.Am Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) sind investigative Medien und Journalisten beteiligt, die organisiertes Verbrechen und Korruption aufdecken.
Insgesamt sollen in den vergangenen vier Jahren Waffen und Munition im Wert von 1,2 Milliarden Euro von Montenegro und weiteren sieben Staaten aus Zentral- und Osteuropa in den Nahen Osten geliefert worden sein. Zu diesem Ergebnis führte eine intensive Recherche des BIRN in Zusammenarbeit mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP).
Die beiden Organisationen analysierten Aufzeichnungen über Waffenexporte, Berichte der Vereinten Nationen (UNO) und Waffenverträge, die zeigen sollen, dass Waffen systematisch und meist illegal aus Bosnien, Bulgarien, Kroatien, Tschechien, Montenegro, der Slowakei, Serbien und Rumänien nach Nahost gesendet und von dort zu Kriegsschauplätzen in Syrien und dem Jemen geschleust wurden - unter Genehmigung der jeweiligen Regierung.
Drehscheibe Saudi-Arabien
Saudi-Arabien ist laut den Recherchen mit einem Importanteil von über zwei Dritteln der Waffen der größte Abnehmer. Daneben kauften Jordanien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate Tausende Sturmgewehre, Mörsergranaten, Raketenwerfer, Panzerabwehrsysteme und passende Munition aus ost- und zentraleuropäischer Produktion.
Diese vier Empfängerstaaten wiederum seien die Hauptverteiler von Waffen für Syrien und den Jemen. Die Vermutung liege nahe, schreiben BIRN und OCCRP, dass fast alle der importierten europäischen Waffen in die syrischen und jemenitischen Krisengebiete weitergeleitet werden, wo sie bestehende Bürgerkriege nähren und neue Kämpfe entfachen. Die Tatsache, dass die importierten Waffen mit dem bestehenden Militärequipment in Saudi-Arabien gar nicht kompatibel sind, verstärkte diese Vermutung umso mehr.
Syrien als gutes Geschäft
Begonnen hat der Waffenhandel zwischen dem Balkan und dem Nahen Osten laut den Recherchen im Jahr 2012, wenige Monate nach der Eskalation des Syrien-Konflikts. Einem Artikel der „New York Times“ zufolge schlug ein leitender kroatischer Beamter während seines Washington-Besuchs im Sommer 2012 amerikanischen Kollegen vor, die vom Westen unterstützten syrischen Rebellen mit alten kroatischen Waffen zu unterstützen. Finanziert wurde das Geschäft von Saudi-Arabien.
Kurz danach tauchte im Web das erste Bildmaterial von kroatischen Waffen in Syrien auf. Während die kroatische Regierung diesen Handel konsequent bestritt, bestätigte Robert Stephen Ford, von 2011 bis 2014 US-Botschafter in Syrien, den Deal gegenüber BIRN und OCCRP.
Das Geschäft sei der Startschuss einer regelrechten Pipeline gefüllt mit Waffen aus Zentral- und Osteuropa unterwegs nach Saudi-Arabien gewesen, schreiben BIRN und OCCRP. Nur kurze Zeit später sollen auch Bosnien, Bulgarien, Tschechien, Montenegro, die Slowakei, Serbien und Rumänien die günstige Gelegenheit erkannt haben und in das lukrative Geschäft eingestiegen sein.
Endstation Schlachtfeld
Die Unmengen an Waffen blieben aber nicht in Saudi-Arabien. Auf mehr als 50 verschiedenen Fotos und Videos, die von Kämpfern auf Social-Media-Plattformen geladen worden sind, konnten BIRN und OCCRP ehemalige tschechoslowakische und jugoslawische neben serbischen, kroatischen und bulgarischen Waffen auf den Schlachtfeldern in Syrien, dem Jemen und Libyen identifizieren.
Teilweise nutzen sie Einheiten der westlich unterstützten Freien Syrischen Armee, aber auch ihre Gegner, die für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad kämpfen. Aber auch islamistische Gruppen wie die Al-Nusra-Front und der Islamische Staat (IS) posieren regelmäßig mit den Waffen vor der Kamera - genauso wie sunnitische Kräfte im Jemen.
Die Nachfrage steigt stetig
Markierungen auf den identifizierten Waffen zeigten, dass große Mengen des gelieferten Materials aus dem Produktionsjahr 2015 stammen. Einige der größten Waffendeals seien im vergangenen Jahr abgeschlossen worden, berichten BIRN und OCCRP. Die Nachfrage sei weiterhin so hoch, dass der Restbestand alter Waffen nicht mehr ausreicht und Waffenfirmen Zusatzschichten einplanen, um mit der Produktion nachzukommen.
Serbien könne die Waffenproduktion um das Fünffache erhöhen, sagte der serbische Premierminister Aleksandar Vucic bei einer Pressekonferenz im Juni dieses Jahres. Selbst dann wäre die Nachfrage nach Kriegsmaterial aus dem Nahen Osten immer noch nicht gestillt, so Vucic.
Luftbrücke für Waffen
Verkäufer und Käufer sind freilich bedacht, ihre Geschäfte vor der Öffentlichkeit zu verbergen, sodass das gesamte Ausmaß der Deals schwer abzuschätzen ist. Mit Hilfe unzähliger sichergestellter Dokumente und der Analyse von Flugzeug- und Schiffsdaten gelang es BIRN und OCCRP aber festzustellen, dass allein binnen 13 Monaten mindestens 68 mit Kriegsmaterial beladene Cargoflugzeuge bestimmte Militärstützpunkte - hauptsächlich in Saudi-Arabien - angeflogen haben.
