Wie es zum „Tag der Tage“ kam
Seit Freitag brüten die Anwälte der Beschuldigten in der Causa BUWOG über den gesamten 825 Seiten Anklageschrift. Auch ORF.at liegt das Dossier vor, das der Ö1-Journalredaktion zugespielt wurde. Einer der spannendsten Punkte darin: der Vorwurf, dass nur vom damaligen Finanzminister Karl Heinz Grasser jener Tipp gekommen sein könne, für den dann verdeckt 9,61 Mio. Euro „Erfolgshonorar“ flossen.
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Seit Jahren steht der Grasser-Vertraute Walter Meischberger dazu, dass er beim damaligen Verkauf der Bundeswohnungen den Tipp an den letztlich siegreichen Bieter Immofinanz weitergeleitet habe. Seit Jahren beschwört Meischberger auch, er wisse nicht mehr, woher der Tipp gekommen sei. Die Anklage offenbart nun haufenweise Indizien im Kampf gegen mangelnde Erinnerung - das Dokument quillt geradezu über mit Kalendereinträgen, privaten Notizen, internen Mails und anderem bisher unbekannten Faktenmaterial.
Vier Männer und ein Plan
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt: Schon im Jahr 2000, und damit vier Jahre vor der BUWOG-Privatisierung, fassten Grasser, Meischberger, der Immobilienmakler Ernst Plech und der Lobbyist Peter Hochegger den gemeinsamen Plan, sich an den staatlichen Verkäufen zu bereichern. Den Anklägern ist aber auch bewusst, dass vorerst trotzdem alles nach einer korrekten Privatisierung aussah. Umso mehr konzentrierten sich die Ermittler auf den Punkt, an dem das Bieterverfahren zugunsten der Immofinanz kippte.

ORF.at/Roland Winkler
Grasser 2015 mit seinem Anwalt Manfred Ainedter im Hypo-Ausschuss
Bis zum Mai 2004 waren im Rennen um die Bundeswohnungen noch zwei Bieter übrig geblieben: die Immofinanz mit ihren Partnern, vor allem der Raiffeisenlandesbank Oberösterreich und der Wiener Städtischen (Österreich-Konsortium), und auf der anderen Seite die CA Immo. Am 4. Juni 2004 war es an der Zeit, mit verbindlichen Kaufanboten die Karten auf den Tisch zu legen. Von dem streng vertraulichen Datum wusste erstaunlicherweise auch Meischberger, wie aus dessen sichergestellem Terminkalender hervorgeht, sogar inklusive Uhrzeit: 11.30 Uhr.
Eine weitere Bieterrunde, um fast jeden Preis
Die Anbote wurden damals schließlich um 15.00 Uhr im Beisein von Notaren geöffnet. Das Ergebnis: Die CA Immo hatte 922,7 Mio Euro geboten, satte 85,4 Millionen mehr als das Österreich-Konsortium. Gemäß den festgeschriebenen Regeln für die Privatisierung hätte damit alles klar sein müssen: Eine weitere Bieterrunde hätte es nur bei „nicht nennenswert auseinanderliegenden Angeboten“ geben dürfen. Trotzdem gab es eine.
Es „musste eine weitere Runde erreicht und dem Österreich-Konsortium zum Erfolg verholfen werden“, schildert die Anklage an dieser Stelle Grassers und Meischbergers Plan. Auffallend ist auch, dass das Anbot der Immofinanz aus Sicht der Ankläger eigenartig schwammig formuliert war - aber offenbar nicht nur aus ihrer Sicht: Nicht in die Bestechung eingeweihte Verhandler aufseiten der Finanz forderten damals die Immofinanz zu konkreteren Angaben auf, was dort jedoch gelassen ignoriert worden sei.
Oder ging es doch nur um das Wohl der Republik?
Grassers Anwälte könnten nun einwenden, dass der Finanzminister, der auch medial Hoffnungen auf einen Erlös von einer Milliarde Euro für die Republik geweckt hatte, eben noch mehr herausholen wollte. Auch den Anklägern ist das offenbar bewusst, und sie gehen noch tiefer ins Detail: All das hätte man auch vor der damals geschaffenen Auswahlkommission verhandeln können, aber, so die Anklage, „Mag. Karl-Heinz Grasser musste im Sinne des Tatplans jedenfalls eine selbständige Entscheidung der Kommission am 08.06.2004 verhindern“.

