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Alle Dekane zum Rücktritt aufgefordert

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei hat das Bildungsministerium laut einem Bericht des örtlichen Senders NTV 15.200 Mitarbeiter vom Dienst suspendiert. Die Hochschulverwaltung rief am Dienstag überdies 1.577 Dekane aller Universitäten auf, ihren Rücktritt einzureichen. Auch die ohnehin unter Druck stehende Medienlandschaft geriet ins Visier der Säuberungsaktion.

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Insgesamt 15.200 Staatsbedienstete aus dem Bildungsbereich würden verdächtigt, Verbindungen zur Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen zu haben, teilte das Ministerium am Dienstag mit. Gegen sie werde nun ermittelt, hieß es Dienstnachmittag. Zusätzlich wurde offenbar rund 21.000 Lehrern an Privatschulen die Lehrerlaubnis entzogen.

Etwa zeitgleich gab die Telekommunikationsbehörde RTÜK bekannt, insgesamt 24 Radio- und Fernsehstationen die Sendelizenz entzogen zu haben. Die Behörde teilte mit, bei den Sendern sei festgestellt worden, dass sie Verbindungen zur Bewegung des Predigers Gülen hätten, den die Türkei für den Putschversuch verantwortlich macht. Noch ist nicht bekannt, um welche Sender es sich handelt.

Über 8.500 Festnahmen

Die türkische Armee teilte am Dienstag mit, dass die „Eliminierung“ der Putschisten abgeschlossen sei. Man werde sie nun „auf härteste Weise“ bestrafen. Ähnlich äußerte sich Ministerpräsident Binali Yildirim. Zugleich sprach er sich gegen „Rachegefühle“ gegenüber den Putschisten aus. „Dies ist inakzeptabel in einem Rechtsstaat“, sagte er.

Sicherheitskontrolle in Ankara

APA/AP/Hussein Malla

Sicherheitskontrolle vor Gerichtsgebäude in Ankara

Laut der Nachrichtenagentur Anadolu wurden seit Samstag 8.660 Menschen festgenommen. Bei ihnen handle es sich um 6.319 Soldaten, 210 Polizisten, 1.481 Richter und Staatsanwälte sowie 650 andere Zivilisten. Gegen insgesamt 990 Verdächtige sei Haftbefehl erlassen worden. Unter den Verhafteten sollen sich auch zwei türkische Piloten befinden, die am Abschuss eines russischen Kampfjets im November beteiligt waren. Das berichtete die Zeitung „Hürriyet Daily News“ unter Berufung auf einen türkischen Behördenvertreter. Am Mittwoch wurde verkündet, dass weitere 900 Polizeibeamte in der Hauptstadt Ankara suspendiert wurden.

Insgesamt sind - die nun bekanntgewordenen Beamten im Bildungsbereich mitgerechnet - mehr als 35.000 Staatsbedienstete von Suspendierungen oder Festnahmen betroffen. Darunter befinden sich auch 257 von 2.600 Mitarbeitern der Regierungskanzlei. Wohl auch um dadurch bedingten möglichen Personalengpässen entgegenzuwirken, erließ die türkische Regierung bereits am Montag eine Urlaubssperre für mehr als drei Mio. türkische Staatsbedienstete. Die Anordnung wurde im türkischen Amtsblatt verlautbart.

Ausreiseverbot für Unimitarbeiter

Der türkische Hochschulrat hat unterdessen allen Universitätslehrkräften und Wissenschaftlern Dienstreisen ins Ausland verboten. Unimitarbeiter, die sich bereits zu Dienst- oder Forschungsaufenthalten im Ausland aufhielten, sollten überprüft werden und „so schnell wie möglich“ in die Heimat zurückkehren, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Mittwoch.

Gleichzeitig forderte der Rat alle Hochschulrektoren auf, ihre Mitarbeiter im Lehrbetrieb und in der Verwaltung auf etwaige Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu überprüfen. Ihre Berichte würden bis zum 5. August erwartet.

Scharfe Kritik europäischer Unis

Der Hochschulrat rief alle Hochschulrektoren auf, ihre Mitarbeiter im Lehrbetrieb und in der Verwaltung auf etwaige Verbindungen zur Gülen-Bewegung zu überprüfen. Das gelte auch für ausländisches Lehrpersonal. Ihre Berichte würden bis zum 5. August erwartet. Aus Regierungskreisen hieß es, es handle sich um eine vorübergehende Maßnahme. Damit solle die Flucht von „angeblichen Komplizen der Umstürzler in Universitäten“ verhindert werden.

Die European University Association (EUA) verurteilte die Entlassungswelle. „Die EUA verurteilt diese Aktionen gegen Universitäten und deren Mitarbeiter scharf und bedingungslos und versichert den Hochschulangehörigen in der Türkei ihre aufrichtige Unterstützung in diesen Zeiten“, heißt es in der Aussendung.

Die Türkei brauche nach dem versuchten Militärputsch mehr als je zuvor Redefreiheit, öffentliche und offene Debatten, wie diese an den Unis gepflegt würden. Die EUA rief deshalb alle Regierungen, Universitäten und Wissenschaftler Europas dazu auf, ihre Stimme gegen die aktuellen Entwicklungen zu erheben.

„Hexenjagd gegen Opposition“

Wegen der massenhaften Verfolgung von Erdogan-Gegnern rechnet die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl mit der Zuwanderung von Flüchtlingen aus der Türkei. „Wenn sich die Lage weiter verschlechtert und die Hexenjagd gegen jegliche Opposition in der Türkei weitergeht, dann wird es eine Flüchtlingsbewegung Richtung Europa geben“, sagte der stellvertretende Geschäftsführer von Pro Asyl, Bernd Mesovic. Allerdings könne es sein, dass bis zu einer größeren Fluchtbewegung noch einige Zeit vergeht: „Solange Menschen Hoffnung auf Veränderung haben, bleiben sie in ihrem Land.“

Insgesamt wurden seit dem fehlgeschlagenen Putsch von Freitagabend rund 50.000 Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes entlassen oder suspendiert, darunter Tausende Richter und Staatsanwälte. Mehr als 8.500 Menschen wurden festgenommen. Bei dem Putschversuch des Militärs kamen rund 300 Menschen ums Leben.

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