Flugstatistiken liefern Hinweise
Diesen Analysen zufolge sind Belgrad, Sofia und Bratislava die Ausgangspunkte des Waffenluftverkehrs. Mindestens 49 der identifizierten Flugzeuge starteten in der serbischen Hauptstadt und transportierten Waffen, bestätigte Serbiens Luftfahrtbehörde gegenüber BIRN und OCCRP.
Neben den offiziell bestätigten Luftfrachttransporten zeigen die europäischen Flugstatistiken ein viel größeres Ausmaß der Waffenlieferungen, fanden die Recherchenetzwerke heraus. Seit Sommer 2014 flogen Flugzeuge mit Tausenden Tonnen ungekennzeichneter Fracht von Bulgarien und der Slowakei dieselben Militärstützpunkte an.
Über Türkei und Jordanien nach Syrien
Doch auch die USA und ihre Verbündeten nutzen teilweise europäische Waffen, um Rebellengruppen in Syrien zu unterstützen. Schon den Transport der allerersten Waffenlieferung aus Kroatien soll die CIA organisiert haben, berichtete die „New York Times“. Von Militärbasen in Saudi-Arabien werden die Waffen zu Military Operation Centers (MOC) geschleust, berichtete der ehemalige US-Botschafter Ford. Von den geheimen Einsatzzentren in der Türkei und Jordanien werden sie per Lkw an die syrische Grenze gebracht - oder man wirft sie über dem Luftraum ab.
In welche Hände die Waffen geraten, ist dabei nicht immer klar. Und obwohl sowohl die Saudis als auch die USA den Sturz Assads als gemeinsames Ziel haben, unterstützen sie doch nicht unbedingt dieselben Rebellengruppen. Von den Saudis ist bekannt, dass sie auch im Jemen ihren Verbündeten Kriegsmaterial aus der Luft zukommen lassen.
Unterstützung aus den USA
Waffenlieferungen kommen auch per Schiff. Seit Dezember 2015 haben mindestens drei Frachtschiffe im Auftrag des US Military Special Operations Command (SOCOM) - unter anderem für Waffenlieferungen zuständig - Häfen im Schwarzen Meer in Richtung Türkei und Rotes Meer verlassen, wie BIRN und OCCRP mittels Auftragsdokumenten und Schiffsdaten feststellten.
Zwei Wochen nach einer US-Lieferung im März dieses Jahres stießen BIRN und OCCRP auf Twitter und Facebook auf von kurdischen Kampfverbänden gepostete Fotos eines Lagerhauses in Nordsyrien, gefüllt mit osteuropäischen Waffen, die – laut kurdischen Angaben – von den USA geliefert wurden.
Verstöße gegen internationales Recht
Zumindest einige der Waffengeschäfte zwischen dem Balkan und dem Nahen Osten brechen nationales, internationales und EU-Recht, beurteilten Waffenexperten von Amnesty International und der Europäischen Union die Untersuchungen von BIRN und OCCRP. Waffenverkäufe dieser Größenordnungen dürfen nur nach erteilter Genehmigung der Regierungen des exportierenden und importierenden Staates erfolgen.
Die Regierung des importierenden Staates stellt die Endverbraucherlizenz aus. Sie garantiert, dass die Waffen im eigenen Land verwendet werde,n und schließt einen Weiterverkauf aus. Die Regierung des Ausfuhrlandes erteilt die Exportlizenz und genehmigt damit den Verkauf an den zertifizierten Empfänger.
Scharfe Kritik von Amnesty
„Die Dokumente deuten darauf hin, dass Waffen systematisch an Gruppen verteilt werden, die Menschenrechtsverletzungen begehen“, sagte Patrick Wilcken, Rüstungskontroll-Wissenschaftler von Amnesty International. „Ist das der Fall, so sind diese Geschäfte nach internationalem Recht illegal und müssen sofort eingestellt werden“, so Wilcken zu BIRN und OCCRP.
Auch das EU-Recht sieht bestimmte Regelungen für den Waffenhandel vor. Exporte in Länder, die ein zu hohes Risiko für Menschenrechtsverletzungen durch den Missbrauch von Waffen bergen, dürfen nicht genehmigt werden, so Bodil Valero, Mitglied des Sicherheitsausschusses des Europäischen Parlaments. Das gelte sowohl für EU-Mitgliedsstaaten als auch für potenzielle Beitrittskandidaten.
Keine klaren Sanktionsmaßnahmen
Regierungen müssen eine Risikobeurteilung zur Wahrscheinlichkeit der Verteilung von Waffen an Konfliktgebiete vornehmen. „Länder, die Waffen an Saudi-Arabien oder andere Nahost-Staaten verkaufen, führen eigentlich keine korrekte Risikobeurteilung durch und brechen damit nationales Recht und EU-Recht“, sagte Valero zu BIRN und OCCRP.
„Ich glaube, diese Länder könnten vor den Europäischen Gerichtshof gebracht werden.“ Noch existieren aber keine klaren Sanktionsmechanismen zur Bestrafung. Und: Auch zahlreiche andere westliche Länder - von Deutschland bis zu den USA - verkaufen regelmäßig Waffen an Saudi-Arabien.
Kontrolle endet bei Endverbraucherlizenz
Darko Kihalic, Leiter der Waffenhandel-Lizenz-Behörde im kroatischen Wirtschaftsministerium, sagte gegenüber BIRN und OCCRP, dass sich Zagreb an europäische und internationale Vereinbarungen in Bezug auf Waffenhandel halte. Die Kontrollaufgabe seiner Behörde ende mit dem Erhalt der Endverbraucherlizenz. Dennoch räumte Kihalic gegenüber BIRN und OCCRP ein: „Gibt es eine missbräuchliche Verwendung? Wahrscheinlich.“
Lilian Spatz, für ORF.at
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