APA/Helmut Fohringer
Walter Meischberger 2012 im Korruptions-U-Auschuss des Parlaments
Die Sitzung am 8. Juni war schon lange ausgemacht gewesen, wurde am Vorabend jedoch - auf Grassers persönliche Weisung hin - abgesagt. Die Anbote bedürften noch eingehenderer Prüfung, hieß es. Also alles offen, zumindest dem Anschein nach. Trotzdem war sich Grasser laut den gesammelten Fakten schon Anfang Mai sicher gewesen, dass der 13. Juni der „letzte Termin“ für eine Entscheidung sein würde: Am Tag darauf brachte Grasser die Privatisierung durch den Ministerrat. Schon lange davor notierte sich Meischberger eigenartigerweise, dass der 14. Juni der „Tag der Tage“ sein würde.
Anbot hochgerechnet, bis „es passt“
Anbote bei Transaktionen dieser Größenordnung und Komplexität müssen tatsächlich eingehend geprüft werden: Allein der Zeitpunkt des Zuschlags kann Zinsen und Finanzierungslinien so verändern, dass das Anbot plötzlich Dutzende Millionen mehr oder weniger wert ist als auf dem Papier. So war das auch beim schließlich zweiten Anbot der CA Immo über 960 Mio. Euro. Alle tatsächlich an den Verhandlungen Beteiligten hätten gewusst, dass das Anbot bei einer sachlichen Bewertung eine Schwankungsbreite von plus/minus rund 40 Mio. Euro aufwies, so die Ankläger.
Die entscheidende Frage also: Woher wusste die Immofinanz, dass sie ausgerechnet 961 Millionen und damit - nur bei oberflächlicher Betrachtung - eine Million mehr als der Konkurrent bieten sollte? Noch dazu, wo die Rechenabteilung der Immofinanz das entscheidende „Last And Final Offer“ mit rund 930 Millionen berechnet hatte, das man aber laut Aussagen von dort so lange hochrechnen musste, bis am Ende knapp über 961 Millionen geboten waren und man die mündliche Aussage bekommen habe, dass es „jetzt passt“.
Einer bleibt übrig
Für die Ankläger ist klar: Allen Verhandlern, der beteiligten Bank Lehman Brothers sowie der CA Immo sei klar gewesen, dass bei deren Anbot weiterhin nur rund 922 Millionen ausfinanziert gewesen seien. Die Immofinanz hätte sich aber sicher bei ihrem unbekannten - für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung - Tippgeber erkenntlich gezeigt, hätte sie statt 961 Millionen beispielsweise nur 923 bieten müssen und damit auch so den Zuschlag bekommen können.

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Peter Hochegger 2013 beim „Telekom-Prozess“ im Straflandesgericht Wien
Dazu kam noch, dass die zwei Gebote ihrer Natur nach bis zum Ende sehr unterschiedlich waren und die Republik durch die Aufteilung der einzelnen Teile des Immo-Pakets auf beide Bieter Dutzende Millionen mehr lukrieren hätte können. Warum das nicht geschah, ist aus der Sicht der Ankläger klar: Der Tipp war abgeschickt und konnte nur von jemandem gekommen sein, der nicht mit den Verhandlungen befasst war, aber trotzdem die Macht hatte, das Bieterverfahren beim Gebot von 961 Millionen zu stoppen. Damit bleibt für die Behörde nur einer übrig, nämlich Grasser selbst.
Für Spannung ist gesorgt
Was die Staatsanwaltschaft zu den Vorgängen rund um den damaligen „Tag der Tage“ zusammengetragen hat, kommt einer „Smoking gun“ in dem zu erwartenden Monsterprozess schon ziemlich nahe. Zudem hat die Anklagebehörde in diesem Punkt den Vorteil, entsprechend unangenehme Fragen stellen zu können - zum Unterschied etwa vom schwierigen Nachweis, dass das Bestechungsgeld über verschlungene Wege am Ende tatsächlich bei den Beschuldigten angekommen ist.
Man darf davon ausgehen, dass das Wiederaufrollen der Tage im Frühsommer 2004 für ein paar der spannendsten Momente im zu erwartenden Monsterprozess gut sein wird. Mit einer entsprechend gerüsteten Anwaltschaft aufseiten der Beschuldigten ist ebenso zu rechnen. Langeweile wird aber auch sonst nicht aufkommen: Die Vorwürfe und aufgelisteten Indizien im Hinblick auf den entscheidenden „Tipp“-Moment machen in den 825 Seiten der Anklageschrift gerade einmal 34 Seiten aus.
Lukas Zimmer, ORF.at
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